|  | Schaffen", so bemerkte Stefan Zweig in seinem Versuch, das     Geheimnis künstlerischer Schöpfung zu erhellen, sei "ein beständiges Ringen     zwischen Unbewußtheit und Bewußtheit 
" "
 in dieses Gesetz des     Gegensatzes, des schöpferischen Ausgleichs zwischen bewußt und unbewußt ist der     Künstler gebannt". Neben Literaten und Philosophen fühlen sich auch immer wieder     Germanisten herausgefordert, die Bindungen, unter denen ein Werk entsteht, zu ergründen.     So auch Oliver Kurt-Georg Geldszus mit seiner Promotion  sschrift über "Verzicht und     Verlangen" bei Thomas Mann. 
 "Ich bin Asket, insofern mein Gewissen mich auf die Leistung im Gegensatz zum     Genuß und Glück verweist", notierte Thomas Mann in seinen Briefen und bekannte     damit, eine Daseinsform erwählt zu haben, die ihm Verzicht abforderte, wo das Rauschhafte     der Triebwelt übermächtig zu werden drohte, wo "die Hunde im Souterrain" nach     Futter verlangten. Aber nicht nur die nachweislich homoerotischen Neigungen wollte der     Schriftsteller damit im Zaume halten, sondern ebenso auch alle übrigen körperlichen     Gelüste, die ihn davon abhielten, in durchaus bürgerlicher Manier regelmäßig, von acht     Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags, den Dienst am Werk zu verrichten.
 
 So führt Geldszus die Askese als Schutzschild ein, das schriftstellerisches Schaffen     überhaupt erst ermöglicht. Nachdem er auch innerhalb des Werkes allerorten Asketen unter     den Figuren ausfindig macht, kommt der Germanist zu der Erkenntnis, daß er (Thomas Mann)     die Askese in seinem Leben bald derart verinnerlichte, daß sie in der Tat zu seiner     zweiten Heimat und zur "lebenslänglichen Voraussetzung seiner Produktivität werden     konnte".
 
 Sein homosexuelles Verlangen wurde auf die literarischen Figuren insbesondere der     Novellen umgeleitet, wie etwa im "Tod in Venedig": Der sich glühend nach dem     Jüngling Tadzio verzehrende Dichtergreis Gustav von Aschenbach trägt     autobiographische Züge, betont Geldszus in seiner Schrift und lenkt zum Beweis den Blick     auf Katia Mann, die einer berühmten Münchner Mathematikerfamilie entstammende Gattin.     Sie glaubte, Zeugin eines derart homoerotischen Aufflammens gewesen zu sein, und     berichtete in ihren Memoiren von einer Tadzio ähnelnden Figur, die Thomas Mann während     eines Aufenthaltes im "Grand Hotel des Bains" im Jahre 1911 "sehr in die     Augen gestochen" war. Ein vielleicht etwas dürftiger Hinweis auf künstlerische     Triebkraft, wenn man bedenkt, wie vielfältig verschlungen die Wege der Inspiration sein     können, die eine Dichterseele erreichen.
 
 Klarer steht es mit den Verhältnissen zu den geistigen Paten, die den Boden für Manns     Askeseverständnis bereitet haben. Zu seinem "Dreigestirn ewig verbundener     Geister" zählen Richard Wagner, Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche, wobei     dem Dichterphilosophen eine besondere Bedeutung zukam. Dies wohl aufgrund seiner     Askesekritik, mit der Thomas Mann, wie Geldszus mit einigem Recht und gewiß nicht alleine     mutmaßt, zu großem Einverständnis kam. So richtete er seine eigene Lebenshaltung daran     aus und verknüpfte untrennbar damit auch die Figuren in seinem Werk.
 
 Friedrich Nietzsche hatte sich vor der Askese als vermeintlich höherer Daseinsform     nicht verneigt, sondern sie in der ihm eigenen Weise unerbittlich analytisch zerfasert. Er     entdeckte in ihr nur eine weitere Variante des puren Willens zur Macht und fand seine     philosophische Grundhaltung einmal mehr bestätigt: "Diese Welt ist der Wille zur     Macht  und nichts außerdem! Und auch ihr selber seid dieser Wille zur Macht      und nichts außerdem!"
 
 Aus dieser Erkenntnis heraus entblößte er in seiner Streitschrift "Zur     Genealogie der Moral" die priesterliche Askese: "Die Sinnlosigkeit des Leidens,     nicht das Leiden, war der Fluch, der bisher über der Menschheit ausgebreitet lag, und das     asketische Ideal bot ihr einen Sinn!"
 
 Wie selbstverständlich finden sich dann auch Abbilder dieses asketischen Priestertypus     im Werk des Nietzscheverehrers Thomas Mann. Geldszus zieht zum Beweis seiner Thesen die     ähnlich angelegten Figuren wie den Jesuiten Leo Naphta aus dem "Zauberberg" und     die historische Person des Savonarola aus dem Roman "Fiorenza" heran. Der     wortgewaltige Priester, der  früh abgestoßen von den Wirrnissen in Kirche und     Staat  in den strengen Regeln des Dominikanerordens des 15. Jahrhunderts und in den     "strafenden Geschichten der Offenbarung" bald eine geistige Heimat fand, steht     hierfür exemplarisch. Sein puristisches Wollen gipfelte in dem Ziel, Florenz zu einem     theokratischen Gebilde umzugestalten, indem schließlich zum Karneval 1495 alle Zeichen     weltlicher Lust aus der Stadt verbannt und öffentlich verbrannt wurden.
 
 Zudem hatte er ein abstoßendes Äußeres, was sich durchaus in Nietzsches Verständnis     von einem asketischen Priester einfügte, als der "vorherbestimmte Heiland, Hirt und     Anwalt der kranken Herde", dessen "Herrschaft über Leidende" sein     "Reich" sei.
 
 Savonarola haßte die Schönen, Glücklichen und Besitzenden und forderte inbrünstig     die gerechte Verteilung der Güter unter das Volk. Letztlich aber wollte er sich auf     diesem Wege nur zum Führer der Darbenden machen. Denn auch er war ein Leidender, der nach     Nietzsche die Leiden so gut kannte, daß er seiner "kranken Herde" aus dem     Instinkt heraus voranschreiten wollte, um sie gegen die Gesunden und Starken zu     verteidigen. Ebenso wie Nietzsche enttarnt auch Thomas Mann den Priestertypus in seiner     Machtbesessenheit, wenn er den Fiores flehen läßt: "Hör auf, zu wollen, statt das     Nichts zu wollen! Laß von der Macht! Entsage! Sei ein Mönch!"
 
 Zugleich aber ist Nietzsches Verhältnis zu Askese auch zwiegespalten. Er preist     genauso ihre Vorzüge und unterscheidet zwischen der religiösen Askese, die einzig den     politischen Willen zur Macht bemäntelt, und derjenigen, die die Erkenntnis im Sinne     philosophischer Wahrheitssuche befördert oder zur Stärkung des geistigen und     körperlichen Befindens beiträgt. So schreibt Mann in den "Betrachtungen eines     Unpolitischen" über Nietzsche: "Er schleudert seine späten, schwefeligen     Blitze gegen das ,asketische Ideal, aber er selbst war der unbedingteste und     fanatischste Asket der Geistesgeschichte 
 aber er, was war er denn selbst, wenn     nicht Held, Genie und ,Gekreuzigter in einer Person?"
 
 Diesen Ausspruch als Schlüssel für das Mannsche Askeseverständnis anlegend,     präsentiert Geldszus, wie Nietzsche den Lübecker Senatorensohn dazu inspiriert haben     konnte, einen annehmbareren Asketentypus herauszumodellieren als den asketischen Priester:     den Leistungsethiker. Er frönt jenseits des religiösen Strebens der weltlichen Pflicht     im Alltag eines Kontors oder eben auch am Schreibpult des Dichters. Den Sinnesfreuden ist     er ohne selbstauferlegten Verzicht hoffnungslos ausgeliefert. Deshalb nennt Thomas Mann     den Leistungsethiker einen "Helden der Schwäche", das macht ihn nicht minder     tragisch als den Priester.
 
 Thomas Buddenbrook gehört in diese Reihe, die Hauptfigur des Romans     "Buddenbrooks", in dem Mann den Niedergang einer hanseatischen Kaufmannsfamilie     beschrieben hat. In diesem Fall ein "leidenschaftlicher Protestant", der die     Dekadenz in sich und das Dilettantische seines Bruders Christian durch schonungslose     Selbstkritik, ehrgeizige Leistungsbereitschaft und Entsagung bis zur Selbstaufgabe     überwinden wollte.
 
 Dreh- und Angelpunkt für die Typenprägung ist für Geldszus gerade der Widerstreit zu     seinem Bruder Christian, dem dilettierenden Komödianten, denn der Zwist beschwört     letztlich den Niedergang der Familie herauf: Leistungsethiker und Dilettant stehen     einander gegenüber, der eine zieht, paradox genug, gegen die Dekadenz zu Felde, während     der andere von ihr bereits überwältigt wird.
 
 Wieder unterstreicht Geldszus das Autobiographische. Denn den inneren Kampf ihres     Schöpfers haben die Figuren miteinander auszufechten. Der Bannkreis bürgerlicher     Herkunft war auch bei Mann  wie Thomas Buddenbrook ebenfalls Sohn eines Lübecker     Senators  durchtränkt vom protestantischen Arbeitsethos. Dem zu entweichen in die     Welt der sich bajazzohaft gebärdenden Künstler schien ihm schier unmöglich, wenn auch     die Anlage dazu drängte. Das abgründige, unberechenbare Künstlertum, mit seinem     "verführerischen Hange zum Ungegliederten, Maßlosen, Ewigen, zum Nichts", wie     es im "Tod in Venedig" heißt, schürte bei Thomas Mann tiefstes Unbehagen.     Überdies hatte Nietzsche mit seinem "Fall Wagner" geradezu davor gewarnt, in     dem er den Künstler als eigentlichen Narren enttarnte. Um aus der Misere zu finden, galt     es also, den Bürger mit dem Künstler zu versöhnen, wie Geldszus es am Ende auf den     Punkt bringt.
 
 Diese literaturwissenschaftliche Studie ist überaus interessant zu lesen. Obendrein     besticht sie durch einen klaren Stil. Innerhalb des gemeinhin mit Soziologendeutsch     durchsetzten Genres mag das leider immer noch die Ausnahme bedeuten. Mit aller Schärfe in     der Argumentation liefert der Autor einen weiteren, solide behauenen Baustein zur     Annäherung an die Bedingungen künstlerischen Schaffens. Das dem Vorwort vorangestellte     Zitat bleibt ihre wichtigste Lösung: "Wer enträtselt Wesen und Gepräge des     Künstlertums! Wer begreift die tiefe Instinktverschmelzung von Zucht und Zügellosigkeit,     worin es beruht!" (Thomas Mann, der Tod von Venedig)
 
 (Verzicht und Verlangen, Oliver Kurt-Georg Geldszus, Verlag Dr. Köster, Berlin 1999,     ISBN 3-89574-344-5, 316 Seiten, 64,80 Mark)
 
 
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