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Klassenziel leider nicht erreicht

 
     
 
Es ist bitter zu sehen, wie die Union sich verrennt und eine große Chance vergibt. Sie macht erklärtermaßen Familienpolitik nach Kassenlage, also wenn mal wieder etwas zu verteilen da ist. Das offenbart systematische Gedankenfehler des Teams Merkel/Stoiber, die manche Familien nur noch mit Wahlboykott oder mit dem Wechsel zu anderen kleineren Parteien glauben werden quittieren zu müssen. Das kann für die Union gefährlich werden, wenn ihre führenden Köpfe sich nicht besinnen und umdenken. Es sei denn, man wünscht insgeheim die große Koalition
. Dann sollte man so weitermachen. Auf vier Versäumnisse oder Fehlschlüsse lassen sich die familienpolitischen Aphorismen der Union und auch der SPD reduzieren.

Da ist zum einen der Gedanke, erst müsse mal saniert werden, dann könne man wieder sozial sein zu den Familien. Stoibers Vorgänger und Mentor Franz Josef Strauß hatte zu solch einer ebenso kernig auftrumpfenden wie kurzschlußartigen These den passenden Satz parat: "Es ist unsinnig, einem sterbenden Volk gesunde Haushalte zu hinterlassen." Natürlich darf man die künftigen Generationen nicht zusätzlich belasten. Aber erst einmal muß es diese Generationen geben. Man tut in den Volksparteien so, als ob sich das Geburtendefizit beim aktuellen Stand einpendeln würde. Dagegen ist schon heute berechenbar, wie die Zahlen weiter sinken werden, wenn es nicht zu einem radikalen Kurswechsel und das heißt auch zu einer radikalen Umschichtung der vorhandenen Mittel kommt. Fast verzweifelt hat selbst der (kinderlose) Finanz- und Sozialexperte Bert Rürup vor einiger Zeit nach einer der langen Kommissionssitzungen ausgerufen: Es hilft alles nichts, wir brauchen mehr Kinder! Die Union aber glaubt immer noch wie Adenauer, daß Kinder von selbst kämen. Tun sie nicht, immer mehr deutsche Frauen gehen in den Gebärstreik, weil sie nicht verarmen wollen, weil sie das Unrecht an den Familien satt haben, weil gesellschaftliche Anerkennung heute nur mit einer außerhäuslichen Erwerbsarbeit verbunden zu sein scheint.

Der zweite Fehlschluß liegt in der Annahme, daß Familienpolitik ein Teil der Sozialpolitik sei. Aber es geht nicht um Almosen von Vater Staat für notleidende Familien und ihre Kinder, es geht um viel mehr, es geht um Leistungsgerechtigkeit. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach hingewiesen. Eltern erbringen, so die Richter, mit Zeugung und Erziehung einen generativen Beitrag, der dem finanziellen Beitrag bei den umlagefinanzierten Sozialsystemen (Rente, Pflege, Gesundheit) und auch bei der Steuer ebenbürtig ist. Denn damit tragen die Eltern zur Bestandserhaltung des Systems bei. Die Beitragsfreiheit für Kinder, die die Union bei der geplanten Kopfpauschale für die Gesundheitskosten als Wohltat verkündet, ist deshalb nur eine Selbstverständlichkeit. Und der Kinderrabatt bei der Rente (600 Euro pro Jahr) wiegt noch nicht einmal die rund 750 Euro auf, die Eltern bei der Eigenheimzulage pro Kind bekommen. Da die Union den Kinderrabatt mit der Abschaffung der Eigenheimzulage finanzieren will, zahlen die Eltern hier sogar doppelt und dreifach drauf. Sie können sich, erstens, jetzt in vielen Fällen noch nicht einmal eigene vier Wände leisten; zweitens entfällt damit ein wichtiger Teil der Altersvorsorge, nämlich das kostenfreie Wohnen im Alter, und drittens müssen sie sich jetzt wieder anhören, daß sie von der Union ganz toll gefördert werden. Diese Selbstgefälligkeit aus dem Biotop der Ahnungslosen an der Spree ist für Familien, die im Alltagsstreß der Mietwohnung mit spitzem Bleistift rechnen müssen, mittlerweile unerträglich. Es geht nicht nur um Wohnraum, was Unionsgrößen wie Ministerpräsident Böhmer und andere der eigenen Partei weismachen wollen. Es geht auch nicht um ein sorgenfreies Leben in Palästen, es geht um Gerechtigkeit.

Sicher, sozial ist, was Arbeit schafft. Aber asozial ist, was geschaffene Arbeit nicht anerkennt. Und Gerechtigkeit bedeutet auch nicht wie weiland zu DDR-Zeiten allen das Gleiche, sondern jedem das Seine. Hier wird der Zusammenhang zwischen Gerechtigkeit und Leistung offenbar und in diesem Sinn sind die Familien die wahren, leider von der Politik verkannten Leistungsträger der Nation.

Und es geht, drittens, um die Zukunft dieses Gemeinwesens. Ein großer Unterschied zu Frankreich besteht ja gerade darin, daß die Politik bei den Nachbarn Familie nicht als Kostenfaktor betrachtet. Sie fragt nicht, was kostet das, sondern: Was bringt es? Sie betrachtet Ausgaben für die Familie als Investition. Sie blickt nach vorn. Die deutschen Parteien dagegen blicken nur auf bisherige Ergebnisse. Und da ist aus den Zahlen herauszulesen, daß die Familie immer noch nicht zusammengebrochen, also auch weiter zu belasten ist. Warum spart man nicht bei den Kosten für Minderheiten, die nichts für die Zukunft leisten?

Der größte gedankliche Fehler allerdings betrifft die Kinder selbst. Das Unionsprogramm entpuppt sich wie das familienpolitische Idearium der Rot-Grünen als Selbstverwirklichungsprogramm für Frauen. Kein Wort über das Kindeswohl, über den Ansatzpunkt jeder Sozialreform, das Humanvermögen. Ohne Bildung von Humanvermögen, jener Alltagskompetenzen wie das Lernen-Können, Miteinander-Umgehen-Können, Frust-Ertragen-Können, Gefühle-Einordnen-Können, Ausdauer-Haben etc., gibt es keine leistungsstarken Arbeitskräfte und das gilt für jeden Beruf. Eine Politik, die nicht hier ansetzt, sondern weiter so kurzsichtig und rein an wirtschaftlichen Kurzerfolgen orientiert handelt, sollte es lassen, von einer Richtungsentscheidung bei den kommenden Wahlen zu reden. Sie geht in die gleiche Richtung wie die Agenda 2010, nur noch einen Tick pragmatischer, schärfer und familienunfreundlicher.

Und als letztes die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer: Sie wird natürlich Familien besonders belasten, weil sie konsumieren müssen. Aber bei Brot und Milch bleibe es bei der siebenprozentigen Mehrwertsteuer, werfen die Programmierer der Union ein. Auch hier wird wieder zu kurz gedacht. Die Nichterhöhung bei Brot und Milch und Büchern hilft den Familien wenig. Sie werden nur nicht zusätzlich belastet. Sinnvoller wäre es in der Tat, auch diese Waren mit der höheren Mehrwertsteuer zu belegen und den Familien eine Kompensation - etwa über das Kindergeld - zukommen zu lassen. Sonst subventioniert man, wie der Finanzexperte Rolf Peffekoven richtig sagt, "auch die Milch für die Katzen der Reichen". Dagegen ist von der einst geplanten Kindergelderhöhung im CDU-Programm nicht mehr die Rede. Ebensowenig von der Abschaffung der so lange bekämpften Ökosteuer. Und bei der Abschaffung der Eigenheimzulage als Finanzierung des geplanten Kinderrabatts ist noch ein zusätzlicher gedanklicher Kurzschluß festzustellen: Der Rabatt gilt erst für Kinder, die ab Einführung des entsprechenden Gesetzes geboren werden, die Eigenheimzulage aber ist für Familien notwendig, die schon Kinder haben. Ihnen wird jetzt etwas genommen, den anderen künftig erst gegeben, von der Lücke profitiert der Staat. Gleiches gilt natürlich auch für die Mehrwertsteuer-Erhöhung. Sie greift bereits ab Januar 2006, der Freibetrag bei der Steuer erst ab 2007 und der Kinderrabatt auch frühestens ab 2007.

In der Schule würde man sagen: Klassenziel leider nicht erreicht. In der Politik redet man gern von Lügen, natürlich den Lügen der anderen. Es wird nicht lange dauern, bis die SPD von der Familienlüge der Union zu schwadronieren beginnt.
 
     
     
 
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