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Geprägt von östlicher Heimat - Dichter und Schriftsteller Rudolf Borchardt

 
     
 
Ich konnte sehr früh lesen und hatte früh zerlesene und verschlungene Bücher", schreibt ein Mann in seinen Lebenserinnerungen, der als Dichter schon von seinen Zeitgenossen so sehr mißverstanden werden sollte. Rudolf Borchardt, der sich als "dankbarer Sohn der aus dem Geiste der Romantik wiedergeborenen deutschen Universität" sah, knüpfte mit seinem Werk, "nicht an die mir nichtssagende zeitgenössische Poesie" an, "sondern an die in Wissenschaftsformen geschichts
chemisch gebundenen Geisterreste der deutschen Poesie großen Stils und vorbürgerlichen Zeitalters. Seit 1898 die Erneuerung der deutschen Dichtung durch Stefan George und Hugo von Hofmannsthal mir auf dem entscheidenden Punkte einer Entwicklung vonstatten kam", so Borchardt, "habe ich daran gearbeitet, mir jene gebundenen Bestände wieder frei zu spalten und zu Geist und Körper eines Ganzen zu erheben." "Ich bin am 9ten Juni 77 meinen in Moskau lebenden Eltern auf einer Heimreise meiner Mutter in Königsberg geboren worden. Beide Eltern entstammten Königsberger Häusern. Obwohl ich meine Vaterstadt seit dem kaum wiedergesehen habe, fühle ich mich nach Familientradition und geistiger Anlage mit Stolz als Ostdeutschland …", schrieb der Dichter (vermutlich im August 1929) in einem Selbstporträt für einen Faltprospekt des Berliner Horen-Verlages. Einige Jahre zuvor noch hatte er in seiner Autobiographie festgestellt: "Meine Erinnerung enthält für meine ersten Jugendjahre keinerlei Bilder. Was mir erzählt worden ist, hat auf meine Entwickelung schlechterdings keinen Einfluß geübt. Königsberg von woher der Geburtsschein mich schreibt, habe ich nie gesehen und gekannt, außer als schlummernder Säugling …"

Aufgewachsen ist Borchardt in Berlin und Wesel, wo er seine Reifeprüfung ablegte. Er studierte zunächst Theologie, später klassische Philologie, Archäologie und Germanistik in Berlin, Bonn und Göttingen. Nachdem er sich studienhalber einige Zeit in England aufgehalten hatte, begab er sich 1903/04 nach Italien, wo ihn vor allem die Toskana faszinierte. Dort fand der Königsberger seine Wahlheimat, die er auch in literarischen Essays immer wieder schilderte. Am Ersten Weltkrieg nahm Borchardt als Freiwilliger teil, zuletzt als Offizier in einem Stab an der Front in Italien. Vier Jahre nach Kriegsende zog er erneut in die Toskana. Dort wurde er 1944 als Jude von der Gestapo verhaftet, konnte allerdings fliehen. In Trins bei Innsbruck, wo er mit seinen Lieben Unterschlupf fand, starb er am 10. Januar vor nunmehr 50 Jahren. Sein schriftstellerischer Nachlaß wird seit 1989 im Deutschen Literaturarchiv in Marbach/Neckar gepflegt. Die 1954 in Bremen auf Initiative von Rudolf Alexander Schröder und Marie Luise Borchardt gegründete Rudolf-Borchardt-Gesellschaft hat seit 1983 ihren Sitz in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste in München; sie ist bestrebt, die fundierte Auseinandersetzung mit dem Werk des Schriftstellers und Dichters zu fördern.

Ein Ostpreuße war es, ein Theologe, Dichter und Denker, der den jungen Rudolf Borchardt in seiner tiefsten Seele erschütterte und ihm den Weg zur Dichtung wies. Er hat diese "Begegnung" in einem Brief an Hugo von Hofmannsthal 1924 einmal beschrieben: "… ich hatte zum ersten male, was ich suchte. Meine leidenschaftliche Unruhe und Geduld war keine Kinderkrankheit gewesen, sondern gerechter nötiger Drang in ungerechter und unverdienter, unwürdiger Lage … Der Dichter war Dichter nicht durch Kunst – es gab keine Dichtkunst. Er war da als Mensch, durch Menschheit. Sprache war Dichtung. Wort war Ausruf, nicht Bezeichnung … Die Vorgestellte Welt wie die sinnliche gehörte allen. Da stand es. Auf dem Titel stand: ,Die älteste Urkunde des Menschengeschlechts von Johann Gottfried Herder‘ …"

So sieht denn auch Professor Dr. Helmut Motekat in Borchardt einen östlichen Menschen, geprägt von seiner östlichen Heimat. "Es war", so Motekat in seiner "ostdeutschen Literaturgeschichte" (München, 1977), "nach Herkunft und Begabung – auch in dem Nebeneinander von Poetischem und kritischem Talent – sehr viel Östliches in Borchardt, durch Ostdeutschland ins Idealistisch-Patriotische gelenkt. Wie Herder", so Motekat weiter, "wollte Rudolf Borchardt sein deutsches Volk bilden, es sprachbewußt und geschichtsbewußt machen. Wie Herder sah er im Erinnern und Wiederherstellen von Vergangenem und Vergessenem die Kräfte für die Gestaltung des Gegenwärtigen und Zukünftigen […] In ihm war Hamanns und Herders Erkenntnis der Sprache und des Ursprünglichen und zugleich die Offenheit des Blicks für die große Dichtung der Weltliteratur lebendig …" So dichtete Borchardt Dante und Pindar nach und versuchte Shakespeare und Calderon "kongenial" ins Deutsche zu übertragen.

Auch Borchardt selbst leugnet den Einfluß seiner Herkunft auf sein Wirken nicht. So betont er, die Schilderung seines Lebens von ihm selbst wolle vor allem eines aufzeigen – "die Bedeutung des Königsbergischen und Ostdeutschen für alles was entscheidend auf meine erste Jugend gewirkt hat. Es ist mir durch Mittelbares zugekommen, aber dadurch verstärkt und nicht geschwächt …"

Der Ostpreuße Rudolf Borchardt hatte sich für sein Schaffen ein hohes Ziel gesetzt. Ob er es je erreicht hat, darüber mag die Nachwelt sich noch heute streiten. "Ich werde mich damit begnügen wenn die Folgezeit mir zuerkennt, die erstarrte deutsche Dichtersprache und die starre Schattenwelt der zeitgenössischen Menschendarstellung noch einmal in Fluß gebracht und mit Schicksal das heißt mit Gedächtnis und Hoffnung erfüllt zu haben. Ich habe mich nie daran gekehrt ob meine Schriften augenblicklichen, oder überhaupt, Erfolg haben könnten. Sie finden kein Publikum vor, sondern sie müssen es sich bilden. Sie sind die Brücke für jeden, der auf meinem Lebenswege sich von der treibenden Scholle der Zeit auf das Festland des Ewigen retten will …" – Ein Vermächtnis, das man gerade in unserer Zeit nicht unterschätzen sollte. Peter van Lohuizen

 
     
     
 
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