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Keine Fragen mehr

 
     
 
Warum ist der Koffer mit der Aufschrift Tel Aviv zu sehen?" fragt ein aufgebrachter Journalist die beiden "Tal-der-Wölfe"-Produzenten. Es geht um die Szene, in der ein Arzt irakischen Kriegsgefangenen Organe herausschneidet, die er in den Westen verkauft. Bahadir Özdener, extra vom Bosporus nach Berlin eingeflogen, versucht auszuweichen: "Wenn man es so detailliert analysiert, dann müßte man auch diskutieren, warum der Schauspieler mal einen schwarzen, mal einen anderen Anzug trägt."

Es ist möglich miteinander zu sprechen, ohne sich etwas zu sagen. Bahadir Özdener und Raci Sasmaz, die beiden türkisch
en Filmemacher auf der einen Seite, und die westliche Journalistenschar am Potsdamer Platz auf der anderen Seite, können ein Lied davon singen. Die beiden Produzenten von "Tal der Wölfe" sind gekommen, um ihr Imageproblem aus der Welt zu schaffen.

Deswegen stellen sie sich in Berlin der (westlichen) Öffentlichkeit. Es würde ein ungewöhnlicher Termin werden. Soviel stand schon vorher fest. Über einhundert Journalisten sind anwesend, darunter etliche ausländische Fernsehteams.

Szenenwechsel: Im Neuköllner Kino "Karli" läuft "Tal der Wölfe" immer noch, obwohl die Zuschauerzahlen schon deutlich zurückgegangen sind. In kürzester Zeit haben 400000 Kinogänger allein in Deutschland den Film besucht. Jetzt finden sich in der Nachmittagsvorstellung nur noch eine Handvoll Personen ein. Mehr als die Hälfte davon Zuwanderer. Am Markt hat der Streifen seinen Zenit überschritten, doch im journalistischen und intellektuellen Milieu sitzt der Schock tief und ist noch lange nicht überwunden.

Die Pressekonferenz gibt ein Bild von der Verwirrung, welche die begeisterten Reaktionen der Türken in Deutschland auf "Tal der Wölfe" ausgelöst hat: Besonders peinlich wirkt Andreas Schneider, Fernsehmoderator vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB). Natürlich hat er sich nicht lange geziert, als er gebeten wurde, diese Pressekonferenz zu leiten. Wer läßt sich schon gerne ein solches Podium entgehen, bei dem sogar der US-Sender Fox-News, der sonst nicht viel aus Europa zu berichten hat, zuschaut? So ein Publikum bekommt einer wie Schneider nicht so schnell wieder.

Jetzt hält er es aber zunächst einmal angemessen, sich zu distanzieren: "Ich habe mich bereit erklärt, das zu tun, weil es eine Pressekonferenz ist." Eine Werbe-Veranstaltung für "Tal der Wölfe" würde er natürlich nie unterstützen.

Nun ist das im Filmgeschäft so, daß sich eine Pressekonferenz zum Film von einer Werbe-Veranstaltung kaum unterscheiden läßt. Um so kritischer geht Schneider deswegen mit den beiden Gästen um: Stellt immer wieder Nachfragen, gibt sich supersensibel.

Und Fragen hagelt es viele, aber kaum ernstgemeinte. Die meisten entpuppen sich als in Frageform gekleidete Aussagen und Vorwürfe. Eine empörte Dame vom Deutschlandfunk kriegt beinahe das Heulen. Im Film wird ein Rabbi gezeigt. "Was hat das mit der Realität zu tun?" fragt sie. Juden im Irak - das sei unvorstellbar. Die Kino-Kritikerin hat noch nie etwas von Mossad-Agenten in Kurdistan oder der jüdischen Minderheit im Irak gehört. Als Antwort leiern Filmemachern den Satz herunter, sie hätten keine Vorurteile bedienen wollen.

Ein Reporter mit starkem französischem Akzent versteckt seine Attacke gar nicht erst in einer Frage, sondern wirft den Machern frontal vor, "niedrigsten nationalistischen und rassistischen Vorurteilen Vorschub geleistet" zu haben. "Ich war in Neukölln in einem Kino und habe das erlebt", schäumt er. Gelassen wiegeln Bahadir Özdener und Raci Sasmaz alle Vorwürfe ab. "Sie müssen uns glauben: Wir sind keine Antisemiten." Das fromme Bekenntnis, das ihnen niemand glauben will, wiederholen sie immer und immer wieder.

Sprachlos hören die Journalisten zu. Und beharren anschließend unbeeindruckt darauf, daß der Film antisemitisch sei. Die beiden Türken leugnen das erneut. Man redet aneinander vorbei. Am Ende ziehen die Journalisten einfach ab. Unzufrieden.

In der Nachmittagsvorstellung von "Tal der Wölfe" ist die Stimmung besser als bei der Pressekonferenz. Dem bösen Ami alias "Sam Marshall" (Sam wie "Uncle Sam") geht es an den Kragen.

Marshall ist gekommen, um den Irak zu christianisieren. Er ist ein christlicher Fundamentalist und betet vor einem Gemälde mit Jesus und den Zwölf Aposteln, wenn er nicht gerade durch ein Blutbad watet oder über Kinderleichen geht. Die Feindbilder in "Tal der Wölfe" sind klar und unmißverständlich.

In dieser Schlußszene wird Leyla von einem Schuß aus der Waffe des Amerikaners getroffen, bevor der türkische James-Bond-Verschnitt Polat Alemdar ihn tötet. In Alemdars Armen verstirbt die heldenhafte Türkin. Zum Abschied sagt sie "Du hast ihn getötet. Es war schön ... dich kennengelernt zu haben." Ein einziger Zuschauer klatscht. Ganz kurz. Dann geht das Licht an.
 
     
     
 
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