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Im antikommunistischen Untergrund

 
     
 
Ost-Berlin: In der S-Bahn sitzt ein Mann. Er liest eine Festschrift, die ihn als obrigkeitshörigen Staatsbürger erscheinen läßt. Der Titel: „Rede des Vorsitzenden des Politbüros des Zentralrats der SED Walter Ulbricht auf dem dritten Parteitag über den Aufbau des Sozialismus.“

Einer von uns, denken die Staatsspitzel und schenken dem Fahrgast keine weitere Aufmerksamkeit. Was sie nicht wissen: Nur der Umschlag weist auf einen SED-nahen Inhalt hin. Im Innern befindet sich keine SED-Propaganda
, sondern Wolfgang Leonhards „Die Revolution entläßt ihre Kinder“.

Begebenheiten wie diese – noch nicht einmal 50 Jahre her – hat es tausendfach gegeben. Allein das antikommunistische Leonhard-Buch wurde vom Ostbüro der SPD 15000mal mit falschem Umschlag in die Sowjetzone geschafft. Es ist nur ein kleines Mosaikstück aus dem vergessenen Kapitel „Widerstand in der frühen DDR“.

Für den „Bund der Stalinistisch Verfolgten“ (BSV), einen der Vereine, der die Opfer kommunistischer Willkürherrschaft vertritt, war der diesjährige 17. Juni Anlaß für eine Vortragsveranstaltung über den Widerstand in jenen ersten Jahren der DDR. Zwei Tage vor dem traurigen Jahrestag berichtete der Journalist und Historiker Friedrich Schlomann über seine eigene Arbeit und die anderer Widerstandsgruppen.

Dabei schilderte er Begebenheiten wie das Einschleusen von antikommunistischer Literatur in die Sowjetzone. Schlomann, selbst CDU-Mitglied in Schwerin, hat unter anderem George Orwells „1984“ nach Leipzig geschmuggelt. Der Umschlag wies das Buch als einen Gedichtband von Heinrich Heine aus. Für Schlomann waren solche Untergrundtätigkeiten notwendig, weil offene Opposition „ab 1948 unmöglich“ wurde. Der Zeitzeuge präsentierte alte Flugblätter, die heute in Archiven liegen und „die man nirgendwo mehr sieht“.

Schlomanns Vortrag konzentrierte sich auf die beiden führenden antikommunistischen Widerstandsgruppen: die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KGU) und den „Untersuchungsausschuß freiheitlicher Juristen“. Die Aktionen dieser Gruppen sprechen noch heute für den erheblichen Einfallsreichtum der SED-Gegner. So brachte die KGU Briefmarken in Umlauf, die geringfügig abgewandelt wurden: Statt „Deutsche Demokratische Republik“ war „Undeutsche, Undemokratische Diktatur“ darauf zu lesen. Zudem wurden Flugblätter mit allen möglichen Methoden, darunter auch per Luftballons, millionenfach verteilt.

Eine andere beliebte Methode war das Verschicken von Oppositionszeitschriften per Post. Schlomann erinnert sich: „Die Umschläge durften nicht gleich aussehen, mußten jeweils mit anderen Schreibmaschinen betippt werden. Am besten auch auf anderen Umschlagformaten. Den Absender mal hinten, mal vorne.“

Es ist klar, daß jeder Unterstützer einer Widerstandsgruppe daher kaum mehr als zehn Briefe am Tag auf den Weg bringen konnte. Um die Empfänger solcher Schriften nicht zur Zielscheibe von staatlicher Willkür zu machen, wurden die Schreiben wahllos an alle möglichen Personen verschickt, auch an Regime-Treue und SED-Funktionäre. So konnte jeder behaupten, die Briefe per Zufall erhalten zu haben.

1954 gelang den Untergrundkämpfern ein besonderer Coup: Auf täuschend echtem DDR-Regierungsbriefpapier wurden ausländische Rüstungslieferanten wie die Türkei informiert: Bitte stoppen Sie alle Lieferungen, wir können unsere Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen, stand darin zu lesen. Schlomann: „Mit diesen Aktivitäten haben wir die DDR-Führung und ihre Geheimdienste erfolgreich gelähmt.“

Andere KGU-Plakate verkündeten eine 20prozentige Preissenkung in den Läden der staatlichen „Handelsorganisation“ (HO) und führten zum Kundenansturm auf die Einzelhandelskette. Da wußte natürlich niemand etwas von einer Preissenkung. Die Kunden gerieten in Rage und die DDR-Führung war in helle Aufregung versetzt.

Erst zum Ende der 50er Jahre stabilisierte sich die Herrschaft der SED. Der Widerstand gegen die Willkürherrschaft ließ nach, der Westen begann sich mit dem Status quo abzufinden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten auch die politischen Parteien im Westen (CDU, FDP, SPD) den Widerstand unterstützt. In den ersten Jahren der Teilung arbeiteten die demokratischen Parteien im Westen noch auf einen Sturz des Regimes hin, auf den sie sich vorbereitet wähnten. Doch jetzt wurden die Ostbüros aufgelöst und – Schritt für Schritt – der Kontakt zu den Ost-Machthabern gesucht.

Das Ergebnis sei gewesen, daß 1989 – von patriotischen Außenseitern abgesehen – niemand mehr für den Sturz der SED-Herrschaft und die Wiedervereinigung eingetreten sei oder daran geglaubt habe. „Schon gar nicht die DDR-Widerstandsgruppen, die wollten davon genauso wenig wissen wie der Westen“, so Schlomanns bitteres Fazit.
 
     
     
 
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