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Kreis Heiligenbeil: Versprechen in Zinten eingelöst

 
     
 
Beim letztjährigen Besuch der Zintener hatte Bürgermeister Igor Rik den Heiligenbeiler Kreisvertreter Siegfried Dreher mit einem Vertrag in russischer Sprache überrascht und ganz enttäuscht reagiert, als dieser sich außerstande sah, diesen sofort zu unterschreiben. Dreher hatte jedoch versprochen, ihn mitzunehmen, ihn übersetzen zu lassen, ihn mit dem Vorstand und dem Kreistag zu diskutieren und im darauffolgenden Jahr mit einem Partnerschaftsvertrag
zwecks Unterzeichnung wiederzukommen. Dreher sollte sein Wort halten.

Der entscheidende Tag war der 27. Juli dieses Jahres. Nachdem sie zuvor in Heiligenbeil das Frühstück eingenommen und den erst wenige Wochen zuvor als Soldatenfriedhof neu eingeweihten ehemaligen evangelischen Friedhof am Wasserfall der Jarft besucht hatten, bestieg die 31köpfige Reisegruppe mit Siegfried Dreher um 9.30 Uhr den Bus zur Fahrt nach Zinten. Viele der Reisenden waren seit der Flucht weder in Zinten noch überhaupt in Ostdeutschland gewesen. Ihre Spannung war besonders hoch. Bei Sonnenschein fuhr der Bus zunächst über die frühere Reichsstraße Nr. 1 bis Bladiau. Hier am Gedenkstein vor dem früheren Kirchhofsgelände wurde die Fahrt kurz für einige Gedenkminuten für den vor kurzem verstorbenen Ersten Kirchspielvertreter von Bladiau, Kurt Oltersdorf, unterbro-

chen. Über Ludwigsort ging es dann auf der herrlichen Allee weiter nach Zinten. Das erste, was sich vom Orte am Horizont abzeichnete, waren der Wasserturm und der mahnende Stumpf der evangelischen Kirche. Langsam rollte der Bus auf Zinten beziehungsweise das zu, was einstmals Zinten war. Der Einstieg ins frühere Stadtzentrum, heute alles wüst und leer, ist die Wilhelmstraße. Weiter ging es die Schulstraße, ohne Schule, hinauf und die Friedrichstraße entlang bis zum ehemaligen Einfamilienhaus der Familie Frost in der Birkenallee, dem heutigen kommunalen Verwaltungshaus, dem Büro des Bürgermeisters. Hier war vorerst Endstation.

Nach einer kurzen Vorbesprechung zwischen Bürgermeister und Kreisvertreter konnte kurz nach 11 Uhr die Festveranstaltung auf der Fläche zwischen den beiden Gebäuden der Schule des Ortes beginnen. Sitzbänke waren aufgestellt, ein Schultisch diente als Rednerpult, und für die Musik stand ein Damenchor der Rußlanddeutschen aus Königsberg samt einem Akkordeonspieler zu seiner Begleitung parat. Nachdem der Bürgermeister den Kreisvertreter Heiligenbeils, den die deutsche Reisegruppe leitenden Ersten Stadtvertreter Zintens, Franz Korsch, und eine Vertreterin der örtlichen Rayonsverwaltung aus Preußisch Eylau namentlich begrüßt hatte, gab er in seiner Begrüßungsrede der Freude Ausdruck, daß seine deutschen Zuhörer in ihre Heimat gekommen seien, daß sie Zinten besuchten und daß sie einen Partnerschaftsvertrag mit seiner Kommune abschließen würden. Er äußerte den Wunsch, daß die Völkerverständigung weitergehen möge, und bat darum, den ganzen Tag hierzubleiben und an dem noch folgenden russischen Fest teilzunehmen, das ab 14 Uhr auf dem Platz neben der heute als Kulturhaus genutzten ehemaligen Mittelschule beginnen sollte. Die deutschen Besucher seien bei der russischen Ortsbevölkerung herzlich willkommen.

In seiner Erwiderung bedankte sich der Kreisvertreter für die freundlichen Worte seines Vorredners und verlas den Text des von ihm mitgebrachten Partnerschaftsvertrages, der weitgehend auf dem ein Jahr zuvor am selben Ort erhaltenen Entwurf basiert. In dem "Vertrag über Partnerschaft zwischen den heutigen russischen Einwohnern (Neubürgern) der Siedlung Kornewo (Zinten) und den früheren deutschen Einwohnern (Altbürgern) der Stadt Zinten sowie den Altbürgern des Kreises Heiligenbeil im Verein ,Kreisgemeinschaft Heiligenbeil e.V. " verschreiben sich die drei Vertragspartner "dem gemeinsamen Ziel der Förderung der humanen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen" und "sprechen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für eine gemeinsame Partnerschaft aus". Ferner erklären sie feierlich, die "bereits seit Jahren bestehenden freundschaftlichen Beziehungen" zwischen den russischen und deutschen Bewohnern Zintens zu unterstützen und zu festigen.

Der Begrüßungsrede des Bürgermeisters und der Erwiderung des Kreisvertreters samt Verlesung des Vertragstextes folgte deren feierliche Vertragsunterzeichnung durch Rik, Dreher und Korsch. Dem Austausch der Dokumentenmappen folgten Reden des ebenfalls anwesenden zweiten stellvertretenden Bürgermeisters von Burgdorf, Karl Ludwig Schrader, und Franz Korschs sowie der obligatorische Austausch mehr oder weniger kleiner Geschenke. Den Abschluß der Veranstaltung bildeten gesangliche und musikalische Darbietungen des Chores, wobei gefühlvolle deutsche Volkslieder ebenso zu Gehör gebracht wurden wie temparementvolle russische und ukrainische Lieder. Des weiteren trugen die Ehefrau des Bürgermeisters und zwei weitere weibliche Mitglieder des Kulturvereins des Ortes - ebenfalls vom Akkordeonspieler unterstützt - mit herrlichen russischen Weisen zum musikalischen Abschluß des Festaktes bei.

Im Anschluß an die offizielle Veranstaltung bestand für die deutschen Gäste die Möglichkeit, diverse Räumlichkeiten der Schule zu besichtigen. Überall roch es nach Farbe. Es waren Ferien, und in der Woche war kräftig renoviert worden. In einem Klassenzimmer wurden die von den Deutschen mitgebrachten diversen nützlichen Geschenke für den Schulgebrauch deponiert. Alleine der Stadtvertreter Korsch steuerte neben technischem Material und einer Europakarte über 150 Deutschbücher zur Verbesserung der Lehr- und Lernsituation an der kombinierten Volks- und Mittelschule bei.

Nach der Besichtigung der Schule und der Deponierung der Geschenke wurde es auch schon langsam Zeit, die wenigen hundert Meter zum sogenannten Festplatz zu gehen. Es begann das russische Fest, das zweite dieser Art seit der Premiere im letzten Jahr. Das Vorbild ist die Gebietshauptstadt, deren Stadtrat bereits 1997 beschlossen hat, den Jahrestag der Umbenennung Königsbergs in "Kaliningrad" als "Tag der Stadt" öffentlich zu feiern. Analog dazu möchte Igor Rik nun das Feiern am Jahrestag der Umbenennung Zintens in "Kornewo" zu einer Tradition werden lassen.

Auf einer roh gezimmerten, hölzernen Plattform stand ein Mikrofon und eine Musikanlage, wobei Blumen und Birkenbäumchen als Schmuck dienten. Vor dieser sogenannten Bühne stand eine Stuhlreihe für die weiblichen und männlichen Veteranen der Arbeit, die schon Platz genommen hatten und auf den Beginn der Feier warteten. Einige hundert weitere russische Bewohner Zintens hatten sich zwanglos ebenfalls auf dem Platz eingefunden. Ein paar kleine Verkaufsstände mit Süßigkeiten und Getränken luden zum Kauf ein. Der Bürgermeister eröffnete mit einer Ansprache die Feier, der Kreisvertreter kam der Bitte nach, seine Rede vom Vormittag hier nun vor größerem Publikum noch einmal zu wiederholen, und ein weiterer, russischer Redner aus der Gebietshauptstadt sprach über Landwirtschaft, lobte die Veteranen für ihre jahrzehntelange, erfolgreiche Arbeit auf der Kolchose und verteilte an 77 Veteranen Kuverts mit einem 100-Rubel-Schein, die einen Gegenwert von gegenwärtig rund 3,30 Euro haben, wobei Igor Rik jeden einzelnen namentlich von einer Liste aufrief. Es folgten Tanz und Musik.

Auffallend war, daß die Alten und viele kleinere Kinder wohl anwesend waren, die Altersgruppe der 20- bis 50jährigen jedoch gänzlich fehlte. Vielleicht waren sie abends bei der Disko, denn die soll bis um 2 Uhr morgens gedauert haben, doch da waren die Deutschen schon längst wieder weg. Sie waren sich nämlich schon am Morgen darüber einig geworden, um 17 Uhr Zinten zu verlassen. Der Abschied fiel nicht ganz so schwer, denn jeder wußte, daß sie am nächsten Tage für einige Stunden wiederkommen würden, diesmal aber ohne pro-tokollarische Verpflichtungen, sprich sozusagen privat. S. D.

Vertragsunterzeichnung: Siegfried Dreher (links), Igor Rik (Mitte) und Franz Korsch (rechts)
 
     
     
 
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