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Musik: Lied der Heimat auf Tournee

 
     
 
Nach langen und schwierigen Vorbereitungen war es endlich soweit, der Leipziger BdV-Chor "Lied der Heimat" konnte seine Chorfahrt nach Königsberg antreten. Die Einladung von Pfarrer Wolfram von der Evangelischen Gemeinde in Königsberg lag schon lange vor. Am 11. Mai stiegen die Chormitglieder und mitreisende Gäste voller Erwartung in den Bus zur ersten Fahrt in den nördlichen Teil Ostdeutschlands.

In Osterode wurde ein Zwischenaufenthalt eingelegt, um dort am 12. Mai an einem Konzert teilzunehmen. Mit den Freunden von der Deutschen Gesellschaft "Tannen" wurden schöne Stunden bei Kaffee
, Kuchen und gemeinsamem Singen verbracht. Abends trat der Chor dann beim Konzert im Festsaal des Osteroder Schlosses auf, zu dem auch Künstler aus Königsberg eingeladen waren.

Am 13. Mai ging es dann weiter zum eigentlichen Reiseziel Königsberg. Der Grenzübertritt bei Preußisch Eylau verlief trotz längerer Wartezeit ohne Probleme, so daß die Reisenden am späten Nachmittag wohlbehalten im etwas außerhalb der Stadt gelegenen Hotel "Baltica" eintrafen.

Am nächsten Vormittag fand eine erste Stadtrundfahrt statt. Für die Königsberger, aber auch für alle anderen war die Begegnung mit der Pregelmetropole voller Licht- und Schattenseiten. Königsberg ist eine lebendige Metropole voller Menschen. Man sieht Neues und findet noch manches Vertraute vor, aber man kann auch die Augen nicht verschließen vor dem Verfall in dieser einstmals so schönen und stolzen Hauptstadt. Für die Landsleute, die ihre Heimatstadt zum ersten Mal wiedersahen, war es ein trauriges Wiedersehen, und mit wehem Herzen mußten sie feststellen, daß es nicht mehr ihr Königsberg ist. Freude empfanden alle bei der Besichtigung des Domes, der wieder sein Dach hat und dessen Restaurierung auch weitergehen wird. Die Gruppe nahm an einer kurzen Andacht in der Kapelle teil sowie an einer Führung durch das bereits fertiggestellte Kant-Museum und war beeindruckt von dem, was man wiedergeschaffen hat.

Den ersten Auftritt hatte der BdV-Chor im Gemeindezentrum der Evangelischen Gemeinde Königsberg. Dort wurde er von Pfarrer Wolfram und dessen Frau herzlich begrüßt. Der Chor sang zu einem kurzen Gottesdienst und gab im Anschluß daran ein Konzert.

Die folgenden Tage waren ausgefüllt mit Fahrten zu den weiteren Auftrittsorten Tapiau (Kreis Wehlau), Labiau und Ragnit. Auch ein Auftritt in Tilsit war vorgesehen, wurde aber abgesagt.

Entweder durch ein Mißverständnis oder durch zu späte Information hatten die Verantwortlichen der Deutschen Gesellschaft in Tapiau erst in letzter Minute erfahren, daß der Chor kommt. In aller Eile haben sich dann der Leiter und dessen Mitarbeiter bemüht, alles für den Auftritt herzurichten und die Menschen herbeizuholen. Es wurde doch noch ein schöner Nachmittag, mit Menschen, die aufmerksam zuhörten oder die bekannten Lieder mitsangen und dem Chor mit viel Herzlichkeit begegneten. So freuten sich die Chorsänger, daß sie auch einige Gastgeschenke überreichen konnten.

In Labiau goß es in Strömen, als der Chor eintraf, aber er wurde mit großer Freude empfangen, obwohl das Haus der Evangelischen Gemeinde noch im Umbau begriffen war. Die rußlanddeutsche Chorleiterin Rosa Wegelin wandte sich, wie bereits zuvor in Tapiau, auch hier in russischer Sprache an die Kinder und stellte so ganz schnell den Kontakt mit ihnen her. Wie strahlten die Augen der Kleinen, als sie mit ihnen russische Kinderlieder sang.

Am Ende des Programms wurde jedem Chormitglied von den Kindern ein Blumensträußchen überreicht, darüber waren alle sichtlich gerührt. Dann packten alle mit an, um Tische und Stühle aufzustellen, denn man hatte ein leckeres Abendessen vorbereitet. Zum Abschluß boten auch die Kinder ein kleines Programm dar und zeigten, daß sie schon in deutscher Sprache singen können. Der Abschied fiel schwer, und es wurden Adressen getauscht, um Noten und Fotos zu schicken.

Die Menschen in diesen beiden Orten sind für ihren Idealismus, unter schwierigen Bedingungen etwas auf die Beine zu stellen, sehr zu bewundern.

Ganz anders verlief der letzte Auftritt in Ragnit. Die Kulturverwaltung der Stadt hatte versprochen, die Veranstaltung vorzubereiten und bekanntzumachen, doch hatte man sich damit wohl nicht viel Mühe gegeben, denn der Saal im sogenannten Kulturhaus war nur wenig gefüllt, und das war für die Chormitglieder schon enttäuschend. Auch mit solch unvorhergesehenen Dingen muß man fertig werden. Der Chor hat sich trotzdem bemüht, sein Programm so gut wie möglich durchzuführen.

Die Gruppe war nicht nur mit ihrer Chorkleidung und persönlichen Sachen auf die Reise gegangen, sondern auch mit Taschen und Koffern voller Geschenke für die Kinderheime. Durch die Vermittlung von Lothar Rauter war der Gruppe der Besuch in vier Kinderheimen ermöglicht worden. Mit sehr gemischten Gefühlen wurden die Heime in Labiau, Ragnit, Kurschen und Schillen besichtigt.

Die Kinder waren alle sauber gekleidet, und es waren - auch dank der humanitären Hilfe aus der Bundesrepublik - für die dortigen Verhältnisse sicher noch annehmbare Heimbedingungen, doch kamen dem Chor die mitgebrachten Geschenke wie ein Tropfen auf dem heißen Stein vor. Mehr hatten sie jedoch nicht transportieren können, und etwas ist immer noch besser als nichts.

Die Chorleiterin Rosa Wegelin kam auch in den Heimen mit den anfangs scheuen Kindern schnell in Kontakt und verstand es wunderbar, sie beim Singen und Tanzen zum Mitmachen zu bewegen. In einem Heim hatten die Kinder extra für den Besuch aus der Bundesrepublik ein kleines Programm eingeübt. Wenn es auch traurig war, die Kinder in den Heimen zu erleben, so sind sie dort sicher besser aufgehoben als in ihren kaputten Familien oder auf der Straße, denn sie werden versorgt, erhalten geregelten Schulunterricht und eine Ausbildung.

Vor dem obligatorischen geselligen Abschlußabend gab es am letzten Reisetag noch ein Schmankerl in Form einer Fahrt ins Naturparadies Kurische Nehrung mit Besichtigung der Vogelwarte in Rossitten. Diese Stunden auf der Nehrung, von der schon Humboldt sagte, "daß man sie gesehen haben muß, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll", war für den Chor wie ein Geschenk und wurde dankbar angenommen.

Viel hat der Chor während seiner Fahrten durch das Königsberger Gebiet gesehen, das ihn betroffen machte. Die Landschaft, die berühmten Alleen, die Wälder, sie waren noch so eindrucksvoll wie damals, als Ostdeutschland noch der Wohnort war, aber die Vertriebenengruppe sah in einem Gebiet, das einmal als "Kornkammer Deutschlands" bezeichnet wurde, brachliegende Felder, soweit das Auge reichte. Mutter Natur deckte in dieser Jahreszeit alles gnädig mit blühenden Wiesen zu, und mancher Schandfleck verschwand hinter Bäumen und Sträuchern, doch die Gruppe stand fassungslos vor dem Trümmerhaufen in Ragnit, der noch kurz zuvor eine Schule gewesen war. Bereits in der Renovierung begriffen, war sie angezündet worden, damit man sie abreißen und ihre Ziegel verkaufen kann. Und das war nicht das einzige Gebäude, das so aussah. Korruption und Mafiamethoden schaden diesem geschundenen Land und seinen Menschen so sehr, und: "Moskau ist weit!"

Über den Grenzübergang Heiligenbeil ging es am Pfingstsonntag in Richtung Bundesrepublik. Nach einer Übernachtung in Stettin kamen die Reisenden am Pfingstmontag gegen Abend wieder in Leipzig an.

Es war für alle eine ungewöhnliche, anstrengende und bewegende Reise mit vielen Erfahrungen, die noch lange beschäftigen werden.

Die positiven Erlebnisse, die Herzlichkeit der Begegnungen mit den Menschen dort, sie waren Trost und gaben Freude; die Schattenseiten, vor denen man nicht die Augen verschließen darf, sie wirkten erschütternd und stimmten traurig. Wenn man einen Zeitraum von 50 Jahren zum Maßstab nimmt, dann drängt sich einem die Frage auf, wie dieses Gebiet wohl in 50 Jahren aussehen wird. Beinahe meint man es sich vorstellen zu können, aber es heißt ja: "Die Hoffnung stirbt zuletzt." Vielleicht gibt es doch eine Zukunft fürs nördliche Ostdeutschland. Es wäre zu wünschen.

Labiau: Auftritt im Gemeindehaus der Evangelischen Gemeinde Ragnit: Besuch des Kinderheimes
 
     
     
 
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