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Schlesien: Verfall und Neubeginn

 
     
 
Hier liegen Baum in ihrem kühlen Garten/des Herren Hand wird ihrer fleißig warten/Steh und besinn Dich der Du dieses liest/Was vor ein Baum Du selbst im Garten bist./Wer in der Zeit viel gute Früchte träget,/wird nach der Zeit in ein gut Land geleget...

Diese Inschrift über dem Eingang zur Gruftkapelle Baumgarten drückt die fröhliche Gewißheit aus, daß der fleißige und ehrbare Mensch nach seinem Ableben in den Himmelsgarten kommt.

Als dieses Erbbegräbnis in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf dem die evangelische Gnadenkirche in Hirsch
berg auf drei Seiten umschließenden Friedhof errichtet wurde, erwartete man eine gedeihliche Entwicklung und wollte den Nachkommen würdige, möglichst sogar prächtige Grabmäler hinterlassen.

Vorausgegangen waren Jahrzehnte der Unterdrückung der evangelischen Bürger durch die katholische Kirche und die Gegenreformation des habsburgischen Kaisers. Die Gesuche der überwiegend lutherischen Hirschberger bei Kaiser Leopold I. blieben ohne Erfolg, bis die Intervention des Schwedenkönigs Karls XII. im Vertrag von Altranstädt 1707 eine Wende zugunsten der Protestanten durchsetzte. Zuvor sollen allerdings über 200 000 Menschen Schlesien aus Glaubensgründen verlassen haben.

Die schließlich "gnadenhalber" erfolgte Erlaubnis zur Errichtung einer evangelischen Kirche, der Gnadenkirche, und des dazugehörigen Friedhofs brachte Schlesien die "schönste und prächtigste unter allen lutherischen Kirchen" dieses Landes (G. Grundmann) mit einer prunkvollen barocken Innenausstattung, Deckengemälden und einer vom reichsten Hirschberger Handelsherrn, Christian Menzel, gestifteten Orgel. Der Erbauer Martin Frantz aus Liegnitz nahm sich die Stockholmer Katharinenkirche zum Vorbild.

Um das außerhalb der eigentlichen Stadt errichtete Gotteshaus liegen die barocken Gruftkapellen der Kaufleute und Zünfte. Zu den eindrucksvollsten gehören jene der Familien Glafey, Gottfried, Baumgarten, von Buch, Steuer, Menzel, Winckler und Geyer.

Heute sind fast alle beschädigt, die Grabplatten sind zum Teil verschoben oder zerstört, die Gräber erbrochen, manche unversehrt, andere mit Unrat gefüllt.

Im nördlichen Teil konnten einige Kapellen durch den "Verein zur Pflege schlesischer Kunst und Kultur e. V." (Görlitz/Lomnitz) restauriert werden. Aber viele andere zeigen die Folgen der Vertreibung der deutschen Bevölkerung und sind stark gefährdet.

Verglichen mit dieser tragischen Entwicklung muten die Streitigkeiten um Begräbnisformen und Begräbnisrechte zwischen Kaufleuten, Handwerkern und der evangelischen Kirche, wie sie sich in den vorausgegangenen beiden Jahrhunderten abspielten, geradezu grotesk an. Da stritt man sich um das Tragen oder Fahren der Verstorbenen, um die Kosten der Erbbegräbnisse und die Friedhofsordnung. In letzterer wurde schon im 18. Jahrhundert festgelegt, daß die "Verrückung der Leichensteine" nicht erlaubt war.

Die polnische Verwaltung machte sich 1945 schändlicher Übergriffe schuldig: sie vertrieb die evangelischen Pfarrer und beschlagnahmte im Oktober die Gnadenkirche. Beim letzten deutschen Gottesdienst in der Beichtkapelle stürmten polnische Milizsoldaten herein und trieben die deutschen Gläubigen hinaus. Von über 35 000 Einwohnern (1939) waren Anfang 1947 nur noch rund tausend Deutsche in Hirschberg verblieben.

Der Gnadenkirchhof gehört zu den einzigartigen deutschen Denkmälern in Schlesien. Man wünscht sich, daß dieses Ensemble insgesamt wiederhergestellt, erhalten und sorgfältig behütet wird.

Bei meinem Besuch stand immerhin ein Streifenwagen vor dem offenen Gelände des verfallenen Friedhofes, durch das viele der polnischen Einwohner oft hindurchlaufen - auf ihrem Weg in ein Einkaufszentrum...

Im heutigen Schlesien sind aber nicht nur Spuren des Verfalls der alten Kulturgüter zu entdecken, sondern auch ermutigende Zeugnisse eines Neuanfangs.

Es war ein nebliger Novemberabend, als ein dick vermummter Radfahrer vor dem Tor meines Quartiers Schloß Lomnitz auftauchte. Zu dieser Jahreszeit war das eine Überraschung, die noch größer wurde, als sich doch tatsächlich ein Japaner aus der Vermummung schälte.

Am nächsten Morgen fragte ich ihn neugierig, was ihn ins Riesengebirge führe. Seine Antwort: "Ich fotografiere alte Häuser, die es hier noch viel zahlreicher gibt als im übrigen Europa."- Und nicht nur Häuser, könnte man hinzufügen, sondern auch Schlösser, wie jenes in dem Städtchen Lähn am Boberfluß, dessen polnischer Name "Wlen" ganz ähnlich klingt. Der Ort liegt nördlich von Hirschberg in einer hügelreichen Region mit tief eingeschnittenen Bachtälern und weiten Wäldern. Viel Wald umgibt auch die Burgruine Lehnhaus, ein schwer zu findendes Felsennest, dessen Ursprünge als Grenzfeste gegen Böhmen und die Lausitz bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen.

Als herzogliche Burg war sie Sitz eines Kastellans. Die Gemahlin Herzog Heinrichs I. von Schlesien, Hedwig aus dem bayrischen Geschlecht von Andechs/Meran, soll gerne dort verweilt haben. Eine zwischen der Ruine der im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Burg und dem nahen Schloß Lähn gelegene Hedwigskapelle erinnert an die Schutzpatronin Schlesiens.

Vor einem renovierten, kaisergelb gestrichenen alten Gasthaus empfängt uns der flämische Unternehmer van Houwert. Arbeiter werkeln an der Außenbegrenzung der Gutsanlage, vor dem Eingang stehen Baumaschinen.

Seit der ehemalige französische Oberst Adam von Koulhas im Jahre 1653 unterhalb der zerstörten Lehnhausburg ein Schloß errichtete, besteht dieser vielgestaltige und geräumige Adelssitz. In späterer Zeit befand er sich im Besitz der Familie von Grunfeld und Gutenstätten und war von 1828 bis 1945 Eigentum derer von Haugwitz.

Danach begann eine Tragödie: Der alte Graf wurde von einem Rotarmisten erstochen, die Familie vertrieben und enteignet; das nach Berlin ausgelagerte Familienarchiv ging dort im Bombenhagel unter.

Der polnische Staat bemächtigte sich des Besitzes. Seither verfiel das ausgeplünderte Schloß zusehends, selbst die massiven Gewölbe begannen zu brechen. Erst van Houwert brachte Rettung: Nachdem er das Schloß nach zähen Bemühungen endlich erworben hatte, ging der Flame mit bewundernswerter Energie an die Wiederherstellung des Besitzes einschließlich des Verwaltungsgebäudes, der Wirtschaftshäuser und des Konzerthauses. Sogar der ehemalige Barockgarten soll neu erstehen.

Der Ausblick gen Süden zum Riesengebirge, nach Osten auf das Städtchen Lähn und über das Bober/Katzbach-Gebirge ist überwältigend, ja vom alten begehbaren Bergfried der Ruine geradezu grandios zu nennen. Der neue Besitzer von Lehnhaus möchte dort nicht nur wohnen, er will ein Museum einrichten und die Kultur und Geschichte dieses schlesischen Kleinods wieder sichtbar machen.

Tragische Folge der Vertreibung: Viele Gräber auf dem Hirschberger Gnadenfriedhof sehen heute so aus wie das der Familie Linke,
 
     
     
 
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