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Pressefreiheit in Gefahr

 
     
 
Selten waren Deutschlands Meinungsmacher sich so einig: Die Bundesregierung muß gegen das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vorgehen, das prominenten Zeitgenosse
n nahezu unbegrenzten Schutz vor neugierigen Blicken kritischer Journalisten gewährt.

Die Straßburger Richter hatten - reichlich weltfremd - entschieden, daß über Personen des öffentlichen Lebens nur noch mit deren Einverständnis berichtet werden darf, außer bei Angelegenheiten, die eindeutig ihrer öffentlichen Funktion zuzuordnen sind (welche Angelegenheiten das sind, bestimmen sie selbst!). Sie gaben damit der Klägerin, Prinzessin Caroline von Monaco, Recht, die sich von allzu zudringlichen Fotografen und Boulevardjournalisten belästigt fühlte.

Man muß der Prinzessin aus dem Hause Grimaldi zubilligen, daß sie berechtigten Anlaß hatte, auf die Paparazzi-Zunft sauer zu sein. Andererseits hat ihr prinzlicher Gemahl aus dem Welfengeschlecht ebenfalls mancherlei Anlaß geboten, sich über das "öffentliche Interesse" hinaus mit seinen ganz speziellen Formen des privaten Auftretens (beziehungsweise Austretens) journalistisch zu beschäftigen. Hier war und ist eine rechtliche Klarstellung überfällig: Was darf man schreiben, wann hat man zu schweigen, welche Bilder darf man zeigen, welche nicht?

Die Richter in Straßburg haben eindeutig über das Ziel hinausgeschossen. Sollte ihr Urteil Bestand haben, würde künftig der Persönlichkeitsschutz weit über Grundwerten wie Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit rangieren. Wir Journalisten wären dann höchstrichterlich zu reiner Hofberichterstattung verdonnert. Dem traditionellen Wertesystem unserer Gesellschaft, das davon lebt, nicht nur positive Vorbilder herauszustellen, sondern auch negative Beispiele warnend anzuprangern, würde ein weiterer, möglicherweise vernichtender Schlag versetzt. Daß sich dagegen inzwischen an die hundert Chefredakteure deutscher Zeitungen, Zeitschriften und Sender öffentlich zur Wehr setzen, ist richtig und wichtig; da reihe ich mich gern ein.

Freilich muß man auch daran erinnern, daß in den letzten Jahrzehnten gerade die deutsche Rechtsprechung die Werteskala in entgegengesetzter Richtung verschoben hatte: zugunsten der Presse- und Kunstfreiheit und zu Lasten des Persönlichkeitsschutzes. War eine Person des öffentlichen Lebens (also oft, aber nicht immer ein Politiker) erst einmal in den Medien "zum Abschuß freigegeben", dann konnte er auch vor Gericht nicht auf Gnade oder gar Gerechtigkeit hoffen; er durfte, unabhängig vom Wahrheitsgehalt der gegen ihn erhobenen Vorwürfe, "fertiggemacht" werden. Das begann mit den auf Stasifälschungen basierenden Hetzkampagnen gegen konservative Politiker der Adenauer-Ära und findet bis heute seine Fortsetzung in den verlogenen Verunglimpfungen, denen Funktionsträger der Vertriebenenverbände in der aktuellen Diskussion um das Zentrum gegen Vertreibungen ausgesetzt sind.

Statt solchen Auswüchsen einen Riegel vorzuschieben, hat das Gericht in Straßburg "das Kind mit dem Bade ausgeschüttet". Daher wäre die Bundesregierung gut beraten, den freien Fall von einem Extrem in das andere zu verhindern.

Ob allerdings ausgerechnet Medienkanzler Schröder heftige Neigungen verspürt, die am 24. September ablaufende Einspruchsfrist zu nutzen, ist zu bezweifeln. Wie kein anderer deutscher Politiker ist er sich der suggestiven Macht der Bilder und Worte bewußt, hat sie sich, solange er der Liebling der Massenmedien war, konsequent zunutze gemacht. Jetzt, da der Wind im Blätterwald sich gedreht hat und die Schlagzeilen immer negativer geworden sind, dürfte er über den unverhofften Schutz vor allzu lästigen Kritikern nicht ganz unglücklich sein.

 
     
     
 
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