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Schatten der Vergangenheit

 
     
 
Oktober 1989: Polen hat erstmals seit 1945 einen nichtkommunistischen Premierminister, Ungarn längst offene Grenzen zum Westen. In Leipzig bricht sich der Sturm gegen das SED-Regime Bahn, demonstrieren Tausende, skandieren „Wir sind das Volk“. Die deutsche Frage ist in aller Munde. Und so veranstaltet auch die US-Eliteuniversität Stanford eine große Podiumsdiskussion über die Chancen und Risiken einer deutsch-deutschen Annäherung.

Was sich dort abspielte, hat der Berliner CDU-Abgeordnete Uwe Lehmann-Brauns, der ebenfalls an der akademischen Debatte teilnahm, auf Seite 99 in seinem jetzt vorgestellten Buch „Die verschmähte Nation“ festgehalten: „Zu uns stießen Friedbert Pflüger
, heute Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, MdB, sowie seine damalige Ehefrau Magarita Mathiopoulos. Nachdem ich meine Einheitsmelodie auf dem Podium abgespielt hatte, kam Frau Mathiopoulos zu Wort und erklärte empört: Sollte tatsächlich die Wiedervereinigung kommen, würde sie am nächsten Tag ihren deutschen Paß abgeben und die amerikanische Staatsbürgerschaft annehmen. Friedbert Pflüger war vorsichtiger. Soweit wolle er nicht gehen, betonte aber, auch er sei gegen die Wiedervereinigung – er fürchtete um die demokratischen Errungenschaften der Bundesrepublik.“

Von Mathiopoulos hat sich Pflüger 2003 getrennt. (Derzeit ficht er mit ihr einen äußerst häßlichen Rosenkrieg in der Berliner Boulevardpresse aus, fordert 15.000 Euro von ihr). Seine Vergangenheit kann der Parlamentarische Staatssekretär aber nicht so leicht abschütteln wie seine lästige Ex-Frau. Pflüger war nicht nur Gegner der deutschen Einheit, er hat zwei Jahre später auch noch gegen Berlin als Bundeshauptstadt gestimmt.

Jetzt will Pflüger Bürgermeister von Berlin werden. In der Stadt, die gegen seinen Willen erst wiedervereinigt und dann gegen seinen Willen Hauptstadt wurde.

Fünf Tage, bevor sich Friedbert Pflüger öffentlich als Spitzenkandidat auf den Schild heben ließ, stand für Lehmann-Brauns ein lange anberaumter Termin fest. Im Museum am Check-point Charlie stellte der kulturpolitische Sprecher seiner Partei sein Buch vor. Diese deutsch-deutsche Kulisse war wie geschaffen für das Buch. Der 67jährige Autor, ein gestandener West-Berliner, beschreibt, wie im Laufe der Jahre nach 1945 die Träume von einer schnellen Wiedervereinigung zerbarsten. Schon bald hätten Befürworter der Wiedervereinigung nur noch als „Kalte Krieger“ oder „Don Quichottes“ gegolten, wie Lehmann-Brauns beobachtet hat.

Und das selbst in Berlin, der gespaltenen Stadt. Nach dem Mauerbau ließ Lehmann-Brauns den Kontakt zu den Landsleuten hinter dem Eisernen Vorhang nicht abreißen. Sonntagsreden pro Deutsche Einheit waren ihm nicht genug.

So lernte er 1970 seine Frau kennen, der er mit der Hilfe eines GIs zur spektakulären Flucht aus Ost-Berlin verhalf. Sie stieg auf einem dunklen Parkplatz in den Kofferraum des US-Soldaten und übertrat die Sektorengrenze unbesehen. Am Checkpoint Charlie natürlich.

Später – nach der von Lehmann-Brauns ersehnten Vereinigung – machte sich sein früherer Mangel an Berührungsängsten bezahlt. Mitte der 90er war Lehmann-Brauns maßgeblich daran beteiligt, Ex-Bürgerrechtler wie Vera Lengsfeld und Günter Nooke von den Bündnisgrünen in die CDU zu holen. Eine Glanzleistung.

Die vielen Kontakte zu mitteldeutschen Intellektuellen, Künstlern, Schriftstellern und auch Kommunisten sowie westdeutschen Alternativen haben Lehmann-Brauns in seiner Partei zu einem Paradiesvogel gemacht. Dies – so wie seine Zugehörigkeit zur sogenannten Reformgruppe – hat ihm den Weg an die Spitze der Berliner CDU stets verbaut.

Das Machtzentrum der Spree-Union besetzte über Jahrzehnte die Gruppe um den damaligen CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus Klaus-Rüdiger Landowsky, den langjährigen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und ihre Verbündeten. Diese Clique ist heute weitgehend diskreditiert. Lehmann-Brauns ist deswegen aber noch längst nicht zum Hoffnungsträger der Union mutiert.

Vielleicht rechnet er sich jetzt Chancen aus, nach einer (für unwahrscheinlich gehaltenen) Rückkehr der Union zur Macht in Berlin nach den Landtagswahlen im kommenden September doch noch Kultursenator zu werden – also unter Pflüger. Als bei der anschließenden Diskussion Richard von Weizsäcker hart getadelt wird, verzieht Lehmann-Brauns keine Miene. Pflüger war jahrelang Weizsäckers Sprecher gewesen. Da verbietet sich allzu heftige Schmähkritik am Bundespräsidenten a. D.

Die nun karrieretechnisch ungünstige Passage über Pflügers Auftritt in Stanford 1989 kann der unglückliche Autor nicht mehr entfernen lassen. Die Drucklegung seines Buchs erfolgte schon im Oktober 2005.

Wird der einstige Berlin-Gegner bald Bürgermeister der deutschen Hauptstadt? In Kreuzberg stellte Friedbert Pflüger (CDU, re., mit dem CDU-Abgeordneten Kurt Wansner) sein Programm für Berlin vor.
 
     
     
 
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