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Nikolaus Lenau

 
     
 
Der Name ist bekannt. Viel wissen, daß er zu seiner Zeit ein berühmter Lyriker war, manche können ein Gedich zitieren, weniger bekannt ist seine Lebensgeschichte. Findet hier etwa Verunehrung eine Dichters statt? Nein, es ist der heutige Kenntnisstand junger und älterer Menschen Frage: Sollte man um den Lyriker Lenau wissen? Ja, denn er paßt in seiner seelische Zerrissenheit, Unstetigkeit, seinem Fluchtzwang in unsere Zeit, die kaum Geborgenhei kennt und sie doch fortdauernd sucht. Ein frühes Gedicht spiegelt die psychisch Grundstimmung dieses "Chopin der Lyrik", wie Stefan Zweig ihn nannte Vergänglichkeit! Wie rauschen deine Wellen/ Dahin durchs Lebenslabyrinth so laut!/ I deine Wirbel flüchten alle Quellen,/ Kein Damm, kein Schutz sich dir entgegenbaut!

Geboren wurde Lenau am 18. August 1802 in Csatád, einem überwiegend mit Deutsche besiedelten Dorf auf damals ungarischem Boden, heute Lenauheim in Rumänien. Sei Geburtsname lautete: Nikolaus Franz Niembsch Edler von Strehlenau. Der Dichter benutzt nur die beiden Endsilben des Adelsprädikats: Lenau. In ärgere Familienverhältniss hätte der Knabe kaum hineingeboren werden könne. Der Vater, österreichischer
Offizier der "schöne Niembsch", hatte die schwangere Therese Maigräber widerwilli geheiratet. Sie war ungarischer Abstammung, neigte zu Schwermut, zu hypochondrische Ungestüm und vererbte diese Eigenschaften ihrem Sohn. Der Vater seinerseits verankerte in Sohn den Wandertrieb, die Unberechenbarkeit, den Hang zum Abenteuer, zum Luxus. Die Schönheit vererbte er ihm auch. Vater Strehlenau ließ sich mehrmals versetzen, zuletz ohne Familie nach Wien. Der Besuch von Spielhäusern und Bordellen gehörte zu seine Gepflogenheiten. Er starb plötzlich, verbraucht durch Ausschweifungen. Um de "kleinen Niki" und seinen beiden Schwestern eine Bleibe zu sichern, heiratet Therese ein zweites Mal. Die Rechnung ging nicht auf. Der Mann war ein Kurpfuscher ständig auf der Suche nach Patienten in den Städten und Steppen zwischen Donau un Theiß. Die Eheleute trennten sich. Therese und die Kinder fanden Unterschlupf in de Nähe eines Friedhofs bei Pest. Sie hausten im ehemaligen Leichenhaus, denn die Näharbeiten der Mutter reichten für den Lebensunterhalt nicht aus. So folgte Lenau mi der Schwester Magdalena dem Angebot der Großeltern, zu ihnen nach Stocherau bei Wien zu ziehen. Therese mietete sich in Preßburg ein. Sie erlag 1829 einem Krebsleiden. Mit ih verlor Lenau einen Menschen, den er zwanghaft-abgöttisch geliebt hatte. Die Mutter blie nicht die einzige Frau, der er in unlösbarem Bann verfiel; Liebeshörigkeit zerstört sein Leben.

An verschiedenen Universitäten studierte er Philosophie, Jura, Medizin. Kein Studiu geriet zum Brotberuf. Schon längst hatte er den Dichter in sich entdeckt. Fast 30 Jahr alt, ausgestattet mit einem kleinen, von der Großmutter ererbten Vermögen, reiste e nach Stuttgart, wo er in illustren schwäbischen Dichterkreisen Bewunderer, Förderer seinen Verleger Cotta und Ruhm fand. Justinus Kerner, Gustav Schwab zählten zu seine engsten Freunden.

Aber auch ihnen gelang es nicht, Lenau von seinem Amerika-Abenteuer abzuhalten. In de von politischen Querelen heimgesuchten Deutschland setzte er seine Hoffnung auf das Lan jenseits des Ozeans: Du neue Welt, du freie Welt,/ An dem blütenreichen Strand/ Die Flu der Tyrannei zerschellt: / Ich grüße dich, mein Vaterland!

Am 25. Juni 1832 schiffte er sich mit seinem Diener Philipp Huber nach Übersee ein Das vermeintlich freie "Vaterland" erwies sich als Horrorszenarium. Die amerikanischen Lebensgewohnheiten, die Erwerbssucht der Emigranten stießen ihn ab Allerdings wollte auch er reich werden, um von den Erträgen sein Künstlerdasein in Europa zu finanzieren. Zu diesem Zweck kaufte er sich für 3000 Gulden Land in Crawford in Gebiet New Lisbon, das er Huber zur Bewirtschaftung anvertraute. Bar jeder Sach- un Menschenkenntnis machte er zusätzlich den Einwanderer Ludwig Häberle zum Mitverwalter Eine verhängnisvolle Entscheidung, denn der Erzgauner hinterging den integren Huber un machte sich aus dem Staub. Erst 1847, nach dem Tod Hubers, der versucht hatte zu retten was zu retten war, erhielt Lenau die Kapitalanlage und Zinsen von den neuen Landbesitzer überwiesen. Zu dieser Zeit aber lebte er bereits seit drei Jahren in der Psychiatrische Klinik Oberdöbling in Österreich.

Ab 15. April 1833 hatte er – amerikamüde – New York verlassen und betra Ende des Monats deutschen Boden. Er war, wie von ihm ersehnt, durch Urwälder geritten hatte die Niagarafälle glitzern sehen. Und sonst? Was brachte er mit nach Europa? Viel Seine dichterische Sprache glänzte mit neuen Ausdrucksmitteln. Der Lenau-Experte Vincenz Errante schrieb: "Neben dem Galopp der Czikos und Betjahrs und der Husaren durch die magyarische Steppe, neben der Klage des Schiffs über dem Wasserspiegel des stillen tiefe Teichs vernehmen wir jetzt in jener lyrischen Landschaft das Geprassel des Platzregens ein Rauschen der Urwälder und die Gesänge der mythischen, die Tiefe des Ozean bevölkernden Wesen."

Die Schiff- und Wanderlieder, Heidegedichte, Reise- und Abendbilder wurden bei Cott veröffentlicht. Lenau war ständiger Mitarbeiter der renommierten Zeitschrift "Da Morgenblatt" und wurde weit über Stuttgart hinaus gefeiert. Werke, die er als Versepiker und Dramatiker verfaßte ("Faust", "Die Albigenser" "Savonarola", "Don Juan"), erlangten weniger Popularität. Die "Wanderlieder", Lenaus Spätwerk, sein "Schwanengesang", entstande bei einsamen Spaziergängen durch weite Waldgebiete; sie nehmen – so Errante – eine Sonderstellung ein: "Während der Mensch (Lenau) in immer tiefere Umnachtun versinkt, erklimmt der Dichter noch einmal einen in strahlenden Lichterglanz getauchte Gipfel. Sein sterbender Geist entfesselt letzte aufleuchtende und lange währende Blitz mit gewaltiger Kraftfülle eigenster Herrlichkeit."

Wenden wir uns einzelnen Frauen zu, die er liebte, jedoch ohne jemals eine dauerhaft Verbindung einzugehen. Seine zunehmende Verworrenheit und die hieraus resultierende chaotischen Gefühlswelten ließen ihn die ersehnte Beständigkeit, Geborgenheit nich finden.

21 Jahre war Lenau alt, als er für ein "graziöses und anmutiges Wiene Mädel" entflammte: Berta Hauer. Drei Jahre loderte das Feuer. Das Kind wurd geboren, Lenau wollte heiraten, zur Eheschließung kam es nicht. Lenaus Mutter und sei Schwager Anton Schurz sträubten sich gegen die Verbindung mit "einem Mädche niedrigsten Ranges". Sie schürten Zweifel, ob das Kind von ihm sei. Lenau wich zu ersten, durchaus nicht zum letzten, Mal zurück.

Die zweite Leidenschaft war Lotte Gmelin, die Nichte Schwabs. Anno 1830 in Stuttgart an den Ufern des Neckars, begegnete er ihr. Gemeinsame Ausflüge wurden unternommen; e lauschte auffallend häufig ihrem Klavierspiel und Gesang. Stuttgart hörte die Hochzeitsglocken läuten. Die Romanze endete mit seiner Flucht nach Heidelberg, doch die "Schilflieder" machten sie unsterblich. Durch sein Verhalten büßte er die Freundschaft der Familie Schwab ein.

Der Ruf der Unwiderstehlichkeit umwob Sophie von Löwenthal. 1833 traf er sie als Gattin des Finanzmannes Max von Löwenthal. Dieser hatte selbst literarische Ambitione und freute sich, den berühmten Lenau kennenzulernen; er bot ihm Unterkunft un Gastfreundschaft an. Die unseligste Liebe Lenaus begann. Qualvoll erlebte er da Familienleben der Ehegatten – und glaubte sich dennoch geliebt. Daß Sophie, kokett Diva der Wiener Salons, sich mit ihm schmückte, seine Versuche, sich von ihr zu trennen rüde vereitelte, erkannte Lenau nicht. Sophie lag es fern, einer Liebelei wegen ihr gesellschaftliche Stellung zu riskieren; ein apartes Spielzeug genügte ihr. Elf Jahr – bis zu den ersten Symptomen seiner geistigen Umnachtung – pendelte er zwische Stuttgart und Wien hin und her, getrieben vom Zwang, im Bannkreis Sophies zu weilen.

Zweimal während dieser Zeit versuchte Lenau Befreiung, er hatte andere Liebe gefunde und wollte heiraten. Beide Mal griff Sophie ein, übertölpelte sogar ihren Mann und nah Verwandte zu fragwürdiger Mittäterschaft; sie gab vor, Lenaus Bestes zu wollen. Am 24 Juni 1839 lernt Lenau in Wien die bejubelte Sängerin Karoline Unger kennen Schwärmerische Briefe gehen nach Wien; Sophie, die "Unwiderstehliche", witter Unrat, spielt die Kranke, ruft Lenau nach Bad Ischl. Über seine Heiratsabsichten wei sie Bescheid. Sie stellt ihm vor Augen, daß eine Ehe zwischen einer reichen Primadonn und einem mit kargen Mitteln versehenen Poeten direkt in die Hölle führt; auch verlör er an persönlicher Reputation, der Ruf der Unger sei anrüchig. Das Gift zeigte Wirkung Lenau trennt sich von Karoline. Mit einem "Zettel" bittet er Sophie u Verständnis, "daß ich einmal verrückt war in dem Gedanken, ein Glück zu finde – außer mit Dir".

Anno 1844 startete Lenau eine zweiten Lösungsversuch: In Baden-Baden, im Hote d’Angleterre, sitzt ihm eine junge Dame in Trauerkleidung gegenüber. Er erfährt daß sie Marie Behrends, Tochter des verstorbenen Bürgermeisters von Frankfurt am Main ist. Erneut ist Lenau überzeugt, die Gefährtin fürs Leben gefunden zu haben ungebärdiger denn je erstrebt er friedvolle häusliche Geborgenheit. Wieder mischt Sophi die Karten. Diesmal argumentiert sie, Marie Behrends sei zu arm. In einer Ehe ohe sorgenfreies Auskommen würde er zerbrechen. Lenau beginnt zu schwanken und ist Argumente nicht mehr zugänglich.

Am 29. September frühstückt er mit der befreundeten Familie Reinbek. Plötzlich ei rasender Schmerz im Gesicht. Er springt auf, stürzt zum Spiegel. Er sieht den linke Mundwinkel hochgezerrt, die rechte Wange ist gelähmt. Klar erkennt er, daß sei geistiges Leben erlöschen wird. Und so geschieht es.

Die letzte Phase seines Lebens verbringt er in psychiatrischen Kliniken, sogenannte "Irrenanstalten", zunächst in Winnental. Emilie Reinbek, Marie Behrends, die nie heiraten wird, fahren zu ihm. Freunde kommen, sehen fassungslos den vo Tobsuchtsanfällen Gezeichneten.

Im Mai 1847 wird er nach Oberdöbling bei Wien gebracht, wo er am Morgen des 22. Augus 1850 entschläft. Hören wir noch einmal Vincenzo Errante: "Wo die Währingerstraß nach links gegen Döbling abbiegt, liegt der kleine Kirchhof von Währing … Ein weni entfernt im Kirchhof von Weidling, am Ufer eines kleines Baches, gegenüber der Donau, die von hier aus nach den Steppen des heimatlichen Ungarns fließt, ruht Lenau. Um ihn heru tiefes Schweigen, nur durch das Rauschen der Wasser unterbrochen. ,Hier muß sich’ gut ruhen lassen, wenn möglich, möchte ich hier begraben sein‘, hatte er zu seine Schwester gesagt. Friedhof der Waldlieder! Und im Friedhof der ,Waldlieder‘ haben si ihn zur ewigen Ruhe gebettet. In die Gruft wurde, der Sitte gemäß, das zerbrochen Wappenschild der Niembsch von Strehlenau gesenkt und bedeckt so die irdische Hülle de letzten seines Geschlechts, der ohne Nachkommen von dieser Erde schied." – Die Schlußstrophe aus einem "Waldlied": Daß alles vorübersterbe,/ Ist alt un allbekannt;/ Doch diese Wehmut, die herbe,/ Hat niemand noch gebannt.

Alljährlich verleiht die Künstlergilde Esslingen den "Nikolaus-Lenau-Preis fü internationale Lyrik". Für 1999 wurde er dem kosovarischen Lyriker Ali Podrimj zugesprochen. Seine "Ballade" könnte für den toten Lenau geschrieben sein:

Er ward nicht mehr gesehen –

die WELT kreist und kreist

in ihrer Schüssel versinkend –

von keinem gespielt

schallt die FLÖTE –

in einem Wald der MENSCH

er ging

und er ward nicht mehr gesehen.

 
     
     
 
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