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Göre mit Einzelkind-Syndrom

 
     
 
Ein Familientherapeut würde Berlin die Merkmale "Einzelkindsyndrom" und "zerrüttete Familienverhältnisse" attestieren. Die heutige Bundesrepublik war in Ost und West gespalten, und beide Staaten umsorgten ihren jeweiligen Teil Berlins - genauso wie geschiedene Eltern um die Gunst ihres Sprößlings wetteifern.

Der Osten: Hier gab es zwar keinen Mangel an Beschäftigten in pseudowissenschaftlichen Marxismus-Instituten oder in Einrichtungen zur Unterdrückung der eigenen Bürger, aber an Bauarbeiter
n, Taxifahrern oder Handwerkern. Trotzdem wurden alle Kräfte in Berlin konzentriert, um das Antlitz des Sozialismus aufzuhübschen.

Der Rest Mitteldeutschlands verfiel zusehends. Die "Hauptstadt der DDR" war mit einer Zuzugssperre belegt. Hier wohnten zwar auch prominente Regimegegner, aber auch besonders viele Regierungsangestellte: SED-Funktionäre und -Profiteure.

Der Westen: Die freie Stadthälfte war abgeschnitten vom Bundesgebiet und wäre nicht lebensfähig gewesen ohne die Hilfe der anderen Länder. Doch das süße Gift der Subventionitis drang in alle Adern des Wirtschaftslebens und schuf eine Anspruchsmentalität, die ihresgleichen sucht.

Es gab Subventionszulagen, acht Prozent Berlinzulage für alle Arbeitnehmer (heute müssen sie, statt etwas draufzubekommen, wie alle anderen den Solidaritätsbeitrag leisten), Zuschüsse zu Berlinflügen und jede Menge Geld aus Bonn für den Senat (die Hälfte des Haushalts!).

Wer eine Fabrik baute, bekam 7,5 Prozent Investitionszulage, für Maschinen gab es unter Umständen das Doppelte. So blieb die industrielle Basis erhalten, aber sie war nur wegen der Subventionen - nicht wegen der Rentabilität - da. Die großen Firmen hatten längst ihren Sitz nach Westen verlegt: die Banken nach Frankfurt, Siemens und die Allianz nach München. Berlin hingegen zog vor allem Subventionserschleicher und Wehrdienst-Flüchtlinge an, aber nicht risikobereite Firmengründer. Kein Wunder, daß es nirgendwo mehr öffentlich Bedienstete gab als in Berlin.

Ab 1990 war dann alles anders. Auf einmal fürchteten die Potentaten anderer Bundesländer die Multimillionenmetropole Berlin, die zum Moloch würde und das "föderalistische Gleichgewicht" gefährde. Fünf Millionen Einwohner - oder doch zehn wie London? - erschienen plötzlich möglich. Da bangten nicht wenige Ministerpräsidenten, daß ihre kleinen Metropolen verblassen könnten angesichts des neuen Glanzes der alten Hauptstadt. Deswegen wurden sämtliche Zuschüsse schnell gestrichen. Das traf nicht nur die Berliner Bürger unvorbereitet, sondern auch die politische Führung der Stadt. Alle hatten sich an das Leben mit Transferleistungen gewöhnt.

Der Berliner Schuldenberg von neun Milliarden Euro im Jahr 1990 entsprach dem anderer westdeutscher Flächenstaaten. In den Folgejahren wurden die übertriebenen Erwartungen enttäuscht. Trotzdem hatten die Herrschenden weiter die Spendierhosen an. Der Schuldenberg versechsfachte sich so auf gegenwärtig 60 Milliarden Euro.

2005 erhielt die Stadt das meiste Geld aus dem Länderfinanzausgleich (2,4 Milliarden) und lag an zweiter Stelle (hinter Sachsen) bei den Bundesergänzungszuweisungen aus dem "Solidarpakt 2" (2,8 Milliarden). Trotzdem mußte Berlin mehr neue Schulden (3,5 Milliarden) machen als jedes andere Land. Mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen, aber da wohnen immerhin 18 Millionen Einwohner - und nicht dreieinhalb.
 
     
     
 
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