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Mazedonien - auch eine Frage der Glaubwürdigkeit

 
     
 
Für den deutschen Reichskanzler Bismarck war der Balkan nicht einen Knochen eines pommerschen Grenadiers wert. Er wollte sich dort nicht engagieren, weil er fürchtete, zwischen den ethnischen und religiösen Gegensätzen aufgerieben zu werden. Er sah keine schnelle politische Lösung. Ähnlich denken manche Politiker heute in Europa, aber können wir uns wie Bismarck aus der Region heraushalten? Stecken wir als Teil der KFOR nicht schon mittendrin? Immer wieder brechen in Mazedonien Kämpfe aus. Haben die Verhandlungen überhaupt eine Chance?

Fragen gibt es viele, Antworten nur wenige. General Klaus Reinhardt, bis vor kurzem noch Oberbefehlshaber über 50 000 Nato- und Nicht-Nato-Truppen aus 39 Nationen und als erster deutscher Offizier auch Befehlshaber über amerikanische Truppen, sieht die Dinge gelassen. Zwar gebe es immer wieder neu aufflammende Kämpfe, und möglicherweise würden die Kampfpausen vorwiegend zur Sammlung und Neuausrüstung der Truppen genutzt. Aber, so der General in einem Gespräch mit dem Autor, „wir haben eine Situation vor uns, in der sehr lange zu wenig verhandelt worden ist“. Beide Seiten, die mazedonische und die albanische
, seien zu stark von der Forderung der jeweiligen Machtposition heraus auf die andere zugegangen. „Ohne die Intervention der Nato in der Verhandlung bewegt sich im Augenblick dort überhaupt nichts.“ In solch einer Situation müsse jede Möglichkeit der Verhandlung genützt werden, um zu vermeiden, daß es zu einer erneuten großen Auseinandersetzung kommt.

Selbst wenn die Verhandlungen scheitern sollten, und die Kämpfe erneut ausbrächen, wäre das für General Reinhardt „kein Grund, wie Bismarck damals und die demoskopische Mehrheit der Deutschen heute zu sagen, laßt die sich doch gegenseitig umbringen, solange keine Flüchtlingsströme zu uns herüberkommen“. Schon aus humanitären, aber auch aus eigenem Interesse müßte man eingreifen. Man könne nicht die Augen vor der Realität verschließen. Reinhardt: „Wir haben 3 500 Soldaten im Kosovo, wir haben Soldaten in Mazedonien. Alles, was in Mazedonien läuft, hat Auswirkungen auf die Sicherheit unserer Soldaten dort. Und wenn da unten geschossen wird, ist es im ursächlichen Interesse unserer Soldaten, dafür zu sorgen, daß diese Schießerei aufhört. Wir sind da unten in einer Friedens- und nicht in einer Kriegsoperation. Das heißt, wir können nicht einfach sagen: ‚Das interessiert uns nicht’, sondern es ist im Interesse der Sicherheit aller Soldaten, die da unten in KFOR eingesetzt sind, daß verhandelt wird und daß es nicht zu einer Ausweitung des Konflikts kommt.“

Die Fraktionsführung der SPD behauptet, es sei kein Kriegseinsatz geplant; man wolle lediglich eine politische Lösung mit der Autorität der Nato sichern. Ist das vom grünen Tisch gedacht? Entspricht das der Realität auf dem Gefechtsfeld? Reinhardt beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja und begründet das so: „Die Nato hat ein unglaublich hohes Ansehen, sowohl bei der Regierung in Mazedonien als auch bei den Rebellen. Ich glaube, ohne das Eingreifen der Nato würden weitere Verhandlungen überhaupt keine Chancen mehr bieten.“ Hashim Thaci, der politische Führer der UCK, habe selbst die Nato gebeten, mit zu intervenieren. Man habe lange gebraucht und viel Zeit verloren. Es sei „höchste Zeit, daß die Kalaschnikows aus den Händen dieser Rebellen genommen werden, damit Politik mit Argumenten und nicht mit Waffen in der Hand betrieben wird“.

Der israelische Militärhistoriker und Kriegstheoretiker Martin van Krefeld schreibt in diesem Zusammenhang, eine Intervention könne sinnvollerweise nur mit Bodentruppen geleistet werden. Es handelt sich um Rebellen, die ihre Waffen eben nicht freiwillig abgeben würden oder jedenfalls nicht alle. Bisher sei es keiner regulären Armee gelungen, eine Terror- oder Guerillatruppe zu besiegen, selbst den Israelis im Libanon nicht, und es werde dann auf jeden Fall zu erheblichen Verlusten auch an Menschenleben kommen. Reinhardt teilt diese Einschätzung nicht. Aus seiner Kenntnis der Kontrahenten vor Ort glaubt er, daß „auch die Albaner versuchen werden, zu einer Lösung zu gelangen, weil und wenn sie sehen, daß ihnen der große politische Durchbruch nicht gelingt“. Ihnen gehe es ja im Grunde genommen auf der einen Seite um die Verbesserung der Lebens- und der politischen Verhältnisse ihrer Minderheit. Das müsse „mit unserer Hilfe“ in der mazedonischen Verfassung verankert werden. Die Anerkennung der sprachlichen Autonomie sei schon ein enorm wichtiger Fortschritt. Nato und EU müßten sich hier weiter engagieren, damit die albanische Minderheit zu ihren international anerkannten Rechten komme. Aber auch dafür gebe es eine Grenze, das sei die „Überlegung eines Groß-Kosovo, eines Groß-Albaniens, weil das natürlich den Brand auf dem gesamten Südost-Balkan entfachen würde“. Reinhardt hält das für möglich: „Wir haben hier nicht die Verhältnisse wie mit der Intifada zwischen den Palästinensern und der israelischen Armee, sondern wir haben es hier mit Leuten zu tun, mit denen man durchaus noch real und realistisch verhandeln kann.“

Falls es im Bundestag nicht zu einer Mehrheit für den Mazedonieneinsatz kommt - es ist ja durch die Rebellion der mittlerweile fast dreißig SPD-Abgeordneten sowie durch den Widerstand bei den Grünen durchaus möglich - könnte schwerer Schaden für das Ansehen bei den Verbündeten entstehen, „wenn das nicht schon der Fall ist“. Hier wird der General a. D. politisch: „Die Bundesregierung hat sich in der Bündnispolitik mit großen Worten in der Modernisierung der Streitkräfte der Nato und auch beim Aufbau der Streitkräfte für eine europäische Verteidigung engagiert. Aber überall da, wo es Kosten verursacht, haben wir uns sehr vornehm zurückgehalten. Das haben die anderen sehr wohl mitbekommen. Wenn wir nun auch noch als eines der stärksten Kontingente auf dem Balkan uns bei einer Aktion, in der die Sicherheit unserer Soldaten und die unserer Nato-Kameraden und Nicht-Nato-Kameraden - es sind ja sehr viele Nicht-Nato-Truppen da unten - nicht mehr engagieren, sondern die anderen für uns die Kastanien aus dem Feuer holen lassen, dann hat das mit Sicherheit erhebliche Auswirkungen auf das Ansehen Deutschlands - aber auch auf das Ansehen unserer Soldaten dort unten.“

Die deutschen Soldaten seien natürlich unschuldig an dieser Situation. Aber nachdem die Deutschen sich schrittweise auf die Norm der anderen Nato-Soldaten bei Auslandseinsätzen hochgearbeitet hätten und die Bundeswehr nun auch wegen der „ausgesprochen guten Leistung“ im Kosovo hohe Anerkennung genieße, könne man sich nicht aus einem Bereich, der die gesamte Nato betreffe, herausziehen und sagen: Laßt das doch die anderen machen. Das wäre innenpolitische Kirchturmpolitik und hätte mit Sicherheit Auswirkungen auf das Ansehen der Bundeswehr dort unten. Für den altgedienten Offizier, der viele Auslandseinsätze im Rahmen von Uno und Nato hinter sich hat, „ist das gar keine Frage“. Diese Umstände müßte auch die Opposition bedenken. Hier gehe es um mehr als darum, der Regierung mal eine politische Niederlage zuzufügen. Man müsse dies auch im Zusammenhang der letzten Jahrzehnte sehen. Die Bundeswehr sei in dem Bereich des gesamten Balkan seit 1994 mit UNPROFOR, mit IFOR, mit SFOR und jetzt mit KFOR präsent. Natürlich könne man sich auch zurückziehen, „aber das hat einen hohen politischen Preis, erhebliche politische Konsequenzen, die für Ansehen und Glaubwürdigkeit der Deutschen ganz allgemein und auch dessen, was wir politisch bis jetzt getan haben und weiter tun werden, nicht gerade positiv sein werden. Ein Rückzug jetzt - als Nation alleine - aus diesem gesamten Bereich würde massive Auswirkungen im Bündnis und auf unser Ansehen im alliierten Bereich haben“.

Den Vorschlag des Bundeswehrverbands, die KFOR könnte die Entwaffnung übernehmen, und zwar da, wo sie stationiert sei, dort könnten die Rebellen ihre Waffen abgeben, zusätzliche Einheiten in die Region zu entsenden sei also unnötig, hält General Reinhardt für „nicht realistisch“. Natürlich müsse die KFOR die Grenze nach Kosovo „dicht machen“. Das habe sie schon einmal getan, „als wir dafür sorgten, daß die Rebellen in der Sicherheitszone im Pressovotal entwaffnet wurden“. Das sei unumgänglich. Aber damit könne man nicht die Rebellen, die sich auf mazedonischem Gebiet befinden, entwaffnen. Da müsse ein neuer Modus operandi gefunden werden. Wer nun letztlich die Waffen übernehme, die mazedonischen Streitkräfte oder die mazedonische Polizei und ob die Nato einen Sicherungsring um die Entwaffnungszone bilde, das müßten die Kommandeure vor Ort beurteilen und mit den Politikern beschließen. Aber sich nur an die Grenze von Kosovo hinzustellen und zu sagen, „wir machen die Grenze dicht“, genüge nicht, um den Konflikt in Mazedonien zu lösen.

Zunächst hieß es: Wir machen nicht mit. Dann kam der Beschluß der Nato ohne die Deutschen zustande, und jetzt springen die Deutschen sozusagen noch als Hilfstruppe unter französischem Kommando verspätet ins Boot. Ist da nicht schon politisch Schaden entstanden? Diese Frage ist für General Reinhard nicht entscheidend. Wichtig sei, daß die Deutschen mitziehen, „unter welchen Rahmenbedingungen auch immer - unter französischer Führung, die auch nur ein Teil des Gesamtkontingents sind - oder nicht, das ist für mich nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage ist die Bündnissolidarität, ob wir uns nun an einer Aktion, die die gesamte KFOR betrifft, beteiligen oder nicht. Wie man nun die einzelne Operationsführung und -unterstellungsregelung löst, darüber kann man lange streiten. Aber ich glaube, das ist eine zweitrangige Frage. Die primäre Frage ist: Wenn dort unten die Nato gefordert wird, wird die Bundeswehr dabei sein - ja oder nein? Und ich meine, man sollte nicht auf der einen Seite aus innenpolitischen Gründen und auf der anderen Seite aus meines Erachtens sehr, sehr eng begrenzter moralischer Position heraus nun eine Aktion in Frage stellen, die für die Sicherheit unserer Truppen von entscheidender Bedeutung sein kann“.

Das Finanzargument hält Reinhardt mit Blick auf einen Mazedonien-Einsatz für einen Vorwand. Den Verbündeten sei natürlich bekannt, wie es finanziell um die Bundeswehr mit ihrer Einsatz- und Bündnisfähigkeit stehe. Aber man müsse zwei Dinge unterscheiden: „Unsere Truppen, die dort unten im Einsatz sind, sind ausgesprochen gut ausgerüstet; sie sind gut ausgebildet. Sie haben volle Akzeptanz und können mit allen anderen Truppen uneingeschränkt mithalten. Da gibt es hier und da Schwierigkeiten, und manches ist nicht optimal, aber es ist bei keiner Nation optimal, denn es kann ja keiner aus dem Vollen schöpfen. Für das, was wir da unten tun müssen, sind unsere Truppen im Grunde genommen vernünftig ausgerüstet. Das gilt in gleicher Form auch für einen möglichen Einsatz - so wie er jetzt für Mazedonien geplant ist. Unabhängig davon muß man aber sagen, daß die Truppe zu Hause einen unglaublichen Investitions- Stau hat. Das heißt, wir können unsere Streitkräfte materiell in den Waffensystemen bei weitem nicht so modernisieren, wie wir es dringend bräuchten und wozu wir uns verpflichtet haben. Und da kommen wir jetzt in erhebliche Schwierigkeiten auch in der Glaubwürdigkeit unseren Alliierten gegenüber.“

Der General war nicht nur im Kosovo und in Mazedonien, sondern auch in Somalia und in anderen Krisengebieten der Welt als Offizier internationaler Verbände tätig. Dennoch fällt ihm ein Vergleich, etwa über die Gefährlichkeit der Einsätze oder der Krisengebiete, schwer. Die größte Gefahr sieht er in der Unsicherheit, die ein Regierungsvakuum mit sich bringt, so daß man gezwungen ist, „mit allen möglichen Rebellen zu verhandeln und ähnlich wie Bismarck mit fünf Kugeln permanent zu spielen und zu hoffen, daß keine runterfällt“. Das sei die Gefahr, daß „aus diesem Bereich jeden Moment einer ausbrechen kann und plötzlich gegen Sie steht. Ähnlich haben wir es jetzt in Mazedonien mit der UCK. Diese Unsicherheit ist im Grunde genommen die größte Gefahr; und die war in Somalia genauso gegeben wie bei IFOR, bei SFOR und jetzt bei KFOR. Deswegen schickt man ja nun Streitkräfte, und deswegen schickt man nicht die Feuerwehr von Passau, weil es eben ein großes Risiko ist“. Die operative Frage sei: „Wie weit kann man das Risiko eingrenzen? Das ist bis jetzt im Kosovo gut gelungen, aber in Mazedonien nicht.“

Ein Mann der weiß, wovon er spricht: General Klaus Reinhardt, der ehemalige Nato-Oberkommandierende im Kosovo.
 
     
     
 
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