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Am liebsten Einmarsch in den Irak

 
     
 
Der notorische Krisenherd Naher Osten wird gern mit dem Schlagwort Erdöl "verständlich gemacht". In materialistischer Sicht zwar plausibel, erklärt es aber nicht das ungeheure Haß-Potential. Denn dieses kommt aus ethnischen, manchmal religiös überlagerten Konflikten. Der blutigste davon, entstanden aus der zionistischen Einwanderung in Palästina und der Vertreibung der Palästinenser, macht soeben wieder Schlagzeilen. Aber auch der zweitgefährlichste, die Unterdrückung der Kurden, bleibt akut
und stellt für die EU eine große Gefahr dar.

Seit dem Ende des Saddam-Regimes hat sich im kurdischen Norden des Irak ein de facto unabhängiger Staat entwickelt. Die kurdischen Abgeordneten und Minister in Bagdad und der Kurdenfürst Dschalal Talabani, Präsident des "freien Irak", sind kaum mehr als formale Bindeglieder zum Rest des Landes. Die Sicherheitslage ist vergleichsweise gut, denn nur in gemischt besiedelten Städten wie Kirkuk kommt es gelegentlich zu Bombenattentaten. Doch da sind zwei große Risikofaktoren: Im Nordosten haben Mossad und CIA Basen zur Subversion im Iran eingerichtet, und der Nordwesten ist Nachschubbasis und Rückzugsgebiet für die türkisch-kurdische PKK - die von Europa auf Geheiß der USA als "Terror-Organisation" eingestuft wurde.

In den letzten Monaten kam es im kurdischen Ost-Anatolien zu verstärkter PKK-Aktivität und zu erheblichen Verlusten der türkischen Armee. In dieser Atmosphäre beschloß der EU-Kandidat Türkei ein verschärftes "Anti-Terror-Gesetz", das Menschenrechte und Meinungsfreiheit noch weiter einschränkt. So werden etwa auch "Schüren von Angst" und "Entfremdung des Volks vom Militär" als "Terrorismus" geahndet.

Vor zwei Wochen - im Schatten der Libanon-Krise - drohte Ministerpräsident Erdogan sogar mit dem Einmarsch im Nordirak. Frühere Aktionen dieser Art hatten jeweils das Einverständnis Saddam Husseins. Doch diesmal kam ein Veto der USA, denn - Irakisch-Kurdistan ist jetzt ein wichtiger Verbündeter gegen den Iran! Daß Erdogan daraufhin einen Nato-Einsatz gegen die Kurden forderte, dürfte ebenso unbeachtet bleiben.

Im Kampf gegen die PKK arbeitet die Türkei eng mit Syrien und dem Iran zusammen. Zugleich sind die Türkei und Israel füreinander jeweils zweitwichtigster militärischer Verbündeter - gleich hinter dem wichtigsten, den USA. Bei der türkischen Bevölkerung ist indessen eine antiisraelische und antiamerikanische Stimmung vorherrschend, die sich auch in der Armee ausbreitet. Mehr und mehr Türken sind der Ansicht, daß der Druck der USA auf die EU zur Aufnahme der Türkei gar nicht ihretwegen erfolgt, sondern um einen Präzedenzfall für die Aufnahme Israels in EU und Nato zu schaffen. Die Aufnahme Israels offen zu fordern wagten aber bisher nur wenige Politiker, so etwa der frühere spanische Premier Aznar.

Zum Ärger der USA hat Erdogan - wie der irakische Ministerpräsident Al-Maliki - das Vorgehen Israels im Libanon scharf verurteilt und Kritik an der Hisbollah vermieden. Bei zuletzt deutlich verschlechterter Wirtschaftslage gerät der "gemäßigte Islamist" Erdogan immer mehr zwischen alle Fronten, denn die islamistische Basis und der "europäisch-fortschrittliche" Militärapparat sind sich nur in einem einig, in der Unterdrückung von Kurden und Menschenrechten. Der Kurdische Volkskongreß, der politische Arm der PKK, hat übrigens gerade den sogenannten Genfer Appell unterzeichnet, der - analog zu der Ottawa-Konvention für Staaten - zum Verzicht auf Antipersonenminen verpflichtet. Nützt aber nichts, denn wer "Terrorist" ist, das bestimmen die Vereinigten Staaten und Israel.

 

Wer sind die Kurden?

Die Kurden, deren Sprache dem Persischen verwandt ist, sind fast durchweg Muslime, davon etwa 80 Prozent Sunniten. Kurdisch wird aber in der Türkei wegen des Assimilierungsdrucks heute von Gebildeten oft nur unzureichend beherrscht. Von den 20 bis 30 Millionen Kurden - mangels glaubhafter Volkszählungen gibt es nur grobe Schätzungen - leben mehr als die Hälfte in der Türkei (Ostanatolien, durch Umsiedelung und Landflucht auch in Ballungszentren), über fünf Millionen im Iran, vier Millionen im Irak, bis zu eine Million in Syrien und mindestens eine Million in der Diaspora. Von den in Mittel- und Westeuropa lebenden "Türken" dürfte gut ein Fünftel Kurden sein.

Auch wenn die Kurden als Nachfahren der antiken Meder gelten, einen "kurdischen" Staat hat es nie gegeben. Die Kurden standen unter wechselnder Fremdherrschaft, wobei die fremden Herren - Araber, Türken, Perser - oft nur nominell die Oberhoheit hatten, denn in unwegsamen Gebirgsgegenden liegt die wahre Macht bei lokalen Stammesführern. Ein Nationalbewußtsein über Sippen- und Stammesloyalitäten hinaus entwickelte sich erst durch die Unterdrückungs-, Assimilierungs- und Ausrottungsaktionen der heutigen Türkei und des Irak. Als Minderheit wurden die Kurden oft Spielball und Handlanger in Stellvertreterkriegen, so etwa beim türkischen Völkermord an den Armeniern. Die Kader der Untergrundorganisation PKK wurden von der Sowjetunion ausgebildet und finanziert, um das Nato-Mitglied Türkei zu schwächen. PKK-Gründer Öcalan mußte 1998 auf Druck der Türkei sein Exil in Syrien verlassen und wurde unter Beihilfe des Mossad aus Kenia in die Türkei entführt. Nach Todesurteil und späterer Begnadigung sitzt er heute in Einzelhaft auf der Gefängnisinsel Imrali. RGK
 
     
     
 
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