|  | In der Vision von einem vereinten     Europa haben Schlagbäume und Grenzkontrollen keinen Platz. Darum haben sich inzwischen     auch neun der fünfzehn EU-Staaten im sogenannten Schengener Abkommen verpflichtet, diese     ärgerlichen Reisehindernisse zu beseitigen. Funktionieren kann indes dieses Abkommen nur     dann, wenn zugleich die Außengrenzen der Staatengemeinschaft gegen illegale Einwanderung     und gegen Zuzug von Kriminell  en gesichert werden. Wie ernst in manchen Hauptstädten     Europas  insbesondere im Süden  diese Verpflichtung genommen wird, erleben     wir in diesen Tagen auf beschämende Weise: 
 Während Italien illegale Einwanderer aus Albanien, die sich in Italien niederlassen     wollen, postwendend zurückschickt, verhält sich Rom gegenüber allen anderen, die sich     wegen der Sozialhilfe nach Deutschland in die Niederlande oder nach Skandinavien absetzen     wollen, grundsätzlich anders. Diese Flüchtlinge werden keinem Asylverfahren unterworfen.     Sie dürfen sich zwei Wochen lang frei im Lande bewegen, ehe sie wie- der (theoretisch!)     zurückgeschickt werden. Theoretisch, denn inzwischen haben sie Italien längst in     Richtung Norden verlassen - über die offene Grenze zu Frankreich oder über die bis vor     kurzem offene, inzwischen wieder kontrollierte Grenze zu Österreich. Dies dürfte der     italienischen Regierung kaum entgangen sein. Ihr Verhalten zeugt daher von einer     gemeinschaftsschädigenden und unsolidarischen Einstellung jenen Ländern gegenüber, in     welche die Illegalen einzusickern versuchen.
 
 Daß die Bundesregierung Rom energisch auffordert, sich vertragstreu zu verhalten, und     überdies auf europäischer Ebene gegen den illegalen Zustrom von echten und unechten     Flüchtlingen initiativ geworden ist, war nicht nur aus nationalem deutschen Interesse     geboten. Daß inzwischen führende Sozialdemokraten  wie der nicht gerade als     Hardliner bekannte niedersächsische Innenminister Glogowski  sogar ein zeitweiliges     Aussetzen des Schengener Abkommen fordern, zeigt den Ernst der Lage.
 
 Daß sich unter den "Boat-People" aus der Türkei echte politisch Verfolgte     aus dem unterdrückten Volk der Kurden befinden, die Anspruch auf Asyl haben, wird kaum     jemand bezweifeln, doch der derzeitige Massenexodus wirft schlimme Fragen auf. Wenn schon     Journalisten ohne Schwierigkeit feststellen können, wann und wie viele     "Flüchtlingsschiffe" türkische Häfen mit wie vielen Flüchtlingen verlassen;     wenn sie ohne große Recherche erkennen können, wie diese Fluchtaktionen organisiert     werden und welche Leute  mit modernsten Kommunikationsmitteln ausgestattet      ständig Lageberichte an Empfänger vor allem in Deutschland absenden, kann uns kein     türkischer Politiker weismachen, daß Ankara von dieser Entwicklung völlig überrascht     worden sei und nur irgendwelche Schlepperbanden im Geheimen und dabei unerkannt     menschenhändlerisch Verbrechen vorbereiten.
 
 Die Türkei ist zwar keine klassische Polizeidiktatur, aber daß ihre     Sicherheitskräfte völlig unwissend und hilflos sein sollten, gehört in die     Märchenwelt. Die gnadenlose Verfolgung nicht nur kommunistischer Terroristen, sondern     auch jeder kurdischen Bewegung, die nur minimale Volksgruppenrechte anmahnt, spricht eher     für ein polizeistaatliches als für ein liberales Rechtsstaatssystem. Brüssel und die     EU-Regierungen sollten daher den bösen Gerüchten nachgehen, daß der Massenexodus mit     Wissen, wenn nicht gar mit aktiver Duldung Ankaras erfolge  sozusagen als Antwort     auf die Weigerung der Europäischen Union, die Türkei ohne Wenn und Aber aufzunehmen.
 
 Sollte sich diese Gerücht bewahrheiten, dürfte die Türkei auf lange Sicht jede     Chance verspielen, Mitglied der EU zu werden. Dies muß die Europäische Union, dies muß     auch Bonn der türkischen Regierung unzweideutig zu verstehen geben.
 
 
 
 
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