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Gedenken an die Schauspielerin und Schriftstellerin Elisabeth Lindemann

 
     
 
Bei dem Ausflug in die Königsberger Umgebung, nach Preil, einem Besitz des Grafen Lehndorff, lernte im Juli 1885 Fräulein Lisbeth Küssner den Professor Lindemann kennen. Nach seiner Aussage haben sie sich dabei nur gestritten.

Elisabeth (Lisbeth) Küssner (* Königsberg 22. Juli 1861, † München 28. Februar 1936) war die Tochter des Schulrektors Albert Küssner († 1898) in Königsberg, dessen Vorfahren vier Generationen lang als Böttcher ins Königsberger Bürgerbuch eingetragen wurden. Auf Wunsch der Eltern sollte die Tochter etwas Ordentliches lernen. Als sie mit 18 Jahren das Lehrerinnen
examen abgelegt hatte, ließen die Eltern sie ihrer eigentlichen Neigung gemäß eine erfolgreiche Schauspielerin werden.

Der Herzog von Meiningen hatte eine Schauspielerin geheiratet. Sie gründeten ein für ganz Europa beispielgebendes Theater und entwickelten ein Musterensemble. Von diesem herzoglichen Theater in Meiningen wurde Elisabeth Küssner engagiert, sie war außerdem Vorleserin bei der Herzogin von Mecklenburg in Schwerin. Im Jahre 1885 gastierte das Meininger Hoftheater in Königsberg, und es kam zu der Begegnung zwischen dem 33jährigen Mathematik-Professor Ferdinand Lindemann von der Universität Königsberg und der 24jährigen Schauspielerin Elisabeth Küssner, bei der sie noch stritten. Der Herr Professor, der erst seit zwei Jahren in Königsberg wirkte, hatte beim preußischen Kulturminister Althoff um Umzugsgelder eingegeben, unter anderem auch für Möbel. Er hatte das Geld bewilligt bekommen, und so kam es am 28. Mai 1887 zur Heirat in der Königsberger Domkirche. Einer der Hochzeitsgäste war der Dichter Felix Dahn, der einen langen gereimten, ein wenig pathetisch klingenden Trinkspruch ausbrachte:

Wie es Plato gelehrt,

daß die ewge Idee

uns erschein im Gewande

des Schönen,

So erschaun wir

in diesem erlesenen Paar

sich die Kunst

mit dem Wissen versöhnen.

Und das Wissen gewinnt

unendlich dabei:

denn des Menschen Wissen

ist Stückwerk:

Doch des Weibes Schönheit,

sie ist, wie die Kunst,

ein von den Göttern

geschaffenes Glückswerk.

Nach der Hochzeit gab Elisabeth Küssner, verheiratete Lindemann, ihre damals sehr erfolgreiche Karriere als Schauspielerin auf und wurde zu einer treuen und engagierten Mitarbeiterin ihres Mannes bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten; sie übersetzte mathematisch-physikalische Werke aus dem Französischen ins Deutsche. Die Ehefrau selbst sagte: "Ich bin verheiratet und habe der Kunst ,Lebewohl gesagt, doch im Herzen lebt sie fort, so innig und treu und fest geliebt wie in den Zeiten der größten Schwärmerei."

Am 23. Mai 1889 wurde in Königsberg ihr Sohn Reinhard und am 4. November 1891 ihre gemeinsame Tochter geboren. Gemeinsames Interesse führte auch zu gemeinsamer Arbeit, zur gemeinsamen Übersetzung und Herausgabe wissenschaftlicher Werke fremder Sprachen, zum Beispiel des berühmten mathematisch-philosophischen Werkes "La Science et l Hypothèse" (Wissenschaft und Hypothese) des französischen Mathematikers Henri Poincare (1854-1912). In gemeinsamen Interessen trafen sich die Ehepartner Lindemann auch in der Archäologie, denn Ferdinand Lindemann berichtete über die "Hügelgräber der Bronzezeit nach Ausgrabungen in Radnicken und Jaugehnen" und schrieb später ein heute noch zitiertes Werk "Zur Geschichte der Polyeder und Zahlzeichen".

In die Königsberger Zeit Lindemanns fiel unter anderem auch die Bearbeitung des zweiten Bandes der "Vorlesungen über Geometrie" von Professor Clebsch, dem hochverehrten Lehrer Lindemanns in Göttingen, der rund 30 Jahre zuvor ebenfalls an der Königsberger Albertina sich das Rüstzeug für seine spätere be-deutende Lehrtätigkeit erworben hatte.

Nach zehn Jahren erfolgreicher Tätigkeit in Königsberg wurde Professor Lindemann 1893 an die Münchner Universität berufen, so siedelte die ganze Familie in die bayrische Metropole über. Hier hatte Elisabeth Lindemann vor Jahren als Schauspielerin auf der Bühne gestanden. Am 20. Oktober 1882 hatte sie in der Münchner Aufführung von Shakespeares "Perikles"die Marina gespielt. Im selben Jahr hatte Ferdinand Lindemann in Freiburg die Frage nach der Quadratur des Kreises negativ beantwortet.

Was von der Schauspielerei übriggeblieben war, Elisabeth Lindemann durfte mit ihren Kindern im Münchner Residenztheater Märchen vorlesen. In unvergeßlicher Weise hat sie ihren beiden Kindern und später ihren Enkelkindern Märchen erzählt.

In der bayerischen Residenzstadt setzte Elisabeth Linde- mann ihre schriftstellerische Arbeit fort, nun aber unter dem Pseudonym ihres Mädchennamens "Lisbeth Küssner". Nur so versteht man die Aufschrift auf ihrem Grabstein, wo "Schriftstellerin" geschrieben steht. Sie verfaßte einen Band Prosaerzählungen und zwei Märchenspiele, schrieb Zeitungsartikel und kulturhistorische Arbeiten über "München vor 100 Jahren", eine "Geschichte des Klosters Tegernsee" sowie heimatliche Erzählungen und Märchen.

Am Tegernsee hielt sich die Familie gerne auf, man fühlte sich jener Gegend verpflichtet, sie zeigten sich in Tegernseer Tracht und besaßen dort auch ein Haus, das sie leider infolge der Inflation verkaufen mußten. Professor Lindemann gehörte zu den Gründungs- und Vorstandsmitgliedern der Sektion "Königsberg" des Deutschen Alpenvereins, die sich 1890, noch in den Königsberger Jahren, konstituierte und 1928 oberhalb von Werfen im Salzburger Land die Ostdeutschlandhütte errichten ließ.

Die Begeisterung für die Berge hatte auch den Sohn Reinhard ergriffen, doch fiel er im Jahre 1911 einem Bergunfall im Wilden Kaiser bei Kufstein zum Opfer. Elisabeth und Ferdinand Lindemann bauten eine Brücke zwischen der Heimat in Königsberg und München. In der bayerischen Hauptstadt schlossen sie sich eng an den Kreis ostdeutscher Wissenschaftler um Drygalski und Sommerfeld an. Beide waren treue Mitglieder des im Jahre 1920 gegründeten "Vereins heimattreuer Ost- und Westpreußen in Bayern".

Elisabeth Lindemann, die Schauspielerin aus Königsberg, oder Lisbeth Küssner, die Schriftstellerin in München, erlebte noch die vielen Ehrungen ihres Mannes. Ferdinand Lindemann war 1904 bis 1905 Rektor der Universität München, 1905 erhielt er den Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst, zu Weihnachten 1917 erhob ihn König Ludwig III. in den Adelsstand, so daß auf ihrem Grabstein "Schriftstellerin Lisbeth von Lindemann geborene Küssner" zu lesen ist, "* 22. Juli 1861 † 28. Februar 1936". Sie starb drei Jahre vor ihrem Mann, der bereits 1923 emeritiert worden war. Sie wurde 74 Jahre alt. Ihr Leichnam wurde eingeäschert und die Urne mit der Asche im Grab ihres Sohnes im Münchner Waldfriedhof beigesetzt. In demselben Grab wurde 1939 ihr Mann erdbestattet, desgleichen am 26. Februar 1971 ihre Tochter Irmgard Lindemann, verheiratete Balser, die für Nachkommen gesorgt hat. "Der heimattreue Ost- und Westpreuße" würdigte sie in einem Nachruf. Harry Herbert Tobies

 

Ludwig II.: Elisabeth Küssner, die in einer der Privataufführungen für den menschenscheuen Bayernkönig auftrat, schrieb, als sie von dem tragischen Tod des romantischen Märchenkönigs erfuhr, in ihr Tagebuch: "Ich habe heiß und innig ein Vaterunser für seine Seele gebetet. Gott helfe ihm, daß er dorten finden möchte, was ihm sein ganzes, stolzes Königreich nicht geben konnte; ewigen Frieden - ewiges Glück - gewiß nun findet es seine arme Seele."

Letzte Ruhestätte: Die Inschrift des Grabes von Elisabeth und Ferdinand von Lindemann
 
     
     
 
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