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Gedanken für Intellektuelle

 
     
 
Seit Montag wird alles gut. Gewerkschaftsbosse und die Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer waren zur Bescherung zum Kanzler geeilt, und jeder hat eine Kleinigkeit geschenkt bekommen. Das tröstet. Manchen machte es sogar regelrecht euphorisch: Daß sein Bundesland etwas mehr Geld für Lohnkostenzuschüsse an Langzeitarbeitslose bekomme, sei "der größte Umbruch der Nachkriegsgeschichte", stieß Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck
vor Begeisterung aus. Während des Mauerfalls hatte er sich offenbar gerade im Herbstnebel verirrt.

Endlich können wir sagen: Das hat der Kanzler gut gemacht. Und schlau: Um die tolle Stimmung nicht zu trüben, hat er den Angereisten lieber nicht alles erzählt - erst am Tag danach konnten die DGB-Granden in der Zeitung lesen, daß die Langzeitarbeitslosen 2005 eine ganze Monatsrate abgezogen bekommen, weil die Zahlung vom Monatsletzten auf den Monatsersten vorgezogen wird. Wie die Sozialhilfe, damit alle gleich zum Jahresbeginn erkennen, in welches soziale Segment unserer Gesellschaft sie soeben verlegt wurden. Wenn der Peters das gewußt hätte!

Hat er aber nicht, weshalb alles eitel Wonne war. Indes, wo sich soviel Eintracht über das Geschehen legt, kann es schnell langweilig werden, was insbesondere der strauchelnden Medienbranche angesichts der allgemein blassen Konjunktur nicht zugemutet werden darf. Da ist die Opposition gefragt, für Wirbel zu sorgen. Angela Merkel hat immer betont, daß sie bereit sei, "für Deutschland Verantwortung zu übernehmen".

So verdingt sich die CDU-Chefin während der vorhersehbar kurzen Zeit, in welcher links mal nicht das Blut spritzt, als Pausenclown und mischt ihren eigenen Laden auf. Die CDU habe kein geschlossenes Konzept, das sie der Regierung gegenüberstellen könne, hänselt sie die Ihren. Zudem sei die Union nicht geschlossen genug, legt die Parteichefin noch eins drauf. Programm, Geschlossenheit, der CDU mag einiges fehlen, vor allem aber ist den Christdemokraten der Sinn für Humor abhanden gekommen, wie sich in der ersten Reaktion auf Merkel zeigen sollte.

Hat Roland Koch die feine Ironie in Merkels Geschlossenheitsballade nicht entdeckt? Den doppelten Boden nicht gesehen? Mit dem sicheren Instinkt des bekenntnislosen Taktierers hat es gerade Merkel geschickt vermieden, in irgendwelche Programmdebatten hineingezogen zu werden und sich lieber darauf beschränkt festzustellen, daß Rot-Grün "fasaakt" hat. Der Erfolg liegt auf der Hand: Fragt man irgend jemanden, wofür Angela Merkel in der CDU eigentlich steht, kommt der unweigerlich ins Grübeln. Nun bemäkelt ausgerechnet sie "programmatische Schwäche". Glänzend, diese Frau kann über sich selbst lachen. Das macht sie sympathisch. Nur Hessen-Koch kann darüber nicht lachen: Der giftet verbiestert, Merkel sei schuld, daß die Union so entscheidungsschwach aussehe, unter ihr dauere das Aussitzen noch länger als unter Kohl. Wie ungerecht: Die Zeiten sind schließlich härter geworden seit Kohl. Sogar in jenen besseren Tagen der Republik brauchte ein Helmut Kohl viele Jahre, bis er sie alle plattgesessen hatte, die längst vergessenen Konkurrenten und die Probleme, die seit ein paar Jahren ganz unvermutet wieder aufgetaucht sind. Da muß man Frau Merkel schon ein wenig Zeit geben, jetzt, wo alles so schwierig ist, weil jede kleine Lüge und jedes falsche Versprechen binnen weniger Monate mit einem lauten Knall im Haushaltsplan ("leider doch nicht bezahlbar") auffliegt.

Wenn man allerdings einmal mit dem Flunkern angefangen hat, muß man auch strikt dabei bleiben. Das weiß jeder Pferdedieb. "Deutschland hat den Stabilitätspakt nicht gebrochen", behauptet Finanzminister Hans Eichel. Die Meldung kam übers Internet, weshalb wir bedauerlicherweise sein Gesicht nicht sehen konnten, als er dies sagte. Leicht gerötete Bäckchen? Hat sich die Nase bewegt? Wir wissen es nicht, und dennoch können wir unseren Respekt nicht verhehlen. Wenn Deutschland nach seinem Ausscheiden aus dem Amt zur Pfandleihe wandert, sollte Eichel bei einem erstklassigen Geheimdienst anheuern. Wer solche Sprüche bringt, ohne sofort unter sich zu machen, dem kann man jede noch so heikle Mission anvertrauen.

Das stringente Flunkern hat den Vorteil, daß man nicht alle naselang seine Meinung öffentlich ändern muß - wie der Herausforderer von US-Präsident George Bush, John Kerry. Insbesondere mit dem Krieg hat er seine Probleme. Letztlich hängt seine Meinung zum Krieg davon ab, ob Amerika ihn gewonnen hat - und das weiß man ja leider immer erst hinterher. Als Wa-shington noch hoffen durfte, die Sandalen-Armee des Vietkong im Vorbeigehen zu zertreten, war Kerry enthusiastisch für den Vietnamkrieg. Als sich abzeichnete, daß es anders kommen dürfte, verwandelte sich der junge Kerry in einen glühenden Kriegsgegner. Beim ersten Golfkrieg war es umgekehrt: Erst lehnte er ihn ab, weil niemand ahnen konnte, wie elend der von aller Welt hochgerüstete Saddam Hussein auf dem Schlachtfeld versagen würde. Nachdem das jedoch raus war und die Schlacht gewonnen, lobte der heutige Präsidentschaftskandidat den Waffengang und war begeistert, als George Bush junior sich aufmachte, 2003 noch so einen formidablen und leichten Sieg gegen den orientalischen Diktator einzufahren. John Kerry war einer der entschiedensten Befürworter der Invasion vom März 2003.

Die Angelegenheit ist nach Anfangserfolgen bekanntlich etwas aus dem Leim gegangen und niemand kann mehr ausschließen, daß die größte Supermacht aller Zeiten eines Tages mit eingekniffenem Schwanz aus Bagdad abziehen muß. John Kerry hat sich auf diese Möglichkeit eingestellt und ist derzeit einer der heftigsten Kritiker von George Bushs Irakkriegspolitik.

Das offizielle Berlin verfolgt den möglichen neuen US-Präsidenten mit einer seltsamen Mischung aus Sympathie und Argwohn. Ein Linker, klar, den mag Rot-Grün. Aber gegen wen soll Schröder die nächsten Wahlen gewinnen, wenn ihm weder die Elbe (mit Überschwemmung) noch George Bush (mit dem nächsten Krieg) eine Rolle als Drachentöter anbietet? Es wird gemunkelt, Kerry könnte Berlin sogar um Geld und Soldaten für den Irak angehen, weil er militärische Niederlagen nicht schätzt und das Kriegeverlieren viel lieber den Verbündeten überließe. Wir müssen die Person des George W. Bush wohl ganz neu bewerten.

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