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Flexibilität wird erzwungen

 
     
 
In der Regel bleibt der Schuster bei seinen Leisten. Dies ist nicht nur im Sprichwort so, sondern auch in der Realität. Zwar ist die Anzahl derjenigen jungen Menschen, die das Schusterhandwerk lernen, ziemlich gering. Doch es gibt sie noch. Das "Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit
" (IAB) in Nürnberg hat dies in seiner aktuellen Studie zum "Berufswechsel in Deutschland" wissenschaftlich belegt. Der Arbeitsmarkt fordert von den übrigen Berufsgruppen deutlich mehr Flexibilität. Ein Fünftel der Absolventen wechselt nämlich bereits unmittelbar nach der Ausbildung den Beruf. Bei den männlichen Absolventen ist der Anteil der Berufswechsler seit 1977 von 18 auf 26 Prozent gestiegen. Bei den Frauen ist die Wechselquote dagegen von 19 auf 16 Prozent gesunken. Warum gibt es hier eine Geschlechtertrennung? "Bei vielen typischen Männerberufen, beispielsweise den Tischlern oder Rohrinstallateuren, hat die Wechselhäufigkeit im Zeitverlauf eher zugenommen. Bei typischen Frauenberufen, zum Beispiel den Steuerfachgehilfinnen oder Bürofachkräften, ist sie zurückgegangen", erklärt das IAB.

Anhand dieser Zahlen wirkt es ein wenig absurd, wenn im Ruhrgebiet die Kumpel gegen die Schließung der Zechen im Jahr 2014 oder 2018 demonstrieren. Denn zumindest die Jüngeren haben genügend Zeit, auf einen anderen Beruf umzuschulen. Und wer heute "unter Tage" eine Lehre macht, geht bewußt ein hohes Risiko ein, in ein paar Jahren ausgemustert zu werden.

Doch Flexibilität in allen Ehren. Direkt nach der Ausbildung wäre es schon gut, wenn die Leute in ihrem erlernten Beruf eine Stelle fänden, so die Experten des IAB: "Ausbildungsabsolventen, die beim Berufseinstieg eine Tätigkeit im Ausbildungsberuf finden, können optimal an ihre Lehrzeit anschließen, indem sie die erlernten Fähigkeiten und Fertigkeiten nun im ,richtigen ‚ Berufsleben festigen und perfektionieren." In der Vergangenheit sei dies im Durchschnitt etwa 80 Prozent der Ausbildungsabsolventen gelungen.

Die 25jährige Catharina hat eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht. "Dies ist mein absoluter Traumberuf. Doch nach der Ausbildung bekam ich leider keinen Job als Kinderkrankenschwester. Jetzt arbeite ich als Altenpflegerin", sagt sie. Die junge Frau ist also zwar im Gesundheitsbereich tätig, doch macht es selbstverständlich einen Unterschied, ob man mit Kindern oder pflegebedürftigen Menschen arbeitet.

Arbeitgeber haben oft ein handfestes materielles Interesse, ihre Auszubildenden nach der Lehrzeit wieder "loszuwerden". Insbesondere kleinere Unternehmen nutzen die preiswerte Arbeitskraft von jungen Menschen in der Ausbildungszeit. "Wir arbeiten immer mit Auszubildenden und Volontären, da wir es uns nicht leisten können, zu viele Angestellte an Bord zu haben", sagt der Inhaber einer Bonner Kommunikationsagentur. "Es kann immer sein, daß im Laufe eines Jahres verschiedene Kunden abspringen. Und mit den Kunden fällt dann natürlich auch Budget weg. Daher sind wir gezwungen, unsere Personalkosten möglichst gering zu halten. Wenn der Laden brummt, dann stellen wir die Azubis, die sich bewährt haben, selbstverständlich gerne ein."

Junge Menschen laufen Gefahr, daß sie sich "unter Wert" verkaufen. Die Nürnberger Forscher weisen darauf hin, daß seit Ende der 90er Jahre der Anteil der "unterwertigen Beschäftigung" nach der Ausbildung zugenommen habe. Je weiter der Einstiegsberuf vom Lehrberuf inhaltlich entfernt sei, um so größer sei die Wahrscheinlichkeit dafür. Eine Ursache dafür ist der Beschäftigungsrückgang in vielen gewerblichen Berufen, insbesondere in der Metall- und Baubranche sowie im Handwerk.

Sind Mobilität und Flexibilität Tugenden, die von allen Altersgruppen gleichmäßig vorgelebt werden? Hier sind Zweifel angebracht. Im Vergleich zu den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik hat die Flexibilität abgenommen. Ist der flexible Arbeitnehmer also nur ein modernen Mythos?

Nach einer Erhebung des "Bundesinstituts für Berufsbildung" (BIBB) und des IAB hatte zur Jahrtausendwende jeder dritte bereits einmal den Beruf gewechselt, davon neun Prozent mehrmals. Gegenüber 1991 habe es kaum Veränderungen gegeben, die Anteile der Wechsler seien gleich geblieben. Blicke man noch weiter zurück, zeige sich gar eine abnehmende Mobilität: 1979 hätten noch 37 Prozent einen Berufswechsel zu Protokoll gegeben. Die Erklärung für diese überraschenden Zahlen: Der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft läuft offenbar weit sanfter beziehungsweise innerhalb der Berufe ab. In der Nachkriegszeit seien hingegen weite Teile der Bevölkerung gezwungen worden, von der Landwirtschaft in die Industrie zu wechseln.

Pauschalurteile verbieten sich selbstverständlich: So haben viele junge Menschen aus den neuen Ländern Flexibilität und Mobilität bewiesen, als sie sich der Arbeit wegen in den Westen aufmachten. In Zukunft müssen die Arbeitnehmer, die über kein sehr hohes Bildungsniveau und keine optimale Ausbildung verfügen, noch mobiler und flexibler werden. Wer für die Anforderungen der modernen Wissensgesellschaft schlecht gerüstet ist und ein Leben lang in seinem Heimatdorf leben will, der hat schlechte Karten und wird über kurz oder lang ein Fall für den Sozialstaat werden. Für viele ist ständige Weiterbildung und hohe Flexibilität und Mobilit
 
     
     
 
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