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Freunde

 
     
 
Im September geht Kanzler Schröder auf große Fahrt durch Polen, Tschechien und Ungarn. Grund sei, so heißt es aus Berlin, der zehnte Jahrestag de Mauerfalls. Der deutsche Regierungschef will den östlichen Nachbarn noch einmal Dan sagen für ihre hilfreiche Rolle bei der Grenzöffnung.

In Budapest ist das sicherlich dringend angebracht. Wir erinnern uns noch an de ungarischen Außenminister Gyula Horn, wie er mit der Drahtschere in der Hand be Ödenburg dem Eisernen Vorhang im Sommer 1989 jenen entscheidenden ersten Schla versetzte. Wir sehen die Bilder der Ungarn, die sich rührend um die deutsche Botschaftsflüchtlinge kümmern – Rot-Kreuz-Angehörige ebenso wie zahllose gan normale Privatleute. "Das werden wir Ungarn nicht vergessen", beteuerte damal ein sichtlich bewegter Helmut Kohl. Es ist gut, daß sein Nachfolger diesem Verspreche jetzt folgt und einen Freund ehrt, der den Deutschen in schwieriger Stunde sponta beistand.

Die Bilder aus Warschau und vor allem aus Prag muten jedoch auch in der vergoldende Erinnerung ein wenig anders an. In der böhmischen Metropole versuchten Polizist
en noch in letzter Minute, DDR-Flüchtlinge mit Gewalt am Übersteigen des Zaunes an de bundesdeutschen Botschaft zu hindern.

Den Polen kommt sicher das Verdienst zu, in Form der Solidarnosc-Bewegung im Kampf u die Befreiung vom Kommunismus in der ersten Reihe gestanden zu haben. An dessen Ende stan schließlich der Fall der Mauer, die deutsche Vereinigung. Und Mauerfall wie Vereinigun sind für Deutschland die beiden unbestrittenen Höhepunkte einer sagenhaften historische Wende.

Indes, seinerzeit befragt nach ihrer Meinung zur deutschen Einheit, waren au tschechischem und polnischem Munde vor zehn Jahren kaum positive Stimmen zu vernehme – ganz im Unterschied zu den Magyaren. So wäre es Ungarn gegenüber unangemessen wenn seine Rolle am Ende des Kalten Krieges nicht gesondert hervorgehoben würde, gerad jetzt.

Leider jedoch muß man befürchten, daß genau dies unterbleiben wird. Es ist ein unguter Brauch in der bundesrepublikanischen Geschichte, nicht ers seit dem jüngsten Regierungswechsel, verschämt wegzublicken, wenn sich ein ausländische Nation offen als Freund der Deutschen zu erkennen gibt. Noch dazu, wenn au der Ferne stolz auf die "tradionelle Verbundenheit" mit dem Volk der Dichter un Denker verwiesen wird.

Die Logik ist ganz einfach: Wer "traditionell" deutschfreundlich ist, de blieb dies offenbar auch über Krieg und Hitlerregime hinweg, selbst wenn ihn das Gebare der deutschen Politik gewisser Epochen alles andere als begeisterte. Solche Freund konfrontieren die Berliner Politikerklasse damit, wie klein die eingerissene Mentalitä ausschaut, die deutsche Vergangenheit vor dem Zweiten Weltkrieg in der Manier eine ignoranten Teenagers komplett als Fehlschlag hinzustellen. Derlei Deutschenfreunde mache vor, was die Tonangeber hierzulande nicht mehr vermögen, nämlich Deutschland und sein Geschichte in ihrer ganzen Größe und Vielschichtigkeit zu respektieren und zu ehren.

Da sind manche "neuen Freunde" offenbar leichter verdaulich, die mit den meisten Meinungsführern der Bundesrepublik darin übereinstimmen, da die deutsche Geschichte vor 1945 in der Summe schlicht schimpflich gewesen sei, und die auch bei passender Gelegenheit öffentlich kundtun. Solche Partner erleichtern das dumpf Verharren in eindimensionalen Denkmustern und geben mittels Zuckerbrot und Peitsche auc noch die Richtung vor für ein Deutschland, wie es sein soll. Dann braucht man als Deutscher selbst keine mehr für sich zu entwickeln. Wir kennen das Spiel: Wer seine Sicht der Dinge besonderen Nachdruck verleihen will, muß lediglich auf die "Erwartungen", im Ernstfall auf die "Sorgen und Ängste" des Auslande hinweisen, und die Sache ist im Sack. Wobei wiederum die "Erwartungen" jene lästigen alten Freunde gern überhört werden, während Einwürfe aus Ländern, die unserer Nation eher kritisch bis reserviert gegenüberstehen, besonderes Gewicht zu habe scheinen. Hier wird ein simples Gebot der Vernunft schlicht auf den Kopf gestellt – Rat nämlich nur von dem entgegenzunehmen, der es gut mit einem meint.

"Völker haben keine Freunde", hört man die kühlen Realpolitiker jetz einwenden. Doch so einfach ist es nicht. Die öffentliche Meinung ist ein Faktor, de durchaus politische Durchschlagskraft entfalten kann, auch in Fragen der außenpolitische Orientierung.

Sicher wird Kanzler Schröder bei seinen Dankvisiten auch auf die Verbreche "der" Deutschen (oder der "im deutschen Namen" begangenen, obschon de NS-Staat bekanntlich eine Diktatur war) zu sprechen kommen. Ob er den Mut findet, vo Tschechen und Polen auch von den Vertreibungsverbrechen zu reden? Wenn nicht, sollte e lieber zu Hause bleiben
 
     
     
 
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