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Nicht zurück in die Steinzeit

 
     
 
Wir fahren schon seit 1994 einen extrem rigiden Sparkurs, denn seither stagniert unser Haushalt. Die Landesrundfunkanstalten hatten in diesem Zeitraum durch Gebührenanhebungen einen Mittelzuwachs von rund 25 Prozent. In Wirklichkeit ging unser Etat zurück, denn die Rechtskosten stiegen, und für Tariferhöhungen erhielten wir vom Bund nicht – wie früher – Personalverstärkungsmittel, sondern mußten dies aus eigener Kraft bewältigen. Das waren nahezu 30 Millionen Mark.

Die jetzige Kürzung würde die Deutsche Welle
ins Mark treffen, denn vier Fünftel des etwa 600 Millionen Mark betragenden Haushaltes sind durch Personalkosten, langfristige Verträge, Kurzwellensender, Satelliten, Relaisstationen und den Betrieb des Hauses gebunden. Diese Kahlschlag-Aktion würde die Einstellung zahlreicher Programme in Hörfunk und Fernsehen bedeuten und hätte erhebliche personelle und soziale Konsequenzen. Die Zukunft der Deutschen Welle stünde auf dem Spiel.

Könnten Sie denn nicht am sendetechnischen Aufwand etwas sparen, etwa durch eine Huckepack-Kooperation mit anderen Sendern?

Das ist längst Wirklichkeit. Die digitalen Satelliten, die wir belegen, haben Untermieter, nämlich Fernsehanstalten aus Italien, Spanien und Portugal. Beim Satelliten-Radio sind auf den Tonunterträgern zahlreiche internationale Partner. Das spart Kosten. Wir betreiben ein sehr flexibles Frequenz-Management. Außerdem betreiben wir eine gemeinsame Relaisstation mit der BBC. Bei der Kurzwelle können wir kaum sparen, denn wir haben weniger als die Hälfte der Sendestärke von BBC und Voice of America, unseren großen internationalen Konkurrenten. Wer weltweit sendet, braucht gute technische Transportschienen. Sonst kann er es gleich vergessen.

Sie haben ja eine von den Gremien abgesegnete Planung. Wie es heißt, haben auch die Vertreter der jetzigen Regierungsparteien keine Einwände gehabt, und die Billigung war einstimmig. Werden Sie nicht desavouiert, wenn jetzt alle diese Planungen umgeworfen werden?

Für mich zählt die Sache und nicht politische Taktik. Seit ich Intendant der Deutschen Welle bin – das sind nun zehn Jahre –, sind alle wegweisenden Entscheidungen einstimmig gefallen. So das 1994 verabschiedete Reformkonzept "Deutsche Welle 2000" und auch die mittelfristige Aufgabenplanung, die Bundesregierung und Bundestag vorliegen, und auch dort hat es keinen Einspruch gegeben. Da ich überdies vor drei Jahren einstimmig wiedergewählt worden bin, kann der Kurs nicht so ganz falsch gewesen sein. Die nach der Bundestagswahl öffentlich lautstark erhobene Kritik ist bis zur Stunde undifferenziert. Wer "großen Reformbedarf" feststellt, soll sagen, wo er diesen sieht. Das kann man erwarten. Wir stehen jedenfalls für eine kompetente Sachdebatte zur Verfügung.

Vielleicht liegt es ja daran, daß die Oberaufsicht vom Innenministerium zum neuen Staatsminister für Kultur, Naumann, verlagert worden ist, der selbst einmal Praktikant bei der Deutschen Welle war. Sie hatten am 9. Februar ein Zusammentreffen. War es denn das erste Mal, daß er mit Ihnen sprach? Wurden Sie da vor vollendete Tatsachen gestellt?

Wir kannten uns – sieht man von zwei kurzen Begegnungen ab – vorher nicht. Das ist aber auch nicht so wichtig. Wir alle verteilen oder verwalten treuhänderisch Gelder der Steuerzahler. Und bevor Entscheidungen getroffen werden, bedarf es der sorgfältigen Abwägung. Gerade weil wir nach dem Auslandsrundfunkgesetz die Rundfunkfreiheit und zudem noch eine Finanzgarantie haben, kann man erwarten, daß man vor Kahlschlag-Aktionen mit den Betroffenen spricht. Bisher war das Haushaltsverfahren immer in Ordnung. Zuerst gab es Verhandlungen auf der Arbeitsebene, zum Schluß ein Chefgespräch. Diesmal wurden wir noch nicht einmal informiert. Weder vorher noch nachher. Nach der Erklärung des Bundesfinanzministers, die Subventionsempfänger um 0,5 Prozent zu kürzen, gingen wir von Kürzungen von drei Millionen Mark aus. Dafür hätten wir uns nicht ins Jammertal begeben. Zum Schluß war es mehr als das Zehnfache.

Sie haben in der Vergangenheit schon die Strukturen gestrafft, Personal eingespart und gelten als reformfreudig. Was können Sie denn jetzt noch machen? Sie können ja festangestellte Mitarbeiter gar nicht entlassen. Man sagt immer, dies seien Sendebeamte. Geht denn alles zu Lasten der freien Mitarbeiter?

Wir haben in den letzten dreieinhalb Jahren über 400 festangestellte Mitarbeiter – also mehr als 20 Prozent – abgebaut, setzen die modernsten Techniken ein, haben ein dezentrales Budget-Management und bald ein sauberes Controlling-Konzept. Auf dem Weg von der Behörde zum Unternehmen sind wir weit vorangeschritten. Darauf sind die Mitarbeiter ebenso stolz wie der Intendant. Trotz unseres Reformkurses sind die Ausgaben für das Programm – also das Produkt – kontinuierlich angestiegen. Ich werde alles tun, um betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden und auch den Freien ihre Zukunft zu sichern. Deswegen müssen diese Kürzungen weg. "Sendebeamte" treffen Sie bei der Deutschen Welle" nicht, dafür viele kreative Journalisten.

Sie senden in 35 Sprachen. Manche fragen: Müssen es denn so viele sein? Muß etwa das jetzt bereits startbereite ukrainische Programm nun wieder eingestellt werden?

Wären wir in den letzten zehn Jahren allen Empfehlungen von Regierung und Parlament gefolgt, hätten wir heute über 70 Sprachen, was Mehrkosten von rund 200 Millionen Mark verursacht hätte. Tatsache ist also, daß man in der Politik nicht weniger, sondern mehr Auslandsrundfunk wollte. Was die Sprachpalette angeht, so senden BBC und Voice of America in über 40 Sprachen.

Das ukrainische Programm habe ich vorläufig ausgesetzt, bis die Haushaltsverhandlungen abgeschlossen sind. Ich halte dieses Angebot für absolut erforderlich. Die Ukraine gehört mit nahezu 60 Millionen Einwohnern zu den großen Ländern Europas, die Bedeutung von Ukrainisch nimmt angesichts der kulturellen Selbstbehauptung zu, und unsere großen internationalen Mitbewerber senden in dieser Sprache.

Am Ende dieses Jahres muß ich einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Sonst entlastet mich mein Verwaltungsrat nicht. Vorwürfe wie "Der Bursche kann nicht mit Geld umgehen" will ich mir ersparen. Die Entscheidung über Ukrainisch fällt erst, wenn mittelfristige Haushaltsklarheit herrscht.

Die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung hat in einer Studie die Asienpräsenz der Deutschen Welle angegriffen. Ist die denn zu teuer? Kann man darauf vielleicht verzichten?

Es gibt keine Studie, sondern einen Bericht von zwei Autoren eines eingetragenen Vereins in Solingen, der unter wissenschaftlichen Aspekten ein Offenbarungseid ist. Es gibt überhaupt keine spezielle Asienpräsenz, sondern wir haben unser Fernseh- und Radioprogramm auch auf Satelliten in Asien sichtbar und hörbar gemacht. In Asien leben zwei Drittel der Menschheit. Sollten wir unser globales Programm dort als Mattscheibe präsentieren? Wir waren außerdem noch im digitalen Testbetrieb, da konnte man so gut wie keine Zuschauer registrieren. Dann hat man fünf Menschen beauftragt, ihren Geschmack zum Programm mitzuteilen, spricht aber von 100 Medienexperten in Asien.

Man hat uns von diesem Verein zuvor gefragt, ob wir diese Untersuchung in Auftrag geben wollen. Unsere Antwort war: "Nein, danke". Dieses Opus, das ich für eine Verschwendung von Steuermitteln halte und das bezeichnenderweise den free flow of information als völkerrechtswidrig bezeichnet, ist – wie ich lese – auch bei der Böll-Stiftung umstritten. Man sollte sich dort von den unseriösen Untersuchungsmethoden distanzieren.

Könnten Sie denn wieder auf den reinen Hörfunkbetrieb im Kurzwellenbereich zurückkehren?

Theoretisch kann man alles, doch das wäre eine Steinzeitstrategie für Auslansdsrundfunk. Sie müßten sich auf medientechnisch unterentwickelte Länder und Länder ohne Informationsfreiheit, wo man "Stimme der Freiheit" sein kann, zurückziehen. In deregulierten, liberalisierten und privatisierten Informationsmärkten – also in den USA, Kanada, Australien, Lateinamerika, West-, Süd-, Nord- und Mitteleuropa – wären Sie weg vom Fenster. Wir fahren im übrigen die gleiche Strategie wie BBC, Voice of America oder Radio France Internationale. Haben die alle den falschen Tritt, nur einige Besserwisser hierzulande sind im Recht? Da die Bedeutung von Rebroadcasting immer größer wird, wäre dies der gezielte Marsch in die Bedeutungslosigkeit.

Nun hat die Deutsche Welle ja als einzige Rundfunkanstalt – aufgrund des Gesetzes – einen Anspruch darauf, vom Bund finanziert zu werden. Können Sie mit dem Gesetz denn jetzt versuchen, die finanzielle Austrocknung aufzuhalten und vor Gericht ziehen?

Was jetzt geschieht, ist mehr als verfassungsbedenklich. Wir haben eine im Gesetz festgelegte Finanzierungsgarantie, die an unsere mittelfristige Aufgabenplanung gekoppelt ist. Diese Aufgabenplanung ist von Verwaltungs- und Rundfunkrat einstimmig verabschiedet worden, und auch vom Bundestag und der Bundesregierung hat es keine Einsprüche gegeben. Der uns aus heiterem Himmel treffende Haushalts-Blitz nimmt uns jede Planungs- und Investitionssicherheit. Manches spricht dafür, diese Frage verfassungsrechtlich klären zu lassen. Ich kann nur mit Neid auf die BBC und die Finanzierung ihres World Service schauen. Dort verständigt man sich mit Regierung und Parlament immer auf einen Dreijahresfinanzierungs-Kontrakt, so daß man vernünftig planen kann.

Herr Weirich, wir danken für das Gespräch.

 

Die 1953 begründete Deutsche Welle ist der deutsche Auslandsrundfunk, seit 1960 Bundesanstalt mit Sitz in Köln, sendete ursprünglich mit sechs Kurzwellensendern nach Osteuropa und Übersee. Aus dem mit Asbestproblemen belasteten modernen Funkhaus sendet die aus Steuermitteln finanzierte Bundesrundfunkanstalt heute in 35 Sprachen über Kurzwelle und seit Jahren auch mit Fernsehprogrammen Informationen, Berichte und kulturelle Beiträge, die ein Bild des heutigen Deutschland für die Welt und die Verbindung zur Heimat für die Auslandsdeutschen bieten sollen. Im Nachbargebäude hat die aus Gebühren finanzierte Länderanstalt Deutschlandradio ihren Sitz, die auch für europäische Nachbarländer sendet.

Der Intendant der Deutschen Welle, Dieter Weirich, ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter, amtierte nach seiner einstimmigen Wiederwahl bisher unangefochten; seine Amtszeit endet am 30. November 2001. Mit der plötzlichen Androhung einer Etatkürzung von 40 Millionen DM hat ein Kampf um die Fortexistenz und Leistungsfähigkeit des Senders begonnen.

Der Bund hat der Deutschen Welle im Auslandsrundfunkgesetz eine Finanzgarantie eingeräumt, die auf der mittelfristigen Aufgabenplanung beruht. Diese ist von den Gremien der Anstalt einstimmig beschlossen worden und fand keinerlei Einwendungen von seiten der Bundesregierung und des Bundestages einschließlich der SPD-Fraktion. Nach dem Gesetz ist der Haushaltsplan Grundlage für den Zuschuß des Bundes; dieser ist im Dezember vergangenen Jahres aufgrund der Finanzierungszusagen festgestellt worden. Eine nachträgliche Kürzung verstößt gegen das Gesetz, desavouiert Rundfunk- und Verwaltungsrat, stellt den Intendanten vor unlösbare Probleme und wirft verfassungsrechtliche Fragen auf, denn die Rundfunkfreiheit bedarf der finanziellen Sicherung von Programm und Investitionen.

 
     
     
 
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