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Keine Kraft zum Lieben

 
     
 
Vor 60 Jahren flohen die Menschen aus den deutschen Ostgebieten mitten im Winter überstürzt aus ihrer Heimat vor der Roten Armee. 60 Jahre, in denen die Kinder von damals zu alten Menschen geworden sind, 60 Jahre, in denen sie ihre Erlebnisse verdrängt haben, da in den Aufbaujahren und des schnellebigen Alltags danach weder Zeit noch Interesse an ihren nicht verheilten seelischen Wunden bestand. Helga Hirsch
, selbst Tochter eines Breslauers, hat sich für diese Kinder von damals Zeit genommen, sich ihre Geschichten angehört und in "Schweres Gepäck - Flucht und Vertreibung als Lebensthema" für die Nachwelt festgehalten.

Und es zeigt sich, daß die Schwestern Christel, Astrid und Dagmar bis heute ihre Verluste von damals nicht verarbeitet haben. Auch zahlreiche therapeutische Behandlungen haben vor allem die Folgeschäden in den Seelen der drei Schwestern nicht heilen lassen. Der Vater gefallen, die Heimat verloren, im Dorf immer die armen, ungeliebten Flüchtlinge und die Mutter überarbeitet. Für Christel war es am schlimmsten, daß die Mutter nie eine gefühlsmäßige Regung gezeigt hat, nie die Kinder umarmt oder ausgeschimpft hat; sie war so erschöpft vom reinen Überleben, daß ihr jede Kraft zum Lieben fehlte.

Auch Günter Linke litt darunter, daß seine Eltern den Heimatverlust nie bewältigt haben. Als in den letzten Kriegstagen Geborener hat er selbst nie bewußt das Lodz seiner Eltern kennengelernt. Fast neidisch war er auf seine älteren Geschwister, die zusammen lachend mit den Eltern von einer Zeit erzählten, die er nie kennengelernt hat, einer Zeit, in der sein Vater noch nicht der kraftlose resignierte Mann war, den er kannte.

Helga Hirsch nimmt sich sensibel der Menschen an, die in den prägensten Jahren ihres Lebens dramatische Erfahrungen machen mußten. Doch mehr noch als der Heimatverlust machte den Kindern der Verlust ihrer Eltern zu schaffen, die in den meisten Fällen zu ganz anderen Menschen wurden, als sie es in der Heimat gewesen waren.

"Vergangenheit läßt sich nicht ungeschehen machen", so die Autorin, "aber wir können Wege finden, auf bewußtere Weise mit ihr umzugehen." Hierzu hat die Journalistin mit "Schweres Gepäck - Flucht und Vertreibung als Lebensthema" einen wertvollen Beitrag geleistet.

Helga Hirsch: "Schweres Gepäck - Flucht und Vertreibung als Lebensthema", edition Körber Stiftung, Hamburg 2004, broschiert, 255 Seiten, 14 Euro

 
     
     
 
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