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Gedanken zur Zeit

 
     
 
Wieder einmal legte sich Bundeskanzler Gerhard Schröder publikumswirksam mit der Kommission der Europäischen Union (EU) an: „In Brüssel muß man zur Kenntnis nehmen, daß Deutschland eine Industriestruktur hat, die zu erhalten und zu pflegen auch im Interesse Europas ist. Das gilt auch vor dem Hintergrund der deutschen Leistungen: Eine Kuh, die man so kräftig melkt und die gute Milch gibt, muß man gelegentlich auch einmal streicheln“. Den Euro hatte Schröder schon lange, bevor die Einheitswährung die Portemonnaies der Bürger erreichte, eine „kränkelnde Frühgeburt“ genannt.

Jedermann weiß, daß die EU bei den Deutschen nicht gerade beliebt ist. Alle Umfragen bestätigen das. Auch der Euro, den Kohl und Waigel ihnen eingebrockt haben, ist nicht der Liebling der Deutschen, die ihn ungefragt in der Tasche haben und mit ihm die steigenden Preise bezahlen müssen. Die politisch korrekte
n Medien wollen obendrein die Bürger für dumm verkaufen, wenn sie behaupten, die Preiserhöhungen der letzten Wochen hätten „natürlich nichts mit dem Euro“ zu tun, sondern „alles mit den Menschen, die mit ihm umgehen.“.

In dieser Situation spielt Schröder den aufrichtigen Anwalt der guten deutschen Sache gegenüber der EU-Kommission. Deren Erklärungen, so Schröder, seien oft „einseitig“ und ließen die Sensibilität für die spezifischen deutschen Verhältnisse gelegentlich vermissen.“ Selbstbewußt hatte er schon früher festgestellt: „Wir sind 82 Millionen, die wichtigste Wirtschaftsmacht in Europa. Das muß man nicht raushängen, aber das muß man wissen.“ Natürlich weiß Schröder genau, daß die meisten Deutschen das gern hören. Er weiß auch, daß die politisch korrekten Euromanen in der Minderheit sind, die sich daran berauschen, daß Deutschland als weitaus größter Nettozahler Jahr für Jahr rund 23 Milliarden guter Deutscher Mark brav und artig auf den Altar Europas gezahlt hat und dies, in Euro umgerechnet, auch weiterhin tun wird.

Schröder weiß ebenso, daß es derzeit nicht gut um ihn steht. Jetzt ist „Schluß mit Lustig“. Die Zeit, in der ihm das Regieren Spaß machte, ist vorbei. Im Überschwang erster Regierungstage hatte er 1998 gesagt: „Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit signifikant zu senken, dann haben wir es weder verdient, wieder gewählt zu werden, noch werden wir wieder gewählt.“ Angesichts andauernder Massenarbeitslosigkeit, monströser Spendenskandale, Sozialabbau, verpatzter oder gar nicht erst begonnener Reformen und einer Außenpolitik zwischen „uneingeschränkter Solidarität“ mit Amerika und latentem Antiamerikanismus erscheint die Wiederwahl nicht mehr sicher.

Darum kommt das ungeliebte Richtlinien-Monster von Brüssel als Watschenmann dem deutschen Kanzler gerade recht, zumal die EU-Kritik aus dem Munde Schröders eine gewisse gewachsene Glaubwürdigkeit hat. Will doch die Frankfurter Allgemeine (FAZ) von einem „langjährigen sozialdemokratischen Weggefährten“ Schröders wörtlich gehört haben: Schröder sei „im Kern ein Anti-Europäer“. Im Gegensatz zum „europäischen Ansatz“ seines Vorgängers Kohl begreife Schröder die Europapolitik als „deutsche Interessenwahrung“. Der zwar nicht formelle, aber faktische „Blaue Brief“ aus Brüssel hat Schröder offenbar so genervt, daß er im Bundeskabinett unter Hinweis auf Brüsseler Entscheidungen erklärt haben soll, es gehe in Brüssel darum, Deutschland „kaputtzuschlagen“.

Über solche Töne erschrocken, warnt die FAZ, die ausgerechnet in der überbürokratisierten EU-Kommission die „Speerspitze der Liberalisierung gegen Verkrustungen“ sieht, vor einem Wahlkampf nach dem Motto: „Heimatpflege gegen europäische Zumutungen“. Unterstützung erhielt Schröder hingegen von dem CSU-Bundestagsabgeordneten Gerd Müller, der früher im Europaparlament Erfahrungen im Umgang mit der EU-Kommission gesammelt hat: „Die Liberalisierungspolitik der Kommission ist vielfach ein Hebel und ein Angriff auf gewachsene deutsche Strukturen“. So dürfe das deutsche Prinzip der Gleichwertigkeit der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Post und Sparkassen besonders im ländlichen Raum nicht in Frage gestellt werden. Gerade das aber würden „Liberalisierungen“ mit sich bringen, wenn in diesen Bereichen öffentlich-rechtliche, der Allgemeinheit verpflichtete Aufsichtsgremien durch privatwirtschaftliche „Manager“ ersetzt würden. Die Stärke des Wirtschaftsstandorts Deutschland werde abgebaut.

Schröders Kritik an der EU hat ein Tabu gebrochen. Die den politisch korrekten Medien sakrosankte EU wird erstmals auch von einem prominenten Vertreter der sozialistischen Internationalen aus nationalstaatlicher Sicht kritisiert. Solche Kritik war bisher regelmäßig mit dem Verdikt „Rechtspopulismus“ belegt worden.

Es ist an der Zeit, Stimmungen, die sich bei Wahlen in Österreich, Italien, Dänemark und anderswo Bahn gebrochen haben, in die Diskussion um die Zukunft des Kontinents einzubeziehen. Die Frage lautet: Soll sich die EU mehr und mehr zum zentralistischen und bürokratischen Umverteilungsmechanismus mit einem System unüberschaubarer „Töpfchenwirtschaft“ ohne wirkungsvolle demokratisch-parlamentarische Kontrolle entwickeln, oder soll sie wirtschaftlich zu einem Freihandelsbereich und politisch zu einem Verbund demokratischer Nationalstaaten mit gewachsenen sozialen Systemen werden? Letzteres wäre der Europa gemäße Weg, denn die demokratischen Nationalstaaten sind das Europäische an Europa.

Wenn in Italien Berlusconis Europaminister Buttiglione zur massiven EU-Kritik seines Ministerkollegen Bossi feststellt, dieser gebe den „berechtigten Vorbehalten“ vieler europäischer Bürger vor dem „Europa der Technokraten und der Hochfinanz“ Ausdruck, dann kommt er zum Kern des Problems. Bossi hatte unter Hinweis auf den „stalinistischen Superstaat“ Sowjetunion die freien und demokratischen Bürger aufgerufen, sich gegen die EU zu verteidigen. Das war gewiß harter Tobak.

Die FAZ, ganz auf der Linie der sozialistischen Internationalen, sah Bossi dann auch prompt in der „politischen Krabbelstube“, in der man „dahinplappert, was einem kindlichen Gemüt so alles einfällt“. Regierungschef Berlusconi hingegen stellte fest, Bossis Kritik müsse so verstanden werden, daß die Zukunft Europas nicht von Bürokraten, sondern von den Bürgern bestimmt werde. Recht hat er, denn es geht nicht darum, „die Bürger auf dem Weg nach Europa mitzunehmen“, wie die einschlägige Phrase der Euromanen lautet, sondern die Bürger zu fragen, zu welchem Europa der Weg führen soll.

 
     
     
 
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