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Mit Pulver und Blei

 
     
 
In der Nacht zum 21. November 1998 töteten fünf Pistolenschüsse die 52jährige Duma-Abgeordnete Galina Starowoitowa im Treppenhaus ihrer Petersburger Wohnung. Kaum jemand zweifelt daran, daß es sich um ein politisches Verbrechen handelte. Das kulturelle Herz Rußlands gilt heute als Mordmetropole. Politik, Mafia und Bandenkrieg sind hier eng verzahnt. Der Volksmund spricht vom "russischen Chicago
". Aber auch in Moskau wütet der Untergrund-Terror, dem Journalisten, Unternehmer, Bankiers, Duma-Assistenten zum Opfer fielen. Unter mysteriösen Umständen verblutete im Juli General Lew Rochlin, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Parlament. Gekillt wurde ein enger Mitarbeiter des kommunistischen Duma-Präsidenten Selesnjow.

Nicht ausgeschlossen ist es, daß die Petersburger Mafia die Unbestechliche umbringen ließ. Als stichhaltig erscheint ein politischer Auftragsmord, gehörte doch die Starowoitowa, Vorsitzende der liberalkapitalistischen Partei "Demokratisches Rußland", zum Freundeskreis der im Volke verhaßten "Reform"politiker Gaidar, Tschubajs, Nemzow. Nach Meinung aller Oppositionsparteien und auch des derzeitigen Ministerpräsidenten Primakow tragen sie die Hauptschuld an der Wirtschaftskrise. Hinzu kommt, daß die Starowoitowa, deren Mut und persönliche Integrität auch für ihre Gegner außer Zweifel standen, an der Verbotskampagne gegen die KPRF teilgenommen hat. Wenige Tage vor dem Attentat gab sie bekannt, auf Indizien über "illegale Machenschaften" der KP-Führer Sjuganow und Selesnjow gestoßen zu sein. Auslöser des Verbots der KPRF ist die Affäre Makaschow. Im Oktober hatte der kommunistische Parlamentarier General Albert Makaschow gefordert, daß die Zahl der Nichtrussen in wichtigen Staatsämtern begrenzt werden soll, entsprechend dem prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung. In diesem Zusammenhang fiel auch das Wort "Jude". Tages- und Wochenzeitungen, die vom Dollar-Milliardär Abramowitsch Beresowski kontrolliert werden, bezichtigen den General des "Antisemitismus". Beresowski selbst verlangte ein Verbot der KPRF. Die Kommunisten konterten im Parlament mit einem Antrag, Beresowski seines Amtes als GUS-Sekretär zu entheben und ein Strafverfahren wegen "Aufwiegelung zum Klassenhaß" gegen ihn zu eröffnen. Der Antrag scheiterte nur knapp.

Bereits am 1. September hatte in nichtöffentlicher Dumarats-Debatte der Liberaldemokrat Schirinowskij, dessen Vater bekanntlich Jude war, die "sofortige" Verhaftung von Beresowski verlangt, da dieser, so Schirinowskij, an der Volksverelendung und sozialen Katastrophe "mitschuldig" sei. Die ethnische Zugehörigkeit der Medien-Mogule, Großfinanziers, Ölkonzernbesitzer (Solschenizyn: "Unsere Oligarchen") ist ja kein Geheimnis. Moskau-Korrespondentin Miriam Neubert von der Süddeutschen Zeitung charakterisiert Beresowski als "umstritten", als "reichen Mann mit jüdischen Wurzeln" (20. November). Dies trifft auch zu auf Millionäre wie Cho-dorkowski, Smolenski, Gusinski. In der SZ vom 21. November berichtet Miriam Neubert vom jüngsten Umfrageresultat des Allrussischen Meinungsforschungsinstituts.

Eines wolle die Mehrheit der Russen auf keinen Fall, schreibt die Neubert: "Daß ein Jude Präsident wird."

Während der russische Normalbürger angesichts des hereingebrochenen Hungerwinters das Zittern lernt, ist die Wahlschlacht voll entbrannt. Die neue Duma wird im nächsten Jahr gewählt und gewiß auch der Nachfolger Jelzins. Die beiden Hauptrivalen, Moskaus OB Luschkow und der Krasnojarsker Gouverneur Lebed, mobilisieren ihre Divisionen. Mitte November hob Luschkow seine Partei "Vaterland" aus der Taufe, eine Sammlungsbewegung diverser patriotischer, linksnationaler Gruppierungen, eingeschworen auf den "tretij put’" ("dritten Weg"). Den Dritten Weg – weder Kommunismus noch Kapitalismus – predigt Lebed seit 1996.

In einer halbstündigen Unterredung mit Gerhard Schröder bat der Russe um schnelle Unterstützung seines Gebietes. Die Antwort war: Nein. Tags darauf flog Lebed nach Bonn, eingeladen von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Kaum angekommen, flog er wieder zurück. Wie aus Moskau verlautet, wollte Lebed auf keinen Fall mit Außenminister Fischer zusammentreffen, dessen dubiose politische Vergangenheit dem sibirischen Gouverneur (und möglichen neuen Präsidenten Rußlands) keine Garantie für eine substantielle deutsch-russische Partnerschaft bietet. Der Sibirjake kennt seine Bonner Pappenheimer.

 

 
     
     
 
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