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Mit Volldampf voraus

 
     
 
Sachsen feiert und läßt sich feiern. 2008 will das Bundesland erstmals keine neuen Kredite mehr aufnehmen, verkündet die CDU/SPD Landesregierung – ein Jahr früher als im Koalitionsvertrag vereinbart. Der Haushalt (2007: 16 Milliarden Euro, davon noch 100 Millionen Neuverschuldung) werde kleiner, die Investitionen würden größer, heißt es aus der Dresdener Staatskanzlei. Sogar der Bund der Steuerzahler
ist begeistert: „Der Freistaat zeigt, daß die Solidarpaktmittel in Sachsen gut angelegt sind und sich der Freistaat bemüht, auch bei rückläufigen Solidarpaktmitteln aus eigener Kraft die strukturellen Veränderungen anzupacken.“ An der Elbe entsteht ein Musterländle, so der Eindruck. Schaffensfreudig wie Schwaben, bodenständig im Wirtschaften wie Bayern, so sehen sich die Sachsen – Gründe einer vorläufigen Erfolgsbilanz.

Rein statistisch gesehen verliert Sachsen – und zwar Einwohner, wenn auch nicht so sehr wie Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt mehr Todesfälle als Geburten. Wenigstens die Abwanderung scheint seit Ende 2005 gestoppt. Zuzügler und diejenigen, die Sachsen den Rücken kehren, halten sich monatlich ungefähr die Waage. Die Bevölkerungsbilanz bleibt aber negativ. Nachwuchs- und Schülerzahlen (allgemein bildende Schulen) gehen weiter zurück (6,4 Prozent weniger Schüler 2005 als 2004), Umsätze und Beschäftigte in Handel und Handwerk nehmen ab, Insolvenzen mehren sich – insgesamt ungünstige Voraussetzungen.

Und doch: Die Zahl der Touristen, darunter auch Auslandsgäste, steigt, Sachsens Ausfuhren steigen auch und selbst in bundesweiten Krisenzeiten gewinnt das Land an Substanz.

Der Nachwuchsschwund erlaubt Sparmaßnahmen bei den Lehrern, wenn auch zweifelhafte. Lehrer als Beamte lehnte Sachsen schon in den 90ern ab, verbeamtete nicht. Schlank sei der Sachsenstaat, so das Credo. Dieses Rezept gilt auch in der Großen Koalition Georg Milbradts weiter. Prioritäten setzen, das ist derzeit Sachsens Motto. Entschuldung wird an der Elbe groß geschrieben – auch das bedingt den Erfolg. Umstrittene Entscheidungen werden politisch gewagt und nicht zerredet.

Aus der überschaubaren Verschuldung und den internationalen Wettbewerbschancen leiten die Sachsen nicht nur ihr neues Selbstvertrauen ab, sondern bewahren handlungsfähige Politik. Andere Landesregierungen träumen aufgrund hoher Neuverschuldung und ausufernden Zinsendienstes vergebens von der Chance zur Investition. Ihnen fehlt schlicht die Möglichkeit – während sich für die Sachsen die selbstgesteuerte, nachhaltige Förderung ihres Landes auszahlt, versanden diese Mittel andernorts. Sachsen setzt fast alle Fördermittel für Investitionen ein – ein Sonderfall unter den neuen Bundesländern.

Selbständiger als sonst zwischen Elbe und Oder gehen die Sachsen ihren Geschäften nach – 10,3 Prozent sind Selbständige, der Neue-Länder-Schnitt beträgt nur 9,7 Prozent. Auch die Leipziger Messe als publikumswirksames Schaufenster des Landes hat inzwischen ökonomisch ihren Platz gefunden, bietet dem Modell Sachsen kulturell wie ökonomisch eine eigene Bühne.

Ein weiteres Argument für den Freistaat ist die hohe Investitionsquote. Eine Studie der Zeitung „Wirtschaftswoche“ und der CDU-nahen „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ hob Sachsen im Oktober bei einem Vergleich aller Bundesländer (auch Westländer) auf den ersten Platz in Sachen Investitionen sowie Wachstum. So sei die Pro-Kopf-Verschuldung mit 262 Euro pro Kopf (durchschnittlicher Anteil an den Schulden des Freistaats) hinter Bayern die geringste. Ein weiteres Indiz gibt Sachsens derzeitigem Kurs recht: Die Arbeitslosigkeit sei dort, so die Studie, im Vergleich zu allen anderen Bundesländern nicht weiter gewachsen. Trotzdem gebe der Trend keinen Anlaß, davon zu sprechen, „daß Sachsen seine strukturellen Probleme schon im Griff hat“, so die Einschätzung von Klaus Methfessel von der „Wirtschaftswoche“.

Vielen Sachsen sind die positiven Signale daher nicht genug. Insgeheim sehnen sie sich nach Ex-Ministerpräsident „Geenich Kurtchen“, Kurt Biedenkopf, der zwar über eine Abrechnungsaffäre aus dem Amt stolperte, dem viele aber dennoch nachsagen, das Land in Wirtschaftsbelangen mit besserer Bilanz geführt zu haben als sein Nachfolger. Unter der Ägide Biedenkopfs gelang es, Industrien anzusiedeln, die den Motor des Erfolgs seither zum Zünden bringen. Allen voran die Automobilindustrie, aber auch IT-Industrie wie Chiphersteller AMD wurden angelockt.

Tragfähige industrielle Kernregionen entstehen. Standort- wie Kooperationsvorteile kristallisieren sich heraus. Laut einer Studie der Unternehmensberatung „Ernst & Young“ erreicht das Vertrauen der sächsischen Mittelständler in ihre Landesregierung bundesweite Spitzenwerte. 55 Prozent bewerten ihre Lage als gut, soviel wie sonst nur in Hamburg. Dresdener planen – in Politik und Wirtschaft. So erstellen Dresdener Unternehmer den Verkehrsplan für Sankt Petersburg, eine Leipziger Firma bringt die Werbetafeln des Picadilly-Circus in London zum leuchten. Vorbild der Sachsen war und ist bei alledem Bayern.

Stolz sind nicht nur wirtschaftsnahe Kreise wie die sächsischen Rotarier, daß Sachsen die zweitgeringste Staatsverschuldung unter den Bundesländern hat, übertroffen eben nur vom Vorbild im Süden. Stolz sind die Sachsen auch auf ihre Kulturförderung, symbolisch dafür steht die Frauenkirche. Ein neues Selbstbewußtsein ist entstanden, der politische Leerlauf erscheint – allen Krisenerscheinungen zum Trotz – vergleichsweise gering. Während Brandenburger noch nach ihrer Identität zwischen Preußen und Berlin suchen, sind die Sachsen mit sich im reinen, die einst verheißenen „blühenden Landschaften“ zumindest wieder denkbar. Nach dem Auslaufen des Solidarpaktes kann Sachsen als einziges junges Land finanziell auf eigenen Beinen stehen.

Dresden lockt nicht nur immer mehr Touristen an: Geschickte Investitionen sorgen für ein ausgeglichenes Wachstum.
 
     
     
 
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