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Reemtsmas nächste Blamage

 
     
 
Das größte Verbrechen, das der Wehrmacht vorgeworfen wird, ist das an den sowjetischen Kriegsgefangenen," beginnt eine "Dokumentation" in Heft 1/2001 der "Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte", jener seit Jahrzehnten erscheinenden Schrift des Instituts für Zeitgeschichte. Das Münchener Institut steht in dem Ruf, die offizielle Bewältigung der Vergangenheit betreiben zu sollen und nimmt damit einen wichtigen Platz in der "Geschichtspolitik
" ein.

Tatsächlich wird spätestens seit 1978, dem Erscheinen des Buches "Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945" von Christian Streit (später ein enger Mitarbeiter der Reemtsma-Ausstellung) von offiziellen oder weniger offiziellen Stellen gelehrt, die Wehrmacht habe 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene planmäßig und absichtlich zu Tode gebracht. Einen propagandistischen Höhepunkt erreichte die Verbreitung der von Anfang an umstrittenen Zahl mit der Reemtsma-Heer-Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht". Heer behauptete, Christian Streits Zahlen (von ihm dem Buch des amerikanischen Soziologen Alexander Dall "German Rule in Russia" entnommen) seien das Ergebnis einer bewußten "deutschen Vernichtungspolitik".

Zwar mußte auch Heer zugeben, daß der größte Teil der sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand Opfer von Hunger, Durst, Erschöpfung und Seuchen gewesen war. Diese Erscheinungen jedoch, so Heer, hätten die Deutschen planmäßig herbeigeführt.

Bis Dezember 1941 wurden bei den großen Kesselschlachten drei Millionen Sowjetsoldaten gefangengenommen. Eine gewaltige Zahl – umfaßte die deutsche Oststreitmacht 1941 doch auch nur drei Millionen.

Wenn Historiker aus dem zweiten und dritten Glied darauf verweisen, daß im Ersten Weltkrieg die Verluste unter den russischen Gefangenen in deutscher Hand prozentual geringer waren,verdrängen sie, daß damals von August 1914 bis zur Befreiung Ostdeutschlands im Februar 1915 gerade einmal 200 000 Russen in Gefangenschaft gerieten, eine für damalige Verhältnisse schon sensationell hohe Zahl. Im Zweiten Weltkrieg waren es im ersten Halbjahr fünfzehnmal so viele.

Daß die daran interessierte Seite hartnäckig bei den 3,3 Millionen umgekommener sowjetischer Kriegsgefangener bleibt, ist umso merkwürdiger, als die russische Seite selbst in neueren Veröffentlichungen von "nur" 1 784 000 Soldaten ausgeht, die nicht aus deutscher Gefangenschaft zurückge- kehrt seien oder vermißt blieben (Walter Post belegt das in seinem Buch "Die verleumdete Armee" auf S. 163 und 301). Auch andere deutsche Forscher kamen vorher schon auf viel niedrigere Zahlen als jene, die Streit und Heer propagierten.

Die Dokumentation in den "Vierteljahrsheften" 1/2001 befaßt sich mit dem Tagebuch eines reaktivierten Berliner Majors des Jahrgangs 1876, der im Zweiten Weltkrieg als Kommandant zweier Durchgangslager (Dulags) für sowjetische Gefangene in Weißrußland sowie in der Ukraine tätig war. Akribisch hat Major Johannes Gutschmidt Tag für Tag seine Erlebnisse und Beobachtungen aufgezeichnet. Christian Hartmann, ein Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte, hat das Tagebuch kritisch untersucht und ausgewertet. Er berichtet, daß die Quellenlage über sowjetische Kriegsgefangene im deutschen Bereich "überaus dürftig" sei, weshalb er den Wert dieses Tagebuches sehr hoch ansetzt. Er nennt es sogar "eine einzigartige Quelle".

Durchgangslager sollten "den Strom der gefangengenommenen gegnerischen Soldaten … erst einmal sammeln, einer ersten Überprüfung und Versorgung unterziehen und dabei ordnen. Dann waren diese Gruppen aus dem Operationsgebiet nach hinten in die ortsfesten Stamm- oder Offizierslager weiterzuleiten ..." Eigentlich sollten die Dulags nie mehr als 5000 Gefangene gleichzeitig beherbergen.

Der Bearbeiter zieht das Tagebuch heran, um zu fragen, ob es die Behauptung belegt, die deutsche Seite habe die Absicht gehabt, die sowjetischen Kriegsgefangenen im Rahmen eines "Weltanschauungskrieges" zu vernichten, ob die These, es handele sich bei den hohen Verlusten der Gefangenen um ein "geplantes Massensterben", mit den Tatsachen übereinstimmt.

In einer ausführlichen Vorbemerkung, die teils im Jargon der bisher üblichen Vergangenheitsbewältigung gehalten ist, unterzieht er – mehr indirekt – jene bisherigen Behauptungen einer vernichtenden Kritik. Christian Streits und Christian Gerlachs Darstellung stellt er Fakten gegenüber, so die entsprechenden deutschen Befehle vom Oberkommando der Wehrmacht bis zu denen der Armeekorps, wie sowjetische Gefangene zu behandeln seien und welche Verpflegungsrationen ihnen zustehen (2200 Kalorien am Tag). Sie alle geben keinerlei Hinweise darauf, daß ein "Massensterben" geplant gewesen sei. Im Gegenteil wollte man die Arbeitskraft der Gefangenen erhalten, da man ihrer dringend bedurfte.

Bezeichnend auch das Eingeständnis, daß man kaum über Material verfügt habe, das aussagekräftig ist über die Verhältnisse, unter denen sowjetische Gefangene sowohl direkt hinter der Front als auch in der Etappe lebten. Das entlarvt die Angaben von Gerlach, Streit und Heer als Spekulation. Das Tagebuch Gutschmidts ist hingegen, wie der Mitarbeiter des Instituts unterstreicht, ein "kleiner, wenn auch repräsentativer Ausschnitt".

Der Kommandant und eine überraschend kleine Anzahl von Wachsoldaten bemühten sich nach diesem Tagebuch nach Kräften darum, die Lebensverhältnisse der Gefangenen so günstig wie möglich zu gestalten. Gutschmidt wies die Wacheinheiten mehrmals darauf hin, daß sie die Gefangenen im Rahmen der Genfer Abkommen zum Schutz von Kriegsgefangenen zu behandeln hätten, obgleich die Sowjetunion diesem Abkommen nicht beigetreten war. Er befolgte damit eine Weisung, die am 16. Juni 1941 vom Oberkommando der Wehrmacht ausgegeben worden war. Als die Zahl der Kriegsgefangenen nie erwartete Höhen erreichte und für alle bedrohlich zu werden begann, weil alle Planungen über den Haufen geworfen wurden, taten die Deutschen in Gutschmidts Lager alles, um die Massen unterzubringen, zu verpflegen, zu bekleiden und medizinisch zu betreuen. Daß alle Anstrengungen nicht ausreichten, mag damit zu erklären sein, daß Gutschmidts Dulag, vorgesehen für 5000 Gefangene, schließlich mit bis zu 30 000 belegt war, die übrigens von nicht mehr als 100 bis 200 deutschen Soldaten bewacht wurden. Innerhalb des Lagers sorgte eine Lagerpolizei, überwiegend Ukrainer und Hundertschaften berittener Kaukasier, für Ordnung.

Ende Oktober 1941 begann die Versorgungslage dennoch brenzlig zu werden. Das hatte mehrere Gründe: Die Sowjets hatten bei ihrem Rückzug systematisch alles zerstört, was den nachfolgenden deutschen Truppen zur Ernährung oder zur Unterkunft hätte dienen können. Unter der Politik der "verbrannten Erde" litten auch die Gefangenen. Sie kamen schon stark geschwächt und häufig krank in deutsche Hand. Als die Schlammperiode einsetzte, brach das deutsche Transportsystem zusammen, so daß selbst die Wehrmacht mit erheblichen Versorgungsschwierigkeiten kämpfen mußte.

Bei Wintereinbruch waren die Gefangenen zum Teil nicht ausreichend wetterfest untergebracht. Viele erfroren. Andere wurden von Seuchen wie Flecktyphus, Ruhr oder Cholera dahingerafft, wie auch Teile der Wachmannschaften. Gutschmidt und seine Soldaten versuchten zu improvisieren und taten, was immer möglich war, um die ihnen anvertrauten Gefangenen zu retten.

Der Autor des Instituts für Zeitgeschichte zitiert aus deutschen Meldungen jener Zeit, denen zu entnehmen ist, daß auch die Wehrmachteinheiten Not litten. Die 2. Panzerarmee etwa meldete, daß die Soldaten nichts mehr zu essen hätten, daß die Armee "von der Hand in den Mund lebt". Der Korpsarzt des XII. Armeekorps meldete, der hohe Krankenstand der Truppe sei auf mangelhafte Ernährung zurückzuführen. Im Dezember 1941 funkte die 45. Infanteriedivision einen alarmierenden Hilferuf: "Gruppe ist eingesetzt und hungert. Brot vordringlich."

Hartmann dazu: "Die Gefangenen" seien "nun der Eigendynamik, die dieser Krieg entwickelte, zum Opfer" gefallen. "Dieses ist freilich nicht mit einem von vorneherein festgelegten Mordprogramm zu verwechseln."

Über die Probleme mögen einige hier wiedergegebene Tagebucheintragungen Major Gutschmidts einen Eindruck ver- mitteln. Er notierte wenige Monate nach Kriegsbedinn:

"17.10.1941 – Kritschew. Nachts haben etwa 1500 (Kriegsgefangene) im Freien übernachtet. Heute früh kamen 3500 und weitere 10 000 sind angemeldet ... Mittags kam ein Offizier von den Panzern mit der Mitteilung, daß er im Fußmarsch 20 000 Gefangene bringt, die heute abend eintreffen sollen. Von 17.30 Uhr strömen ungezählte Massen im Gänsemarsch ins Lager 3 …

27.10.1941 – Kritschew. Die Gefangenen bekommen jetzt täglich zweimal warmes Essen und einmal Brot.

30.10.1941 – Kritschew. Nachmittags wurden 6000 Kriegsgefangene als im Anmarsch befindlich gemeldet. Sie kamen von Roslawl. Nur ein Teil soll heute eintreffen. Ich schicke ihnen Brot entgegen. Auf das Auto können dann die Marschkranken aufsteigen.

13.10.1941 – Kritschew. Es sterben viele Gefangene trotz reichlicher Ernährung. Die Unterbringung ist zu schlecht, und sie sind schon völlig erschöpft hier angekommen.

24.11.1941 – Kritschew. Für den Ortskommandanten von Tscherikow mußte ich 333 Urlaubsscheine für Kriegsgefangene ausstellen ...

20.12.1941 – Smolensk. Die kranken, aber noch besserungsfähigen Gefangenen sollen zu den Bauern aufs Land geschickt werden.

29.12.1941 – Smolensk. Jetzt herrscht in allen Lagern des Bezirks, mit Ausnahme des hiesigen Dulags 126, Flecktyphus. Am 24.12. wurde ich zum ersten Mal dagegen geimpft. Zwei weitere Spritzen werden folgen. Da die Lymphe sehr teuer und schwierig herzustellen ist, werden nur Leute über 45 Jahre damit geimpft."

Dieser kleine Ausschnitt läßt erkennen, wie unverständlich der Vorwurf ist, man habe gerade in jenem ersten Kriegsjahr absichtlich und systematisch sowjetische Gefangene sterben lassen. In dem Zusammenhang mag der Hinweis von Belang sein, der sich in einer Fußnote der "Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte" findet – nämlich daß umgekehrt in den sowjetischen Lagern die Sterberate deutscher Gefangener extrem hoch ausfiel: "Lag sie in den Jahren 1941/42 bei 95 Prozent, so sank sie 1943 auf 70 Prozent und 1944 auf 40 Prozent."

Fazit: Ein offizielles Forschungsinstitut stellt verzerrten oder schlicht falschen Darstellungen die historischen Fakten entgegen. Das war nicht immer selbstverständlich. Die Entwicklung läßt hoffen, daß in absehbarer Zeit endlich die "Geschichtspolitik" kein anderes Ziel hat, als zu erforschen, wie es wirklich gewesen ist.

 
     
     
 
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