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Hetzer haben Konjunktur

 
     
 
Das offizielle Bonn wird nicht müde stolz herauszustreichen, wie sehr durch den Kampfeinsatz der Bundeswehr in Jugoslawien das "Ansehen Deutschlands bei seinen westlichen Verbündeten gestiegen ist". Vom "Ansehen" unseres Landes im Osten, namentlich in Rußland, erfährt man in diesem Zusammenhang – bezeichnenderweise – nichts. Die Diagnose ist bitter: Noch immer ist das politische Bewußtsein unserer politischen Führung nicht in der Mitte Europas angekommen.

Währenddessen braut sich im Osten eine Stimmung zusammen, die ganz und gar nicht ins Bild eines friedlich zusammenwachsenden Europas passen will. Schon wird von Übergriffen auf Deutsche im nördlichen Ostdeutschland
berichtet. Ihre weißrussischen Nachbarn hätten sie überfallen, geschlagen und gefoltert, berichtet eine alte ostdeutsche Bäuerin einem deutschen Fernsehsender. Im Gesicht sind Spuren von Gewalt nicht zu übersehen, die Frau ist verzweifelt. "Grund" für das Attentat: der deutsche Einsatz gegen Serbien.

Derlei "Stimmungen" kommen nicht von ungefähr. Die "Kaliningradskaja Prawda" malte kürzlich bereits eine deutsche Invasion auf Königsberg an die Wand. Unter der Überschrift "Heute Jugoslawien – Morgen Kaliningrad" wird behauptet, daß die Balkan-Operation nur das Vorspiel gewesen sei.

Dann folgt eine wüste Mischung aus Lügen und Halbwahrheiten, die zu einem handfesten Aufmarsch-Szenario verrührt werden. Am Ende paßt alles zusammen: Das deutsch-dänisch-polnische Korps in Stettin, die Nato-Osterweiterung, die Umstrukturierung der Bundeswehr und der angeblich bevorstehende Angriff auf Königsberg.

Mit derartigen Artikeln in der Hand haben Hetzer wieder Konjunktur, denen die ganze deutsch-russische Annäherung der vergangenen Jahre gerade in Königsberg sowieso nicht paßte. Ihre Saat von Lüge und Haß geht jetzt auf. Dabei sollte man keineswegs hochmütig nur auf Russen zeigen. Nicht zuletzt deutsche Journalisten waren es, die jeden Vertriebenen, der mit den neuen Bewohnern seiner alten Heimat in freundschaftliche Beziehungen trat, als "Revanchisten" diffamierten. Wo Zusammenarbeit und Aussöhnug endlich klappten, mußte stets befürchtet werden, daß alsbald ein bundesdeutscher Medienmann zur Stelle war, um die russische Seite fürsorglich zu "warnen" vor den bösen, verschlagenen Deutschen.

So lebten und arbeiteten verständigungsbereite Russen und Deutsche dauernd eingeklemmt von stramm nationalistischen Sowjetnostalgikern auf der einen und bundesdeutschen Hetzern auf der anderen Seite. Ein schmale Zone zwischen zwei mächtigen Fronten, die nun zusammenzubrechen droht.

Sicher hat zu der nervösen Stimmung in Königsberg auch die seit 1990 zu beobachtende Bonner Politik beigetragen, die so angestrengt wie möglich alles ignorierte, was das nördliche Ostdeutschland betraf. "Eine russiche Provinz wie jede andere" lautete die Linie der Regierung von CDU/CSU und FPD, die von Rotgrün nahtlos übernommen wurde. Das mußte ganz und gar unglaubwürdig klingen für Russen, die ein traditionell enges Verhältnis zu ihrer Heimat, ihrer "Erde" haben und sich nicht vorstellen wollen, daß das bei den Deutschen anders sein soll. So entstand ein gewaltiger Raum für Spekulationen, der nun mit Gift gefüllt wird.

Müßig zu beklagen, welches Unheil allenthalben jetzt angerichtet wird oder welch grenzenlosen Unsinn Blätter wie die "Kaliningradskaja Prawda" unters Volk streuen. Es stellt sich die Frage, der sich alle vernünftigen Menschen gegenübersehen, wenn dröhnende Propaganda und Irrsinn um sie herum ins Kraut schießen: Was tun? Eines ganz sicher nicht, nämlich das Geschäft von Lüge und Haß selbst noch mit erledigen, indem man den schäumenden Phrasen eigene Wut entgegensetzt, die doch nur die Falschen träfe: Diejenigen nämlich, die auf russischer Seite ihren Verstand behalten haben und ungerechterweise vor den Kopf gestoßen würden.

Reisen nach Königsberg sind nach wie vor möglich und zur Zeit vielleicht wichtiger denn je. Dem zarten Pflänzchen deutsch-russischer Gemeinsamkeit, das in wenigen Jahren erfolgreich herangezogen wurde von beiden Seiten, wird zur Zeit hart zugesetzt. Wer die Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, der weiß, wie wertvoll dieses Gewächs ist und wie verheerend die Folgen für ganz Europa, wenn es verdorrt.

 
     
     
 
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