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Im Schatten der Freiheitsstatue

 
     
 
Schwarzbücher enthüllen vergessene oder unbekannte Barbarei. Der österreichische Journalist Eric Frey kennt die USA aus eigener Anschauung. Nicht stumpfer Antiamerikanismus steht an der Wiege dieses hervorragenden Buches. Frey glaubt, daß die Amerikaner ihre Ideale mit Füßen treten.

George W. Bush steuert die USA offensichtlich in das Debakel eines zweiten Vietnam. Darin sieht Frey kein isoliertes Phänomen. Grundsätzlich sei etwas "faul" jenseits des Atlantiks, wenn fast nur Kapitalisten die Richtung bestimmen, zwei Millionen Menschen gesiebte Luft atmen, die soziale Ungleichheit an das versunkene Römische Reich erinnert, demokratische Strukturen fehlen, Millionen Bürger einer Krankenversicherung entbehren, viele rund um die Uhr arbeiten, weil sie das Existenzminimum sichern müssen, während Fettsüchtige einen unsinnigen Konsumrausch zelebrieren, wo die Werbung kostspielig und der öffentliche Schulsektor verarmt und dürftig ist.

Vom ersten Tag an offenbarte die amerikanische Geschichte furchtbare Kehrseiten, trotz oder wegen aller Heilsansprüche, die die Auswanderer
vertraten. Einige Millionen Indianer lebten ursprünglich auf dem Territorium der heutigen USA. Um 1900 zählten die Ureinwohner noch etwa 200.000 Seelen. Maßgeblich organisierte die amerikanische Staatsführung die Ausrottung der Indianer. Seltsamerweise schreckte das Land einer freiheitlichen Verfassung auch nicht davor zurück, Millionen Afrikaner jahrhundertelang zu versklaven. Sogar Abraham Lincoln wollte zunächst die Sklaverei nicht beseitigen, sondern nur die Abspaltung der Südstaaten verhindern.

Dem Bürgerkrieg folgte ein totaler, sozialdarwinistischer Laissez-faire-Kapitalismus. Wenige Trusts monopolisierten große Bereiche der amerikanischen Wirtschaft. 1909 beherrschte ein Prozent der Konzerne fast die Hälfte der gesamten Industrieproduktion der USA. Wenige Superreiche erwarben gigantische Vermögen; am anderen Ende der sozialen Leiter verelendeten Millionen, und sogar Kinderarbeit war massenhaft verbreitet. Streikende Arbeiter bekamen die nackte Gewalt des Staates zu spüren; es existierte keine landesweite sozialistische Partei.

Die "Progressive Ära", eingeleitet von Theodore Roosevelt, ebenso der "new deal" der 30er Jahre mäßigten zwar das Prinzip des hemmungslosen Laissez-faire, änderten aber nichts an den Grundstrukturen der amerikanischen Wirtschaftsordnung.

Eric Frey kritisiert auch die Außenpolitik der USA massiv. Er benennt die vielen skrupellosen Interventionen in Lateinamerika und andernorts. Das "manifest destiny", die vermeintliche Bestimmung der Amerikaner, die Welt zu beherrschen und zu erlösen, machte ganz Mittelamerika zum Hinterland des großen Bruders. Demokratische Regierungen, die gegen wirtschaftliche und politische Interessen der USA verstießen, mußten auf Geheiß Washingtons oft blutrünstigen Diktatoren weichen.

Allerdings liegt ein gewisser Widerspruch darin, daß Eric Frey den Amerikanern neokolonialistische Politik vorwirft, sie jedoch gleichzeitig dafür tadelt, daß sie zwischen den Weltkriegen Europa nicht unter ihre Fittiche nahmen. Der Abwurf der Atombomben auf Japan sei unsinnig und verbrecherisch gewesen; man hätte diesen Krieg auch diplomatisch beenden können.

Im Schatten der Freiheitsstatue entfesselte McCarthy inquisitorische Prozesse gegen mißliebige Andersdenkende. Denkblockaden entstanden, die immer noch lähmen und dazu beitragen, daß Kritik am eigenen Land verpönt ist.

Seit jeher, schreibt Eric Frey, kursierten in den USA Verschwörungstheorien, und er konstatiert eine tief verwurzelte, pseudoreligiöse Neigung, alles Lebendige in Gut und Böse einzuteilen, paranoide Zwangsvorstellungen, die früher gegen Illuminaten und Freimaurer, Kommunisten und sogar Anhänger des New Deal zielten und heute Moslems erfassen.

Seit der Präsidentschaft Ronald Reagans explodierten die Einkommensunterschiede. Zwar liegt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in den Vereinigten Staaten von Amerika sehr hoch. Aber viele vernachlässigen wegen langer Arbeitszeiten ihre Familien. Reagan senkte die Steuern dramatisch, so daß die Infrastruktur des Landes kollabiert wie in der "Dritten Welt". Der "militärisch-industrielle Komplex" dominiert die politische Klasse. Das ungerechte Justizwesen der USA gewährt nur wohlbetuchten Leuten echte Chancen.

Eric Frey hat eine Meisterleistung vollbracht und keinen Aspekt übersehen. Nur die Interpretation hätte gedankenreicher ausfallen können. Zu erwähnen bleibt sein wichtiger Hinweis, daß die große Mehrheit der Amerikaner das Gesamtsystem nicht in Frage stellt. Immer noch hegen viele den naiven Wunsch, die Spitze der sozialen Pyramide zu erklimmen.

Worin liegen die Ursachen der mannigfachen "Krankheitssymptome"? Warum mutierte der amerikanische Traum zum Albtraum? Vergöttern die Amerikaner einseitig nur das Individuum, und nehmen sie andere Realitäten nicht zur Kenntnis? Basiert die "amerikanische Krankheit" letztlich auf einem falschen Denken? Hierzu müßte noch viel gesagt werden. R. Helfert

Eric Frey: "Schwarzbuch USA", Eichborn-Verlag, Frankfurt am Main 2004, geb., 496 Seiten, 24,90 Euro

 
     
     
 
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