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Intellektueller Antiheld

 
     
 
Das Jahr 2004 war das Jahr von David Gilbert. Der 1967 geborene Autor wurde in den USA für seinen intelligenten Roman "Die Normalen" groß gefeiert.

Inzwischen ist die Geschichte um den intellektuellen Versager Billy Shine auch in Deutschland erschienen und hat zumindest in einigen deutschen Feuilletons für Furore gesorgt.

Billy Shine gehört auf den ersten Blick eigentlich zu den Gewinnern. Nach einem guten Schulabschluß hatte er es geschafft, an der Elite-Universität Harvard aufgenommen zu werden, wo er auch ein beachtenswertes Examen abgelegt hat. Doch danach folgte die absolute Orientierungslosigkeit. Billy jobbte mal hier, mal da. Auch seine Beziehung zu Sally ist eher ein Zufallsergebnis. Erst als der Endzwanziger von einem Inkassounternehmen ein bedrohliches Schreiben erhält, daß es im Auftrag Harvards die bisher nicht zurückgezahlten Studiengebühren
von 56000 US-Dollar eintreiben soll, kann sich der junge Mann nicht einfach weiter treiben lassen. Neurotisch wie er ist, stellt er sich die Firma Ragnar & Sons als mafiöses Geldeintreibeunternehmen vor, daß auch vor Gewalt nicht zurückschreckt. Durch Zufall entdeckt Billy in der New Yorker Innenstadt ein Plakat von "Hardgrove Anderson Medical", die gesunde Probanden für eine zweiwöchige medizinische Studie benötigen.

Nahezu panisch packt Billy seine Sachen und macht sich auf in die ländlich gelegene Klinik. Dort trifft er auf weitere körperlich gesunde Menschen, die für gerade mal 2600 US-Dollar, Unterkunft und Verpflegung bereit sind, ihre Gesundheit zu gefährden.

David Gilbert gelingt es hervorragend, die Klinikatmosphäre zu vermitteln. Immer wieder werden die Probanden als "die Normalen" bezeichnet, die an dem Test von "Psychopharmaka" teilnehmen. Doch schnell wird deutlich, daß "die Normalen" keineswegs so normal sind, wie sie es sein sollten.

Nicht unbeabsichtigt läßt der Autor seinen Protagonisten beim Packen seiner Reisetasche das Buch "Der Zauberberg" von Thomas Mann in die Hand nehmen. Auch hier ist ein junger Mann in einem Sanatorium. Der auffäligste Unterschied: Die Figuren in dem Roman des Literaturnobelpreisträgers sind wirklich krank, wobei auch hier die psychischen Probleme häufig die physischen überlagern. Bei "Die Normalen" hingegen sind es nur die psychischen Probleme der eigentlich "Normalen", die den Leser fesseln, denn jeder der Freiwilligen flieht aus irgendeinem Grund vor seinem Leben. Aber nicht nur die Versuchskaninchen sind nicht ganz problemfrei, auch die Ärzte, Schwestern und Psychiater sind durchaus ein Fall für die Couch, wobei der Autor hier keineswegs übertreibt. Übertreiben tun jedoch die Probanden, die zum Teil die merkwürdigsten Nebenwirkungen aufgrund der Medikamenteingabe zu verspüren meinen.

Am Ende herrscht Chaos, das der Autor durch eine überraschende Wendung in Tragik umwandelt. Erstaunlicherweise steht der Antiheld Billy zum Schluß besser da als zuvor. Angesichts der anderen "Normalen" ist sein Leben noch nicht völlig verwirkt und die turbulenten, etwas übertriebenen Ereignisse gegen Ende des Klinikaufenthalts haben den abgebrochenen Kontakt zwischen Billy und seinem Vater wieder reaktiviert. Fritz Hegelmann

David Gilbert: "Die Normalen", Eichborn, Frankfurt / M. 2005, geb., 399 Seiten, 22,90 Euro
 
     
     
 
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