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Geschichten des Verlustes

 
     
 
Wolf Jobst Siedler und sein Freund Joachim Fest gerieren sich gern als die beiden letzten Bürger. Diese Form der Selbstbeweihräucherung ist bisweilen schwer erträglich. Doch sieht man von der Inszenierung ab, haben die beiden Publizisten natürlich einiges in die Waagschale zu werfen.

Zum 80. Geburtstag Siedlers ist jetzt ein schmaler Band mit dem Titel "Wider den Strich gedacht" erschienen. Er versammelt Beiträge, die der Berliner Journalist zwischen 1958 und 2000 für den "Tagesspiegel
", die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die "Welt", die "Neue Zürcher Zeitung" und andere Organe geschrieben hat. Ziemlich überflüssig ist der Abdruck einiger Briefe von Martin Buber, Heimito von Doderer, Martin Walser, Friedrich Sieburg, Ernst Jünger und Albert Speer. Der Leser gewinnt den Eindruck, als sei dieser Abdruck nur der eigenen Eitelkeit geschuldet. Spannend oder aussagekräftig sind die Texte nicht unbedingt.

Siedlers kulturkonservative Einlassungen zur Architektur, zum Berliner Stadtbild oder zu Preußen sind allgemein bekannt. Als Literaturkritiker hat man ihn nicht mehr so stark in Erinnerung. Schon in jungen Jahren war er Feuilletonchef des "Berliner Tagesspiegel".

Doch mit der zeitgenössischen Literatur nach 1945 konnte und kann er wenig anfangen. Es gebe keine Romane mehr, die man gelesen haben müsse, weil man darüber spreche, dekretiert er bereits 1959. Deutschland fehle eine literarische Öffentlichkeit.

Diese Beobachtung führt Siedler darauf zurück, daß die bundesrepublikanischen Autoren überpolitisiert seien, und das ruiniere selbst die besten Bücher. Als Uwe Johnson mit seinen "Mutmaßungen über Jakob" die Bühne betritt, jubiliert der bürgerliche Ästhet: "Endlich eine neue Stimme." Der Held des Johnsonschen Buches erinnert ihn an Parzival oder den Simplizissimus.

Ansonsten ist Siedler von den Büchern geprägt, die er in seiner Jugendzeit gelesen hat: "Die Götter der Jugend aber bleiben einem heilig, auch wenn inzwischen an anderen Altären geopfert wird. Um ein Beispiel aus der eigenen Erfahrungswelt zu geben: Der junge Hemingway bleibt einem unvergeßlich, und auch jener Scott Fitzgerald ist mir ein Sprachwunder, selbst wenn inzwischen Legionen von anderen Autoren an seine Stelle getreten sind. Man erinnert sich der Tage und Wochen, da man ihren Büchern zum ersten Mal begegnete. Den Frühling sieht man noch vor sich, spürt den Geschmack des frischen Grüns, das einen umgab, als man im Schwarzen Grund ,Farewell to Arms zum ersten Mal fast atemlos las, und die Begegnung mit dem ,Großen Gatsby ‚ wurde durch nichts Späteres verdrängt, auch wenn man an John Udpides Rabbit-Romane nicht vorüberging."

In dem einzigen Originalbeitrag des Bandes "Bei Besichtigung meiner schriftlichen Hinterlassenschaft" kommt der Autor auch auf das Thema Alter zu sprechen, das zur Zeit ja in aller Munde ist. Selbst die Alt- und Uraltgewordenen, so Siedlers Überzeugung, leisteten ihr Bestes in der Jugend. Ein Beispiel: Arthur Schopenhauer habe sein Hauptwerk "Die Welt als Wille und Vorstellung" mit 30 Jahren zu Ende gebracht, und die nächsten vier Jahrzehnte habe er dann nur noch daran gefeilt. Fälle anhaltender Produktivität, die sich bis ins hohe Alter bewährt, seien hingegen selten.

Leider muß man sagen, daß Siedlers 2000 und 2004 erschienenen, weitschweifigen und etwas ungeordneten Erinnerungsbücher seine These bestätigen.

In seinem Element ist der Verfasser immer dann, wenn es um die Historie Preußens geht.

Er erzählt sie vor allem als eine Geschichte des Verlustes. So machte er bereits 1965 darauf aufmerksam, daß in der Nachkriegszeit kein Berliner, kein Preuße, kein Ostpreuße und auch kein Schlesier einen nennenswerten Einfluß auf die Geschicke der deutschen Politik gehabt habe; eigentlich auch kaum ein Norddeutscher, der im weiteren Sinne zur preußischen Einflußsphäre gerechnet werden könne.

Und entgegen der Legende, daß Hitler eine direkte Folge des Preußentums gewesen sei, erinnert Siedler daran, daß mit dem 20. Juli 1944 noch einmal der Osten Deutschlands nach vorn trat, "kurz vor seinem Untergang". Dies sei ein nobler Abschied gewesen, "nun ganz als Opfer und nicht als Täter".

Preußen, dieser Staat ohne Dauer, hatte fünf Jahrzehnte Dürrezeit, dann die fünf Jahrzehnte von 1770 bis 1820 und schließlich noch einmal jene fünf Jahrzehnte, die mit 1933 endeten; dann war alles vorbei. "Preußen, der Außenseiter, der Fremdling auf der Szenerie der Zeit, ist darin ganz deutsch, daß es keine Dauer kennt", schreibt Siedler. Der Schmerz hierüber ist dem konservativen, auf Tradition bedachten Grandseigneur noch heute anzumerken.

Wolf Jobst Siedler: "Wider den Strich gedacht", Siedler Verlag, München 2006, 256 Seiten, 19,95 Euro
 
     
     
 
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