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Livländische Spurenlese

 
     
 
Rodenpois, lettisch Ropazi, liegt 30 Kilometer östlich von Riga am Fluß Großer Jägel (Liela Jugla). Bundesbürger Roland Walter hatte den Ort nie zuvor gesehen, als er im Juni mit seiner Frau den Ausflug ins Herz der kleinen Baltenrepublik antrat.

Bisher existierte das livländische Rodenpois für ihn nur in seiner Vorstellung - als Wirkungsstätte der infolge des Dreißigjährigen Krieges
ins Baltikum gekommenen Vorfahren väterlicherseits, die viele Pastoren, aber auch Wissenschaftler und Literaten hervorgebracht hatten. Vater Eginhard verfaßte dazu vor vier Jahrzehnten ein dickes Buch: „Walter - Die kleine Geschichte einer großen Familie“.

Dieses Buch führte Roland Walter als seinen „Baedeker“ mit sich; es war das wichtigste Gepäckstück auf der Reise in die Vergangenheit, die ihn gleichzeitig der Gegenwart Lettlands näherbrachte.

Letzteres geschah auf sehr sympathische Weise. Denn überall, wo er nach den Spuren des Bischofs Ferdinand Walter oder anderer Angehöriger seines Geschlechtes forschte, stieß er auf freundliche, hilfsbereite Menschen.

Ferdinand Walter machte um das Jahr 1864 durch seine deutschnationalen Landtagspredigten in der Rigaer Jakobi-Kirche von sich reden, wurde angefeindet und stieg dank der Gunst von Zar Alexander II. dennoch zum evangelischen Bischof von Livland auf. Da der bedeutende Urahn in Wolmar (Valmiera) zur Welt gekommen war, führte der Weg auch in diese Stadt im Norden des Landes.

Der mütterlicherseits ostpreußisch geprägte Gelegenheitsgenealoge besuchte dort die nach der Wende instand gesetzte Kirche. In ihr hatte Ferdinand Walter 22 Jahre als Pastor gewirkt. Außerdem wurde das einstige Wohnhaus des Bischofs in Augenschein genommen sowie die von ihm gegründete Schule und der heute noch so genannte „Walter-Hügel“.

Besonders beeindruckend war die Besichtigung der Familiengräber auf dem örtlichen Friedhof, denen man ansieht, daß sie - ebenso wie jene in Rodenpois - seit der Umsiedlung der Deutschbalten bis heute von lettischen Gemeindemitgliedern sorgfältig gepflegt worden sind. Die Letten taten dies aus Anerkennung für die Leistungen einer bis heute in der Region unvergessenen Familie.

Der Aufenthalt in Rodenpois stand im Mittelpunkt der Reise. Die Kirche dieser ärmlichen Gemeinde war von den Kommunisten wie so viele Gotteshäuser als Lager- und Traktorenhalle mißbraucht worden. Der im Krieg von einer Bombe getroffene Glockenturm blieb jahrzehntelang Ruine, und noch gegen Ende der Sowjetherrschaft wurden Teile der Kirche als Baumaterial abtransportiert.

Das 1808 von einem Ahnherrn des Rodenpoiser Familienzweiges der Walters erbaute Pastoratshaus befindet sich in erbärmlichem Zustand. Eine alte Frau fristet darin ihr kümmerliches Dasein.

Aber auch erfreuliche Entwicklungen lassen sich beobachten: Nach Erlangung der lettischen Unabhängigkeit gelang es der Gemeinde mit viel Eigenarbeit, die Kirchenmauern und den Turm erneut hochzuziehen und das Dach notdürftig neu zu decken. Auch einfache Fenster wurden eingesetzt und das Portal mit provisorischen Türen verschlossen.

Seit ein paar Jahren finden nach jahrzehntelanger Zwangspause endlich wieder Gottesdienste statt. Wegen des Fehlens einer Heizung muß die Gemeinde im Winter allerdings in das vom Schwamm durchzogene alte Pastorat ausweichen, in dem es einen Ofen gibt.

Wie eindrucksvoll Gemeindeleben im heutigen Lettland sein kann, erfuhr das Ehepaar Walter gleich am Ankunftstag in Rodenpois. Es war der 14. Juni, und im ganzen Land erinnerten Gedenkgottesdienste an die „Deportationen lettischer Mütter durch die Sowjets“.

Die deutschen Gäste sind von diesen Augenblicken historisch-religiöser Besinnung und der ihnen allgemein entgegengebrachten Achtung derart beeindruckt, daß sie den Beschluß fassen, der Gemeinde Rodenpois beim vollständigen Wiederaufbau ihrer Kirche zu helfen.

Gegenüber dem bekannte Roland Walter: „Ich konnte nicht einfach nach Deutschland zurückfahren, mich später in der warmen Stube unter den Weihnachtsbaum setzen und diese Gemeinde, in der mehrere Generationen meiner Familie den Pastor stellten und die wegen der hohen Kosten für die Restaurierungen mittlerweile sogar überschuldet ist, mit den Mühen und Sorgen um ihre Kirche allein lassen.“ Nach seiner Rückkehr richtete er deshalb einen Hilferuf an die Verwandtschaft, in der er an familiäres Pflichtgefühl und an die Brückenfunktion der Deutschbalten appelliert. Spenden für die „Herzensangelegenheit“ sollten auf das Konto des gemeinnützigen Vereins „Auxilia Baltica“ gehen.

Vorrangig ist die vollständige Abdeckung des Daches, durch das es teilweise durchregnet. Auf dem Turm fehlen noch sämtliche Ziegel. Wichtig sind darüber hinaus der Innenverputz, der Einbau einer Heizung sowie gut isolierter Fenster. Abschließend wären ein neuer Altar und eine Kanzel vonnöten, da die gesamte einstige Einrichtung der heute schmucklosen Kirche zerstört wurde.

Die Auxilia Baltica unterhält nützliche Kontakte zu Prof. Ojars

Sparitis. Sparitis ist Direktor des wiederaufgebauten Schwarzhäupterhauses in Riga und Leiter der dortigen Kunstakademie. Er kümmert sich u. a. um die Restaurierung von Kirchen, kontrolliert die Einhaltung der Denkmalschutzvorschriften, die Fortschritte der Arbeiten und deren korrekte Kostenabwicklung. Seine Studenten setzten nach dem Umbruch in Eigenarbeit zehn Gotteshäuser instand.

Überhaupt können sich die bisherigen Erfolge Lettlands im Denkmalschutz sehen lassen: Von etwa 80 Kirchen, die im Unabhängigkeitsjahr 1991 als renovierungsbedürftig eingestuft werden mußten, wurden beispielsweise zwei Drittel ganz oder teilweise erneuert.

Da das lettische Denkmalamt und der Kulturfonds für Denkmalpflege meist nur die allernötigsten Sanierungen finanzieren können, sind Unterstützungen von außen unerläßlich. Von der UNESCO kommt trotzdem kein einziger Dollar, obwohl Lettland mit der Rigaer Altstadt und den Jugendstilbauten der Neustadt sogar über ein „Weltkulturerbe“ verfügt. Dafür leisten deutsche - oft deutschbaltische - Organisationen um so mehr.

Die evangelische Nordelbische Kirche, der Martin-Luther-Bund und das Gustav-Adolf-Werk oder katholische Vereine wie „Renovabis“ steuern ebenso Mittel bei wie die Kurländische Ritterschaft (diese hat in fünf Jahren weit über 100 000 Mark für fünf Kirchenprojekte aufgewendet) oder der Verein Auxilia Baltica und natürlich etliche deutschbaltische Familien. Letztere haben als Privatinitiative den „Girgensohn-Fonds“ ins Leben gerufen, um Kirchenrenovierungen direkt zu unterstützen.

Viele Letten wissen gerade den biographisch motivierten Einsatz der Deutschbalten in der alten Heimat zu schätzen und danken es mit einem positiven Deutschenbild und herzlicher Gastfreundschaft, wie sie das Ehepaar Walter und viele vor ihnen genossen haben.

Weitere Auskünfte: Roland Walter, Bördel 1, 27389 Fintel, Tel.: 04265-981074


Fototext: Kirchturm von Rodenpois: Wiederaufgebaut nach dem Ende des atheistischen Sowjetsystems

 
     
     
 
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