|  | "Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht!" Mit diesen     harschen Worten trieb der damalige Bundespräsident Richard v. Weizsäcker die Diskussion     über jene quälende "Parteienverdrossenheit" der Deutschen Anfang des     Jahrzehnts auf die Spitze. 
 Damals duckten sich die Angegriffenen verschämt weg. Die Bonner Politszene konnte ja     schlecht einem Mann über den Mund fahren, den sie selbst zum fleischgewordenen Gewissen     der Nation stilisiert hatte. Aber der Tag würde kommen, das schien gewiß, an dem man     sich derlei Unbotmäßigkeiten nicht länger würde bieten lassen müssen.
 
 Jetzt ist er da: Im Verfassungsschutzbericht
   des Landes Baden-Württemberg findet sich     eben jenes Präsidenten-Diktum als Beleg für verfassungsfeindliche Bestrebungen der     Republikaner, die das Zitat wiederholt haben. Eigentlich Gelegenheit für die     anfragefreudige PDS, im Bundestag einmal laut darüber nachzudenken, ob dem alten Junker     nicht dringend der Titel "Altbundespräsident" mit allen damit verbundenen     Privilegien entzogen werden müßte. Oder sollen die Würdenträger unserer wehrhaften     Demokratie auch künftig zu allen großen Staatsempfängen einen Mann begrüßen müssen,     den das Stuttgarter Innenministerium als Stichwortgeber der "rechtsradikalen"     Republikaner entlarvt hat? 
 Keine Angst. Das Denkmal Weizsäcker wird stehen bleiben  trotz jenes angeblich     verfassungsfeindlichen Ausspruchs.
 
 Indes, den Vorgang sodann als Groteske abzuhaken, wäre verhängnisvoll. Es hat den     Eindruck, daß in diesem  Lande der politmoralische Richtspruch     "Verfassungsfeindlich!" ziemlich willkürlich ergeht. Wer dies auch so empfindet     und anprangert, sieht sich just einer perfiden Argumentation ausgesetzt, die den     schlimmsten Befürchtungen noch die Krone aufsetzt: Nicht das Zitat an sich sei das     Verfassungsfeindliche, sondern die Absicht, in der es verwendet wurde. Und die zu benennen     haben die Aufpasser recht freies Feld. Da können auch schon mal aus dem Zusammenhang     gerissene Sätze, Unterstellungen und Vermutungen kunstvoll aneinandergereiht werden, bis     alles paßt. Wer suchet, der findet.
 
 So gesehen erscheint ein Bild vom Verfassungsschutz, wie es seine Kritiker seit langem     malen: Ein Machterhaltungsinstrument der regierenden Parteien zur Diffamierung etwaiger     Konkurrenz. Ist es dies, was Richard v. Weizsäcker meinte? Staatliche Institutionen als     willfährige Handlanger für Parteiinteressen?
 
 Ganz nebenbei: In dem Bericht werden auch die Opposition zum Euro als Zeichen für die     Verfassungsfeindlichkeit der Schlierer-Partei sowie die Tatsache, daß die Reps in     Westdeutschland "Überfremdungsangst" festgestellt haben wollen, aufgeführt. Da     staunt man doch, was so alles beinahe unbemerkt Teil unserer Verfassung geworden ist ...
 
 Ein jeder gehe also in sich und prüfe, ob er noch auf dem Boden des Grundgesetzes     steht. Ein jeder, auch der baden-württembergische Innenminister.
 
 
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