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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Der Volksmund kennt keine Etikette, er nimmt keine Rücksicht. Wo Guterzogene die schönen Hände eines Mitmenschen preisen, sieht er nur das Schwarze unter den Nägeln. Er weiß auch nichts von großen Visionen. Wenn Politiker mit versonnenem Blick von der "Integration", ja dem "Zusammenwachsen" zweier Länder sprechen, da spottet der Volksmund rotzfrech, daß da bloß einer dem anderen "auf die Pelle rückt" - im Zweifelsfall, um ihn zu bestehlen.

Anfang 2003 war die Euphorie groß im Zweibund zwischen Deutschland und Frankreich. Man hatte sich gegen die Amis zusammengerauft und eine feste Achse gebildet. Le Monde schwärmte gar, aus dem Tandem könnte dereinst ein richtiger Doppelstaat werden - "wie früher Österreich-Ungarn
". Wir waren begeistert, der vom Mißtrauen zerfressene Volksmund hingegen wollte nur eins wissen: "Und wer wird Ungarn?" Eine solche Frage haben wir uns natürlich verbeten - der guten Atmosphäre wegen. Die Franzosen stellten sie schließlich auch nicht! Doch dies, wie sich mittlerweile herausschält, offenbar aus einem ganz anderen Grund: sie hatten sie längst beantwortet.

Bei der Airbus-Muttergesellschaft EADS ist der französisch-deutsche Doppelstaat bereits Wirklichkeit. Nach der Gründung des Giganten 2000 wurde zunächst vereinbart, daß die Spitze fein säuberlich geteilt wird, zwischen einem Deutschen und einem Franzosen, streng gleichberechtigt. Damit soll jetzt Schluß sein, ein Franzose soll die Führung allein übernehmen, heißt es aus Paris und Toulouse. Die Deutschen könnten das ja doch nicht. Bei allem Neid müssen wir zugeben: Die Franzosen haben ihren germanischen Partnern tatsächlich einiges voraus. Sie sind vor allem besser informiert. Die deutschen Airbus-Manager geben in Telefongesprächen untereinander schon direkte Grüße an Jacques Chirac durch, weil, wie es heißt, der französische Geheimdienst sowieso immer mithöre, während sich der deutsche Dienst die Ohren zuhält. Doch die Franzosen hören nicht nur besser, sie blicken auch weiter in die Zukunft: Schon 1998 beauftragte der französische Airbus-Partner Aéronautic Aérospatial eine Anwaltskanzlei, zu untersuchen, woran die Startbahnverlängerung am Hamburger Flugzeugwerk eigentlich scheitern könnte. Antwort: Es müsse nur irgend jemand ein kleines "Sperrgrundstück" auf dem erforderlichen Gelände erwerben und damit alles blockieren. Tatsächlich kaufte bald darauf eine gewisse "Interessengemeinschaft" ein solches Grundstück. Das Glück ist halt mit den Tüchtigen. Und Zufälle gibt es immer wieder. Ärgerlich zwar der Rückschlag, daß die Hamburger ihre Startbahnverlängerung allem Anschein nach trotzdem hingekriegt haben. Doch echte Profis wissen: beim nächsten Mal kriege ich schon, was ich will, und quittieren solche Dämpfer mit einem Lächeln.

Die ganz Harten schwenken sogar noch heiter Blumen, obwohl sie soeben stracks zu Boden gingen vor Schreck über die saftige Ohrfeige. Gut, das Lächeln hatte sich Angela Merkel vermutlich von der Maskenbildnerin aufpinseln lassen, um es auch nach dieser Abstimmungspleite nicht zu verlieren. Aber immerhin, es hielt. Erst kurz darauf blickte sie versteinert in die Runde wie ein Schneewittchen, das soeben von ihren Zwergen, die sie im Griff zu haben glaubte, in den Bach geschubst wurde. Zwerge, das wissen wir aus der germanischen Mythologie, sind zwar klein, aber keineswegs niedlich, sondern listig und durchtrieben. Merkels Zwerge heißen Wulff, Koch oder Müller. Sie grinsten verdächtig hämisch, als ihre Meisterin bei der Vorstandswahl vermöbelt wurde. Die süßen Worte, die sie danach über die geteerte und gefederte Vorsitzende versprühten, erinnerten an den vergifteten Apfel, der die Merkel bei der Bundestagswahl 2006 zu Fall bringen soll. Nicht wenige aus der kleinen Schar scheinen sich heute bereits unbändig auf die große Grablegung der ins Feuer gejagten Parteivorsitzenden zu freuen. Ist allerdings noch ziemlich lange hin bis 2006, weshalb sich einige Unionsleute die Zeit bis dahin verkürzen wollen, indem sie die Vorsitzende jetzt schon ein bißchen quälen. So wie Schäuble, der Journalisten gesteckt haben soll, daß Merkels Rede Murks war. Ja, man würde sich bald sogar nach Helmut Kohl zurücksehnen. Das waren gleich zwei Faustschläge auf einmal. Und es sollte noch schlimmer kommen: Wenig später hat er das alles keck dementiert, statt sich seinen Worten zu stellen. Nicht nur Frau Merkel brauchte spätestens an dieser Stelle einen starken Magen. Baden-Württembergs Oettinger zwitscherte doppeldeutig, Angela Merkel bleibe "weiter in der Pole-Position" zur Kanzlerkandidatur. Der Mann aus dem Land, wo Deutschlands Formel-1-Raketen gebastelt werden, weiß genau, daß jene hochgezüchteten Maschinen in der "Pole-Position" auch still verenden können - zumal, wenn ein Schelm ein wenig nachhilft. Mit dem "Gesundheitskompromiß" der Union hat die Parteichefin bereits ein faustdickes Loch im Tank.

Auf ihre vermeintlich schlimmsten Gegner in der Union kann Merkel überraschenderweise noch am ehesten bauen. Die CSU nannte ihr Wahlergebnis schlicht "ehrlich". Das ist Politikerdeutsch für "Bauchklatscher". Die Bayern sind wenigstens ehrlich.

Überwältigt von soviel Ungemach hat die CDU-Vorsitzende zum Schluß vollends den Überblick verloren darüber, wer ihre wahren Freunde und wer ihre Feinde sind. In der Wirrnis ihres gebeutelten Gemüts rief sie zur "Attacke auf Rot-Grün". Dabei sitzen dort ihre letzten Verbündeten! Die einzigen, die ihr wirklich und ohne Hintergedanken tagein tagaus tapfer und einfallsreich zur Seite stehen. Wo wäre Merkel, wo wäre die Union, wenn Kanzler Schröder ihr einen Finanzminister vor die Nase setzte, der rechnen kann? Einen Umweltminister, der Umweltschutz betriebe statt die Landschaft mit vogelmordenden, potthäßlichen und unwirtschaftlichen Windrädern zu entstellen? Einen Außenminister, der die Interessen seines Landes vertritt? Einen Verkehrsminister ... nein, jetzt wird s polemisch. Also kurz gesagt, wenn die von Merkel gescholtenen Rot-Grünen eine richtige Regierung aufstellten statt eine, über die man nur deshalb nicht mehr so laut lacht, weil die Union inzwischen fast noch komischer geworden ist, dann müßte die Union die Chaos-Rolle ganz allein spielen und könnte sich die Frage nach dem geeigneten Kanzlerkandidaten sparen. Angela Merkel sollte ein wenig mehr Dankbarkeit zeigen.

"Na, wo sind sie denn, die kleinen Krallen - hm?"

 
     
     
 
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