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Gottes Helfer

 
     
 
Es war ein lichtblauer Sommertag, und Anton fand das Leben schön. Er saß kerzengerade in grausilberner Livree auf dem Bock und hatte Order, die alte "Frau Gnädige", wie sie nach dem Tod ihres Mannes und der Heirat ihres Sohnes von allen genannt wurde, abzuholen. Es gab nämlich auf Gut Margrittenstern etwas zu feiern. Lieber Besuch war angekommen. Anton hatte jetzt das Dorf durchfahren und ließ die Pferde
flott auf dem leichten Sommerweg traben. Durch das Blätterdach der schattenspendenden Linden malte die Sonne goldene Kringel auf den Weg. Doch da wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Die Pferde wurden unruhig, und schon lange bevor er den Garster Knick erreicht hatte, hörte er ein mordsmäßiges Geknatter und rabastliges Brummen, das schnell näher kam. Wird wohl wieder so e damlige Stänkerdorismaschin sein, dachte er noch, und dann ging alles ganz schnell. Kurz vorher hatte der Motor des Sportautos noch einmal aufgeheult, das ließ die Pferde scheuen, sie stiegen auf, gerieten in Panik. Anton versuchte noch zu lenken, zu beruhigen, aber der Wagen kippte um. Anton wurde herausgeschleudert, blieb jedoch mit dem Fuß hängen und wurde erbarmungslos mitgeschleift.

Ja, dieser Tag war nun ganz anders verlaufen als vorgesehen. Anton hatte ein zerschmettertes Bein, welches nicht zusammenheilen wollte. Jetzt war Baltus erster Kutscher auf dem Gut geworden, und das schmerzte Anton bald noch mehr als sein Unglück. Der Herr Baron hatte ihm aber fest in die Hand versprochen, daß er seinen Posten wiederkriegen würde. Lisa, Antons Frau, konnte in letzter Zeit kaum noch einschlafen, immer diese Angst, was wird werden, wenn der Ehemann und Vater von drei Kindern ein Krüppel ist. Anton beruhigte sie dann immer, daß er ja wieder gesund werden würde. "Öck wöll, öck kann on öck mott!" Das waren immer seine Worte. War schon wedder ware, dachte dann auch Lisa.

Sie vertraute aber auch auf den lieben Gott. Zu ihm betete sie morgens und abends und zwischendurch beim Brotkneten und Kartoffelschälen. Anton lag das nicht so. Trotzdem setzte er sich aber mit ihm auseinander. Er redete sogar plattdeutsch mit ihm, das flutschte besser. Und dann konnte er schon mal fordernd, fast drohend zu Gott sagen: "Nu help mi doch endlich, sittst du denn nich, wie et öm ons steiht? De Kinder ware mett jedem Dag grätter on grätter, on mien Liske weet nich, wie oft se dem Dittke noch ömdrelle sull."

Lisa sparte an allen Ecken und Enden. Und die Mutter half auch mit, und die Geschwister hatten auch immer was im Korb. So hatte sie bald alles für die Weih-nachtsbäckerei zusammen. Mehl, Zucker, Honig, Mandeln, Butter gab die Kuh, und Eier lagen im Stall. Fleisch war eingesalzen, eingeweckt, auch geräuchert. Kartoffel, Getreide, Brennmaterial gab es vom Hof. Selbst Onkel Ferdinand brachte ein Sackchen rotbackiger Äpfel, weil er nicht mehr so gut beißen konnte, wie er meinte. Gestern war nun die Schwägerin mit zwei Kakeln vorbeigekommen. Wildenten von der Ostsee, ihr Mann hatte sie geschossen. Sie waren immer nur für eine kurze Zeit da. Essen wollte Lisas Bruder sie aber nicht, denn das Fleisch war tief dunkelrot und schmeckte etwas tranig. "Wenn nich willst", hatte die Schwägerin gemeint, "denn nimm wenigstens die Federn, füre Stuhlkissen sind se gut genug."

Weihnachten feierten sie zusammen. Das Beschenken der Kinder wollte kein Ende nehmen. Weihnachtsmann war wie immer der Karl. Schon immer auf dem Gut lebend war er alt und etwas krummbeinig geworden. Er hatte wieder den alten Pelz ausgekrempelt und die Pelzmütze vorgeholt. Der Bart war schon etwas fadenscheinig, aber die Kinder würden es nicht merken. Natürlich hatten alle drei ein Gedicht gelernt, wenn auch leicht widerstrebend. "Vom Himmel in die tiefsten Klüfte ein heller Stern herniederlacht, vom Tannenwalde steigen Düfte und ziehen durch die Winterlüfte und kerzenhelle wird die Nacht." Ohne zu stottern und mit tiefem Knicks konnte Dora alle Verse aufsagen. Peter war nun doch froh, daß er auf Mutters Rat gehört hatte. Weil er etwas faul war, wollte er nur was Kurzes aufsagen: "Wiehnachtsmann, du witter Krät, bring mi Äppel on Päpernät, singe, bäde kann öck nich, Wieh-nachtsmann verjät mi nich." Mutter meinte, daß das zu frech war, und so mußte er das vom Christkind aufsagen, welches in den Wald gegangen war und mit seinem Schleier überall hängenblieb. Warum mußte das dumme Ding denn aber auch bei der Kälte, bloß mittem Schleier, durchem Wald mit die spickrigen Nadeln jehen? Das wußd doch jeder!

Karl sah sehr würdig aus, wie er so aus seinem großen Buch alle Untaten der Kinder vorlas. Ab und zu ließ er die Rute spielerisch durch die Finger gleiten. Endlich, endlich nahm er den Sack von seinem Puckel, groß war denn das Wundern und Staunen über die schönen Geschenke.

Aber als sie dem Weihnachtsmann danken wollten, war er schon gegangen. "Oawer geredt hätt he wie de Knecht Karl vom Hoff", meinte Peter. "Oawer vleicht woahnd he ok ön onsrer Jegend." - "Dammelskopp", ereiferte sich Dora, "der lebt doch im Himmel, wo er das ganze Jahr über mit seinem Spekuliereisen, dem er auffe Nas hat, auffe Erd runterkuckt." - "Aber auch mit dem Fernkuckrohr", vollendete Heiner bedächtig. Er wußte nämlich Bescheid, hatte er doch mal beim Herrn Baronche durches Fernglas sehen dürfen.

Wochen waren seitdem vergangen, und Antons Gips sollte heruntergenommen werden. Lisa wurde es ganz schlecht, als sie durch die langen Flure im Krankenhaus ging. Sie mußte lange warten. Endlich aber schwangen die Türen auf, und heraus kam Anton. Seine Augen waren feucht, und er sah ganz verklärt aus. Ohne Gips und nur mit einer Krücke kam er auf Lisa zu. Sie wagte ihn gar nicht zu berühren, streichelte nur immerzu seinen Arm. "Is ja gut, is ja alles gut gegangen, Marjellche", sagte er ein über das andere Mal. Dann gab er ihr mitten unter allen Leuten einen herzhaften Butsch. Der Professor schüttelte ihnen die Hände. "Alles braucht seine Zeit, liebe Frau Meiske", sagte er zu Lisa und war genau so froh wie Anton. "Aber wenn Ihr Mann nicht so viel Kraft und Wollen gehabt hätte, allein wäre es mir nicht gelungen. Ich habe auch nicht immer solche Patienten, die so unbeirrt an ihren Herrgott glauben. Ich war dabei nur Gottes Helfer und habe ihm dienen können." N

 

Thea Weber: Einsame Häuser in Winterlandschaft (Aquarel
 
     
     
 
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