|  | Aber selbst Umverteilungsfundamentalisten wie der Ex-Kommunist und heutige     Grünen-Vorsitzende Jürgen Trittin dämpften hochgespannte Erwartungen: "Es gibt     wenig umzuverteilen", erklärte er auf dem Kleinen Parteitag der Grünen nach der     Bundestagswahl. Die Delegierten dieses "Länderrates" folgten  wenn auch     murrend und knurrend, so daß Trittin und sein Vorstand "bestätigt und     bestärkt" in die weiteren Verhandlungen mit der SPD gehen können.
 Die im Länderrat versammelten Grünen hatten kaum Gelegenheit zum Jubeln. Nur einmal     kam Beifall auf, als Trittin über das von der neuen Koalition bereits fest vereinbarte     Sofortprogramm für 100 000 arbeitslos
   e Jugendliche sprach. Realistisch betrachtet,     handelt es sich bei diesen Bildungsmaßnahmen für junge Menschen um ein typisches     Programm aus dem Fundus staatlicher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. 
 In den Bereichen, die nichts kosten, werden sich die neuen Koalitionspartner vermutlich     schnell einig werden. So lassen erste Äußerungen von SPD und Grünen darauf schließen,     daß kurzfristig auf den deutschen Autobahnen ein Tempolimit von 120 bis 130 km/h     beschlossen werden könnte. Beide Seiten seien "ganz dicht zusammen", erklärte     der SPD-Umweltpolitiker Michael Müller. Schröder hütete sich, das Tempolimit scharf zu     dementieren, sondern sagte nur, darüber sei noch nicht beraten worden. Aber er warnte vor     Attacken gegen das Auto.
 
 Der Benzinpreis ist nur ein Teil des rotgrünen Schlachtfeldes. Daneben gibt es Strom     und Heizung, die ebenfalls teurer werden sollen. SPD und Grüne benötigen viele     Milliarden, die sie in die Sozialversicherung pumpen wollen, um die Beiträge und damit     die Lohnnebenkosten senken zu können. Eine gefährliche Rechnung. Denn wenn die Bürger     tatsächlich weniger fahren, die Heizungen runterdrehen und nicht mehr so warm duschen,     kommt weniger Geld in die Staatskasse, und die Bilanz geht nicht mehr auf. Schröder und     Lafontaine stünden dann vor einem Haushaltsloch, das sich vor Kohl und Waigel nicht     einmal in Albträumen öffnete.
 
 Während Rote wie Grüne in Finanzierungsangelegenheiten bei der Frage nach der exakten     Bilanzierung kleinlaut werden, streiten sie sich in anderen Bereichen um so heftiger. Denn     das Fell des Bären (Ministerposten) ist zu verteilen. Die Grünen wollen von Schröder     vier Ministerposten, um ihre Frauenquote einhalten zu können. Die SPD bietet bisher nur     zwei an. Neben dem für das Außenministerium vorgesehenen Joseph Fischer strebt auch     Trittin ins Kabinett (vermutlich Umweltressort). Die grüne Quotenpartei braucht also     mindestens ein drittes Amt, um eine Frau in einer Spitzenposition vorweisen zu können.
 
 In der SPD werden die personellen Konturen klarer. Die sich verdichtenden     Personalpläne lassen Lafontaine als Finanzminister mit weiteren Zuständigkeiten aus dem     Wirtschafts- und Außenministerium zum eigentlichen starken Mann der Regierung werden. Der     erste grüne Außenminister Fischer würde durch den Verlust der Europa-Abteilung kräftig     "gerupft". Lafontaine will die EU-Zuständigkeit insbesondere deshalb, weil er     nach Haushaltskonsolidierung und Steuerreform den Wechsel nach Brüssel als künftiger     Präsident der EU-Kommission (Nachfolger von Jaques Santer) anstrebt.
 
 Da dem Wirtschaftsministerium auch die letzten Zuständigkeiten für Geldwirtschaft und     Kreditwesen entzogen werden sollen, wird der Unternehmer Jost Stollmann wohl mit Teilen     des Bildungsressorts aufgewertet, bleibt aber in Wirtschaftsfragen das, was er vor der     Wahl war: eine Art Schattenminister. SPD-Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering soll     auf jeden Fall eine wichtige Aufgabe übernehmen, das Verkehrsministerium oder den     Fraktionsvorsitz. In diesem Falle könnte der bisherige Oppositionsführer Scharping zum     Problem werden, wenn er nicht mit einem Ministeramt entschädigt würde.
 
 Ob der frühere Terroristen-Anwalt Otto Schily Innenminister werden kann, hängt von     der Zahl der Ämter ab, die Schröder an die Grünen abgeben muß. Bekämen diese das     Justizministerium, würde die für dieses Ressort vorgesehene Herta Däubler-Gmelin das     Innenministerium übernehmen und Schily ausstechen. Der Düsseldorfer Wirtschaftsminister     und Schröder-Berater Bodo Hombach wird Kanzleramtschef. Daß IG Metall-Vize Walter     Riester Arbeitsminister wird, steht so gut wie fest.
 
 Doch die Bürger dürften sich nicht nur für die neuen Bonner Gesichter interessieren,     sondern noch mehr für das, was die künftige Koalition für sie bringt. Die     Versprechungen waren ja umfassend: Rücknahme aller Kürzungen im Sozial- und     Rentenbereich etwa. Doch SPD und Grüne haben angekündigt, jeden noch so marginalen     Beschluß vorher auf Ausgabenwirksamkeit überprüfen zu lassen. Und die Mehrwertsteuer     soll nicht erhöht werden. Reicht das Geld nicht, wandert das Projekt in die Rubrik der     unverbindlichen Absichtserklärungen. Wenn SPD und Grüne ehrlich bleiben, wird ihre     Koalitionsvereinbarung viel Unverbindliches enthalten müssen.
 
 
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