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Gedanken zur Zeit: Königsberg - ein deutsches Unwort?

 
     
 
Unter der Überschrift "Neue Impulse für die Zusammenarbeit von EU und Rußland bei der Enwicklung der Region Kaliningrad" haben die Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP jetzt einen gemeinsamen Antrag im Bundestag eingebracht. Hinsichtlich der Zukunft des dreigeteilten Ostdeutschland sind die sonst häufig zerstrittenen Parteien offensichtlich einer Meinung. Stellen sie doch im Blick auf die Ostseeko-operation fest: "Deutschland hat wie alle Ostseeanrainer ein Interesse an gedeihlicher Zusammenarbeit in der Region. Es gibt zwar historisch spezifische Beziehungen zur Region Kaliningrad. Deutschland verfolgt jedoch heute keine besonderen Interessen in dem Gebiet. Deutschland legt Wert darauf, daß die EU in dieser Frage eine gemeinsame Haltung vertritt und gemeinsam neue Initiativen entwickelt." Penibel vermeidet der gemeinsame Antrag überdies die deutsche Bezeichnung "Königsberg" - obwohl im selben Antrag für "Stettin" und "Danzig" die althergebrachten deutschen Namen verwendet werden.

Dem Antrag ist zu entnehmen, daß Königsberg nunmehr auf die Tagesordnung der deutschen Politik gerät, gewissermaßen als eine Art Begleiterscheinung der sogenannten Osterweiterung
der Europäischen Union (EU). Zwar finden das von der Bundesregierung geförderte Deutsch-russische Haus und die Förderung der Euro-Fakultät der Universität ebenso Erwähnung wie die Kooperation einiger Bundesländer mit dem Gebiet. Aber in der sechsseitigen Bundestagsdruck-sache (14/9060) ist kein Raum für einen Blick auf die Jahrhunderte seiner preußischen und deutschen Geschichte, sondern nur die erwähnte lapidare Bemerkung, es gebe "zwar historisch spezifische Beziehungen zur Region Kaliningrad", aber Deutschland verfolge dort "keine besonderen Interessen".

Daß die aus Ostdeutschland vertriebenen Deutschen in ihrer Heimat privat und durch ihre Organisationen bei den Empfängern hochgeschätzte und gern entgegengenommene selbstlose Hilfe leisten, seit das in den frühen neunziger Jahren möglich geworden ist, und daß viele persönliche Beziehungen und Freundschaften zu den aus allen Teilen der früheren Sowjetunion dort angesiedelten Menschen entstanden sind, ist den Bundestagsfraktionen nicht der Erwähnung wert. Ein Wunder, daß die oft übliche Verdächtigung und Warnung vor Gefahren eines "Revanchismus" unterbleibt.

Dennoch bietet die Form des Antrags Anlaß zu der Mahnung, alles zu unternehmen, daß "der physischen Vertreibung der Deutschen nicht die Auslöschung des gemeinsamen kulturellen Gedächtnisses folgen darf", wie es unlängst in einer Publikation der Unionsfraktion hieß - derselben Fraktion, die den "Antrag zur Region Kaliningrad" mit unterschrieb.

Die deutsche Politik sollte wissen, daß gerade mit Blick auf die Osterweiterung unser Land in seinem "Humankapital" durch historisch gewachsene Verbindungen und Verbundenheiten, durch seine Erfahrungen und Lernprozesse die besten Voraussetzungen dafür bietet, diese Osterweiterung zu einem Erfolg werden zu lassen.

Es ist unbestritten, daß die Heimatvertriebenen einen erheblichen Beitrag zu dem geleistet haben, was man gemeinhin "Wirtschaftswunder" nennt. Jedenfalls waren und sind sie tüchtige Steuerzahler, und sie wissen, daß erhebliche Teile ihrer Steuern in die Kassen der EU zur Umverteilung fließen.

Darum ist es interessant, daß im Zusammenhang mit der Osterweiterung und nahezu gleichzeitig mit dem gemeinsamen Parlamentsantrag Bundeskanzler Gerhard Schröder das System des praktisch existierenden überdimensionalen Finanzausgleichs von Nord nach Süd und West in der EU in Frage stellt. Das ist eine Forderung, die seit langem überfällig ist und spätestens mit der Wiedervereinigung hätte realisiert werden müssen, als Deutschland seine gesamtdeutsche Aufgabe zur Bewältigung der Folgekosten des Sozialismus in der früheren DDR zu tragen hatte.

Schröder meint nun, Deutschland könne die bisherige Form der EU-Agrarpolitik in einer erweiterten EU nicht länger mittragen, und verlangt zugleich von den bisherigen Nutznießern höhere Leistungen zugunsten der neuen Mitgliedsländer im Osten. Wenn Schröder feststellt, "die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands ist erreicht", hat er damit recht, aber es hat doch sehr lange gedauert, bis ein deutscher Bundeskanzler diesen Mißstand öffentlich aufzeigt.

Es wird Zeit, darüber nachzudenken, ob die in ihren Grundstrukturen im Kalten Krieg entstandene EU nach dessen Ende auch weiterhin die richtige Organisationsform und der richtige Verteilungsmechanismus für das viel größere Europa vom Atlantik bis zum Ural ist. Ein Europa der Nationalstaaten, wie es der Europarat in Straßburg spiegelt, könnte dafür bessere Voraussetzungen bieten. Nicht zuletzt für Königsberg, denn Rußland als Mitglied des Europarats könnte an der Lösung der Probleme der Exklave gleichberechtigt mitwirken - und so vielleicht auch etwas gelassener mit seiner Kriegsbeute umgehe
 
     
     
 
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