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PARTNERWAHL UND HEIRATSKREISE

 
     
 
Die Strukturierung der Bevölkerung durch soziale Siebung verändert sich ständig mit dem gesamten gesellschaftlichen Siebungssystem. Einen stabilisierenden Faktor stellt jedoch die Paarungssiebung in der Form der Homogamie dar; sie ist u. a. nachgewiesen für Körperhöhe, Pigmentation, Bildungsstand und Intelligenz; in diesen Merkmalen weichen also Ehepartner überwahrscheinlich häufig in gleicher Richtung vom Bevölkerungsdurchschnitt ab. Da es sich dabei um erbliche Merkmale handelt, bei denen die Kinder um den Mittelwert der Eltern streuen, tendieren die Sozialschichten dazu, sich nicht nur durch Heraussiebung entsprechender Varianten aus den anderen Schichten, sondern auch aus den eigenen Nachkommen zu ergänzen. So haben die höheren Sozialschichten nicht nur ein überdurchschnittliches Begabungsniveau, sondern sie haben auch mehr gut begabte Kinder, als ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Sonderbegabungen treten oft über mehrere Generationen gehäuft in Familien mit entsprechender Paarungssiebung auf, so hohe Musikalität bei den Musikerfamilien Bach, Strauß und Wagner und literarisch-philosophische Talente in einem schwäbischen Sippenkreis von Gelehrten- und Pfarrerfamilien, aus dem u. a. Gerok, Hegel, Hauff, Hölderlin, Kerner, Mörike, Schiller und Uhland hervorgingen.

In den mit dem Geschlecht korrelierten Merknialen und Persönlichkeitszügen überwiegt. dagegen die Kontrastwahl (Heterogarnie). Schon vor der Entdeckung der potentiellen Bisexualität und der individuellen Variabilität der Produktion von Geschlechtshormonen (» Konstitution, Geschlechtstypen) wurde mehrfach angenommen, daß die gegengeschlechtlichen Persön1 ichkcitszüge bei Ehepartnern gleich groß sind (Schopenhauer, W e i n i n g e r). »Zur sexuellen Vereinigung trachten immer ein ganzer Mann und ein ganzes Weib, wenn auch auf die zwei verschiedenen Individuen in jedem einzelnen Fall in verschiedenem Verhältnis verteilt« (Weininger, 1903). Die Analyse von Handschriften, bei der geschlechtsspezifische polare Eigenschaftspaare geprüft wurden (u. a. Begrifflichkeit Unmittelbarkeit, Gefühlsschwäche Gefühlsstärke, Gespaltenheit Geschlossenheit; die erste Eigenschaft jeweils dem männlichen, die zweite dem weiblichen Pol entsprechend), bestätigte, daß bei glücklichen Ehen eine bessere Kontrastierung und Ergänzung vorlag als bei unglücklichen Ehen (Schultze-Nauenburg).

Der Kreis der Personen, aus dem der Ehepartner gewählt wird, wird durch verschiedene Faktoren begrenzt. Der elementarste ist die Nachbarschaft. Es wird bevorzugt innerhalb der Siedlungsgemeinschaft geheiratet, die auf dem Lande durch das Dorf, in der Stadt durch Stadtviertel und Häuserblocks repräsentiert wird. Der Anteil der Ehen, in denen beide Ehepartner im gleichen Ort geboren sind, betrug in einer oberschlesischen Landbevölkerung 1935 = 47 v. H., in einer westfälischen Landbevölkerung 1957 = 35 v. H.; 62 v. H. der Ehen einer amerikanischen Kleinstadt wurden innerhalb eines Umkreises von vier Meilen geschlossen (E l 1 s w o r t h); in Philadelphia wurde in 34 v. H. der Ehen über nicht mehr als vier Querstraßen hinweg-geheiratet (Bossard). Der Grad der Nachbarschaftsgebundenheit der Eheschließungen variiert mit der Ortsgröße, der Bevölkerungsdichte, der Verkehrserschließung und auch dem Bildungsniveau. Natürliche Verkehrshindernisse, wie große Flüsse (Oder : Schwidetzky; Rhein: Wolf) und Wälder (Soiling: Walter), Gebirge und Meer, stellen gleichzeitig Heiratsgrenzen dar. Bei geringer, Bevölkerungsdichte und geringer Verkehrseni wicklung sind solche H e i r a t s- und Fortpflanzungsgemeinschaften (Isolate) geschlossener und stärker isoliert, wie dies für alle Primitivbevölkerungen anzunehmen ist. Bei genügend langer Isolierung können sie Zellen der Rassenbildung werden (Rassengenese).

Beim Menschen treten neben die natürlichen Heiratsgrenzen auch kulturell-ethnische. Besonders wirksam sind als solche die Sprachgrenzen, und zwar auch bei ethnischen Gemengen: in Einwanderungsländern wie den USA und Argentinien tendieren die verschiedenen Einwanderungsgruppen zu ethnischer Homogamie: Italiener, Spanier, Ostjuden u. a. heiraten mindestens solange bevorzugt untereinander, wie sie ihr Volkstum oder Reste ihres Volkstums bewahren; dagegen blieben bei den Nachkriegswanderungen in Deutschland die sprachgleichen Flüchtlinge und Einheimischen keine Isolate: der K o n n u p t i a 1i n d e x (K. V. Müller), d. h. das Verhältnis von wirklichem zu wahrscheinlichem Anteil der Mischehen, nähert sich vielmehr zunehmend dem Wert 1. - Religions- und Konfessionsgrenzen spielen eine ähnliche Rolle wie Sprachgrenzen, um so mehr, je stärker noch die religiösen Bindungen sind. Politische Grenzen schränken die Verkehrs- und damit auch die Heiratsbeziehungen auch dann ein, wenn sie keine Sprach- und Kulturgrenzen darstellen (deutsch-tschechische Grenze im Sudetengebiet vor 1939:. Schwidetzky).

Wegen der hohen Plastizität und Mobilität aller Kulturgüter Kulturanthropologie) zeigen die kulturellen Isolatgrenzen eine geringe Konstanz. Wanderungen, Um- und Einvolkungen, neue politische Grenzziehungen verändern sie, und die Fluktuation der Isolatgrenzen beschleunigt sich mit zunehmender Bevölkerungsdichte und Zivilisationshöhe. Aus dem räumlichen Kontinuum der Bevölkerung werden damit immer wieder neue Heiratskreise herausgeschnitten, Teilbevölkerungen in wechselnder Weise zu Fortpflanzungsgemeinschaften zusammengefügt und innerhalb der Isolate Panmixie angesteuert. Daraus ergibt sich u. a. der relativ hohe Grad der Rassenmischung beim Menschen. Die Nachbarschaftsgebundenheit der Partnerwahl bleibt jedoch als Konstante bestehen, sie verzögert die Durchmischung und damit die Einebnung der Rassenunterschiede, die sich in Frühstadien der Menschheitsgeschichte in langer Isolation entwickelten.

INTRAETIINISCHE AUSLESEVORGÄNGE. Bei einer Erbdifferenzierung der Sozialgruppen durch Siebung oder ethnische Überlagerung stellen soziale Differenzen von Fortpflanzung und Sterblichkeit Auslesevorgänge dar. Für den Gesamteffekt der Auslese sind zu berücksichtigen: die Sterblichkeit, und zwar die vor Ende des fortpflanzungsfähigen Alters; Heiratshäufigkeit und Heiratsalter; Geburten- bzw. Reproduktionsraten. In der Zeit des Absinkens der Geburtenraten (Phase III der Bevölkerungsentwicklung, Demographic), in der sich die Rationalisierung der Fortpflanzung zuerst in den Oberschichten durchsetzte, wirkten Heiratsalter und Geburtenraten im Sinne einer Verminderung der betreffenden schichtspezifischen Erbanlagen, also insbesondere der für Hochwuchs und Hochbegabung, während die in den Oberschichten günstigeren Sterblichkeitsverhältnisse dem entgegenwirkten. Bei Berücksichtigung der schichtspezifischen Intelligenztestleistungen und Reproduktionsraten (jedoch nicht von Heiratshäufigkeit, Heiratsalter und modifikatorischen Verstärkungen des Begabungsgefälles) wurde für die Bevölkerung der USA folgende Verschiebung der Begabungsverteilung in einer Generation errechnet (L o r i m e r und 0 s b o r n).

Ein direkter Nachweis solcher Ausleseeffekte ist jedoch bisher nicht gelungen, möglicherweise, weil Modifikationen sie phänotypisch kompensieren oder sogar überkompensieren. Wenn es in der Zeit der absinkenden Geburtenraten eine Zunahme der erblich Kleinwüchsigen gab, so wurde diese durch die säkulare Körperhöhensteigerung (Wachstum) überdeckt; eine Abnahme der erblich gut Begabten könnte durch bessere Schulverhältnisse und die Gewöhnung an Testuntersuchungen ausgeglichen worden sein; eine Mehrfachuntersuchung schottischer Schulkinder (T h o In p s a 12) hat jedenfalls kein Absinken, eher ein leichtes Ansteigen der Testleistungen erkennen lassen. Das Absinken der Schulleistungen und insbesondere der Konzentrationsfähigkeit der Schüler, das vielfach festgestellt wurde (H u t h, K. V. M ii her u. a.), weist nicht zwingend auf eine Veränderung von Genhäufigkeiten hin, sondern wird von pädagogischer Seite aus den Umweltstörungen von Kriegs- und Nachkriegszeit und der wachsenden R e i z ü b e r f l u t u n g gedeutet.

Bei der Land-Stadt-Differenzierung der Fortpflanzung summieren sich zu Beginn der Industrialisierung die ungünstigen Sterbeverhältnisse in der Stadt mit den überwiegend geringeren Fortpflanzungsziffern im Sinne einer schwächeren Reproduktion der Stadtbevölkerungen und damit einer Verminderung der Häufigkeit stadtspezifischer Erbanlagen. Die Fortschritte von Gesundheitsbetreuung und Hygiene wirkten sich jedoch in den Städten rascher und früher aus, so daß sich die Stadt-Land-Unterschiede der Sterblichkeit weitgehend ausglichen und ein Ausleseeffekt nur noch von der Fruchtbarkeitsseite her zu erwarten ist. Ein direkter Nachweis ist auch hier bisher nicht möglich gewesen.

Mit der Adoption der Familienplanung durch die Gesamtbevölkerung ist der durch das Absinken der Geburtenraten eingeleitete Ausleseprozeß abgeschlossen. Schon um 1920 deutete sich, zuerst in einigen Großstädten (Berlin, Stockholm), ein Zurückpendeln zu den früheren Fortpflanzungsdifferenzierungen an, bei denen die Familiengröße mit Einkommen und sozialem Rang positiv korreliert war. Es bestehen auch sonst große zeitliche und räumliche Unterschiede im Ausmaß und sogar in der Richtung der demographischen Differenzierung und damit auch der Auslesevorgänge. So setzte in Frankreich der Geburtenrückgang im Gegensatz zu vielen anderen Ländern auf dem Lande ein, das auch weiterhin, wenn auch in abnehmendem Grade, hinter den Städten (ohne Paris) zurückblieb. Ahnlich lagen in Schweden bis zum ersten Weltkrieg die Geburtenziffern in den landwirtschaftlichen Gemeinden niedriger als in den Industriegemeinden.

Aus früheren Perioden der Bevölkerungsgeschichte gibt es nur sehr wenige zuverlässige Daten über die soziale Differenzierung von Sterblichkeit und Fruchtbarkeit und damit über soziale Auslesevorgänge. Für das Aussterben von Eliten liegen eine Reihe von Hinweisen vor: in hellenistischer Zeit sinken in den griechischen Städten Heiratshäufigkeit und durchschnittliche Kinderzahl ab, jedenfalls die Zahl der aufgezogenen Kinder; Methode der Fruchtbarkeitsbeschränkung ist neben der Ehelosigkeit die Aussetzung von Neugeborenen (P o ly b i o s). In der Zeit der römischen Republik sterben viele Patriziergeschlechter aus oder erhalten sich nur noch durch Adoptionen; die Führungsschichten Senat, Ritterstand werden in zunehmendem Maß aus den unteren Sozialschichten und durch fremdethnische Einwanderer aufgefüllt; Caesar und Augustus versuchen durch bevölkerungspolitische Maßnahmen die Kinderzahl vor allem in den stadtrömischen Oberschichten zu heben (Demographic, Bevölkerungspolitik). Es handelt sich jedoch jeweils um zeitlich, lokal und quantitativ begrenzte Vorgänge. Viele andere Eliten sind nicht biologisch ausgestorben, sondern nur soziologisch von anderen Führungsschichten abgelöst worden. Ein durchgehender Trend der sozialen Ausleseprozesse im Sinne kulturpessimistischer Auffassungen, nämlich ein ständiger Verbrauch von Eliten verbunden mit Abnahme der Hochbegabungen, läßt sich historisch nicht nachweisen. Im größten Teil der menschlichen Bevölkerungsgeschichte ist eher ein entgegengesetzter Trend wahrscheinlich, da unter primitiven demographischen Verhältnissen der Phase I der Bevölkerungsentwicklung mit hohen Sterbe- und hohen Geburtenraten eher eine positive Korrelation zwischen sozialem Rang und Vermehrung besteht. Die außerordentliche Mannigfaltigkeit und Kompliziertheit von Siebungsvorgängen und sozialer Überformung der demographischen Faktoren gerade auch in dem Zeitraum, der gute bevölkerungsstatistische Unterlagen bietet, warnen jedoch vor jeder Art von Generalisierung.
 
     
     
 
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