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Sozi Kozi und Sozzen

 
     
 
Die Wörter "Socialist" und "socialistisch" sind viel älter als Karl Marx (1818–1883), den man den Vater des Sozialismus nennt. Sie tauchten in den deutschsprachigen Ländern um 1800 als wissenschaftliche Fachbegriffe der Jurisprudenz auf. Damals bezeichnete man die Anhänger der Naturrechtsschule Samuel Pufendorfs (1632–1694) als Socialisten.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war "Socialismus" eine vieldeutige Bezeichnung für die unterschiedlichen sozialpolitischen Ideen, die damals zur Überwindung der gesellschaftlichen Ungleichheiten entwickelt wurden. Dazu gehörten der Owenismus, Fourierismus und der Saint-Simonismus.

Der Ausdruck "socialist" für den Vertreter einer sozialistische
n Schule stammt aus England. Der erste Beleg findet sich in der in London erscheinenden Zeitschrift "Co-operative Magazine and Monthly Herold" vom November 1827, ein weiterer in der Zeitschrift "Poor Men’s Guardian" vom 24. August 1833.

Der Publizist und Politiker August Ludwig von Rochau (1810–1873), der, zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe verurteilt, nach Frankreich geflohen war, lieferte 1840 den ersten Nachweis für den Wortgebrauch im Deutschen. Da die soziale Frage bei der fortschreitenden Industrialisierung in England, Frankreich und Deutschland die innenpolitische Diskussion beherrschte, wurde das Wort zuerst im politischen Schrifttum bekannt, dann in der politischen Auseinandersetzung verwendet und schließlich volkstümlich.

Mit Karl Marx und Friedrich Engels hat der Ausdruck "Sozialismus" ursprünglich nichts zu tun. Sie nannten sich und ihre Gesinnungsgenossen "Kommunisten". In dem 1848 veröffentlichen "Manifest der Kommunistischen Partei" kommen die Wörter "Sozialist" oder "Sozialismus" überhaupt nicht vor. Erst unter dem Einfluß von Wilhelm Liebknecht (1826–1900) und August Bebel (1840–1913) übernahmen die Anhänger des Marxismus in Deutschland 1869 den Namen Sozialdemokraten. Der offizielle Parteiname zwischen 1875 und 1890 lautete je- doch "Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands". Dementsprechend hießen die Kampfmaßnahmen Bismarcks gegen die Partei vom Oktober 1878 "Sozialistengesetze".

In bürgerlichen Kreisen galt während des gesamten 19. Jahrhunderts der Ausdruck Sozialist als Diskriminierung. Wer das Los der Arbeiter verbessern wollte, konnte so beschimpft werden. Die Abkürzung "Sozi" für solche Leute kam erst um 1900 auf. In den "Preußischen Jahrbüchern" wurde 1903 ein Wahlaufruf des SPD-Parteivorstandes für die preußischen Landtagswahlen dahingehend analysiert, daß die herrschende Staatsordnung viel zu stark sei, "um sich von den Sozis umstürzen oder auch nur erschüttern zu lassen". In Baden nannte man die sozialdemokratischen Abgeordneten des Landtags "Sozzen". Im Elsaß hießen sie "Sozen". Für die Kommunisten gab es in einigen Gegenden Deutschlands im Gleichklang zu "Sozi" die Bezeichnung "Kozi", die bereits etwas über die körperliche Reaktion aussagt, die das Wort erreichen wollte. Die hohe Zeit der Diskriminierung für die Sozialdemokraten war nach dem Ersten Weltkrieg. Die staatstragende SPD wurde als Sozi-Partei verunglimpft, weil man ihr unterstellte, den Dolchstoß gegen die Front geführt zu haben. Auch Hitler gebrauchte das Schimpfwort in seinen Reden.

Eine Fundgrube für die antisozialistische Polemik jener Jahre ist der "Miesbacher Anzeiger" der Jahre 1920 und 1921. Der Heimatschriftsteller Ludwig Thoma (1867–1921) warf mit dem Ausdruck um sich, wenn er seiner Antipathie gegen Berlin und die Preußen freien Lauf ließ: "Und wenn die Berliner Sozi glauben, daß wir uns durch den Unitarismus zu schweigenden Knechten einer Sauwirtschaft, bei der sie sich die Taschen füllen, machen lassen, dann irren sie sich. Berlin ist nicht deutsch, ist heute das Gegenteil davon, ist galizisch verhunzt und versaut. Und jeder brave Mann in Preußen weiß heute, wo er den Grundstock eines ehrlichen Deutschtums zu suchen hat – in Bayern."

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Gebrauch des Wortes Sozi verpönt. Die SPD hatte in ihrer Opposition gegen das Ermächtigungsgesetz 1933 und im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime zu große Verdienste erlangt, als daß das diskriminierende Wort für sie im seriösen Sprachgebrauch anwendbar war. Je häufiger der Begriff Nazi gebraucht wurde, desto stiller wurde es um den Sozi. Um so erstaunlicher war, daß der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt 1999 im Rahmen der parteiinternen Auseinandersetzungen bekannte: "Ich bleibe ein Sozi."

Dr. Franz W. Seidler ist emeritierter Professor für Sozial- und Militärgeschichte der Universität der Bundeswehr in München. In zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, darunter 18 Bücher, beleuchtete er vorwiegend Themen des Zweiten Weltkriegs.

 
     
     
 
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