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Sozialhilfeempfänger in Deutschland

 
     
 
Donnerstagmorgen, 9 Uhr. Hamburger Bezirksamt, Abteilung Sozialamt. Ungefähr ein Dutzend Personen wartet auf dem Flur. Nur dienstags und donnerstags dürfen die Sozialhilfeempfänger ohne Termin beim Amt erscheinen, alle anderen Wochentage sind für individuelle Beratungen mit vorheriger Terminvereinbarung vorgesehen, so daß es nicht zu langen Wartezeiten kommt.

Ob sie denn gut von der Sozialhilfe leben können, lautet so auch die Frage an das junge Pärchen am Anfang des Ganges. Beide lachen. Sie zieht ihre dürren Schultern nach oben, beugt sich nach vorne und gibt zu bedenken, daß sie sich jedoch keinesfalls über die Zahlungsmoral des Sozialamtes beschweren können. Selbst wenn etwas in ihrer kleinen Wohnung kaputt sei, begleicht das Sozialamt ohne Schwierigkeiten die Rechnung.

Warum sie Sozialhilfe empfangen? "Seit meiner Krankheit habe ich nur hin und wieder einen Job gehabt", räumt er vorsichtig an. "Nun sind wir im Metadon-Projekt", geht sie offener auf das sie beide betreffende Problem ein. Sie ist während ihres Studiums
in die Drogenszene abgerutscht - dort hat sie ihn wohl kennengelernt - jetzt versuchen beide einen Neuanfang, ihr Studium wird sie jedoch nie mehr beenden können.

Sie lächelt schwach, umfängt mit ihren Armen ihren spindeldürren Körper, während er nervös zur Tür schaut. Diese öffnet sich dann auch erlösenderweise und beide entkommen den unangenehmen Fragen.

Die ältere Dame einen Platz weiter hat das Gespräch mitbekommen und beginnt von allein, ihren Fall zu schildern. Seit einigen Jahren ist sie geschieden. Während ihrer Ehe war sie Hausfrau und Mutter von vier Kindern, die sie alle gut erzogen habe. Sie hat auch schon sechs Enkelkinder. Warum sie hier ist? Ihr Mann zahlt ihr keinen Unterhalt und mit fast sechzig Jahren bekommt man als jahrzehntelange Tätigkeit als "Nur"-Hausfrau und Mutter gerade bei der derzeitigen hohen Arbeitslosigkeit erst recht keinen Arbeitsplatz mehr.

Heute sei sie hier, um eine größere Wohnung zu beantragen. Ihre jetzige habe nur ein Zimmer, in dem nur eine winzige Kochnische vorhanden sei. Wie sie von der Sozialhilfe leben könne? "Zuviel zum Sterben, zu wenig zum Leben", klärt sie auf. Traurig sei es auch, daß sie nie nur einen Cent übrig hat, um ihren Enkelkindern wenigstens mal etwas Süßes mitzubringen. Lieb hätten sie sie aber trotzdem.

Die beiden Männer Mitte dreißig, die nur eine Bank weiter daneben sitzen, haben das Gespräch interessiert verfolgt, doch als die Fragen an sie gehen, schütteln sie abwehrend mit den Köpfen. Nein, sie wollen nichts zu dem Thema sagen.

Auch der türkisch aussehende Mann neben ihnen, gibt keine Auskunft. Er kann allerdings auch nicht viel sagen, denn er ist zum ersten Mal beim Sozialamt. Er sieht verschüchtert aus, wünscht sich offensichtlich ganz weit weg, denn ihm ist die ganze Situation unangenehm. Sein Gegenüber kann das von sich nicht behaupten, denn er kennt sich inzwischen beim Sozialamt aus. Bis vor zwei Jahren hatte er eine eigene Werbeagentur, ist ständig von Hamburg nach Düsseldorf hin- und hergereist. Damals war das Leben schön - stressig zwar, aber schön. Heute ist er ein Nichts. Seine Eigentumswohnung mußte er verkaufen, seine Ehe hat die neue Lage ebenfalls nicht überdauert. Als die Frage auf seine Frau und seine Kinder kommt, steigen plötzlich Tränen in seinen Augen. Ganz so kalt, wie er es glauben machen wollte, läßt ihn die Situation anscheinend doch nicht.

"Es ist ein ständiges Gerenne nach Geld", merkt die Frau Mitte dreißig neben der Tür an. Da sie hin und wieder arbeitet, wird ihr dann der Anspruch verständlicherweise entzogen, hat sie dann aber wieder keinen Job mehr, geht alles von vorne los. Diesmal ist das Wohngeld nicht gezahlt worden, und sie hat Ärger mit ihrem Vermieter. Ihre Zwillinge sind zehn und die Große ist dreizehn Jahre alt. Seit ihrer Scheidung vor drei Jahren ist alles ein einziger Kampf. Die Kinder wissen gar nicht, was Urlaub ist, und je größer sie werden, desto größer werden auch die Ansprüche. Wie soll sie da mithalten können? Von Sozialhilfe kann man zwar überleben, aber mehr auch nicht. Trotz ihres aufgestauten Frustes wirkt sie gefaßt, irgendwie wird es auch diesmal wieder gehen. Wo sind nun aber die vielbeschworenen Schnorrer? Die Leiterin des Sozialamtes zuckt mit den Schultern. "Schwarze Schafe gibt es immer, aber sie sind keineswegs so zahlreich, wie es gerne behauptet wird. Außerdem haben auch wir unsere Methoden, um rauszubekommen, ob ein Sozialhilfeempfänger nebenbei noch schwarz arbeitet. Wenn dem so ist, kürzen wir gnadenlos." Wieviel Geld bekommt ein Sozialhilfeempfänger? Der Haushaltsvorstand erhält 293 Euro, erwachsene Haushaltsangehörige 234 Euro, bei Kindern sind die Beträge je nach Altersgruppe von 147 bis 264 Euro gestaffelt. Zudem gibt es 277 Euro Kleidergeld jährlich, das in zwei Teilraten ausgezahlt wird und das Wohngeld, das je nach Wohngegend und Wohnraumbedarf der jeweiligen Familie berechnet wird. Ist eine Wohnung zu teuer, wird ein Umzug finanziert. Zudem gibt es eine Reihe von Sonderleistungen, doch reich wird davon keiner.

"Wir müssen immer bedenken, daß wir uns mit unserem sozialen Netz auch die Leute von der Straße weghalten. Gäbe es keine Sozialhilfe, wäre die Kriminalität eine ganz andere. Das vergessen unsere Politiker jedoch allzu gern." Gibt es eine Personengruppe, die ihr besonders am Herzen liegt? "Viele junge Menschen geraten zur Zeit direkt von der Schule in die Sozialhilfe. Erschreckenderweise begreifen aber nur wenige, daß hier für sie die Endstation ist. Deswegen arbeiten wir mit einigen Firmen und auch Zeitarbeitsagenturen zusammen, so daß wenigstens einige auf diese Weise doch noch an einen Ausbildungsplatz kommen."

Wird nicht auch mit dem Arbeitsamt zusammengearbeitet? Die Leiterin des Sozialamtes reagiert fast belustigt bei der Vorstellung, sagt dann aber "kommt wohl auch mal vor". "Viele Menschen, die hier herkommen, sind schon am Ende. Ihre Ersparnisse werden miteingerechnet, eine Erbschaft wird sofort zum Leben verbraucht, über Jahrzehnte angesammelte Lebensversicherungen müssen verlebt werden, anstatt für das Alter zurückgelegt zu werden.

Zudem sind die Jahre der Sozialhilfe Zeiten, in denen man nichts für seine Rente tut, so daß Langzeitempfänger bis an ihr Lebensende Sozialhilfeempfänger bleiben. Nur ganz vereinzelte von ihnen leben wie die Made im Speck. Viel kann man den Sozialhilfeempfängern nicht mehr kürzen."
 
     
     
 
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