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Tagträume unterm Nachtgewand

 
     
 
Seit Monaten schon läuft durch die deutschen Feuilletons eine mit wissender Miene verbreitete Nachricht: Es gibt sie wieder, junge deutsch Schriftsteller, die durchaus etwas mitzuteilen haben, darüber hinaus auch noch schreibe können und somit der unter der Last angelsächsischer Bestsellerromane elend ächzende deutschen Literatur so etwas wie einen Hoffnungsschimmer vermitteln. Kreuz und quer geh es dabei durch den Garten der Künste; und herrscht auch die Form des Romans in der Rege vor, so wird doch immer wieder freudig herumexperiment
iert. Euphorisch ließe sich vo einem Sturm und Drang sprechen, der sich nun endlich, im zehnten Jahr der Deutsche Einheit, Bahn bricht und zu neuen Höhenflügen ansetzt. Betrachtet man die Produkte de jungen deutschen Dichter in diesem Jahr, so läßt sich zunächst ein quantitativer Sprun nach vorn feststellen: Es werden offenkundig immer mehr, die es wagen, mit ihre literarischen Ergüssen, mit ihren Sehnsüchten und Alltagsbeobachtungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Die neue deutsche Literatur ist selbstbewußter geworden. Si hat keine Angst mehr, Banalitäten zu verbreiten, ihre Liebesbeziehungen auszuwerten ode scheinbar absurde Ideen in Romanform zu gießen. Vor allem hat sie es wieder gelernt, die Scheu vor dem einfachen Erzählen abzulegen. Seit Jahren dominieren vor allem die amerikanischen Bestsellerautoren den deutschen Buchmarkt mit ihren vergleichsweise simpe gestrickten, aber unterhaltsamen Romanen. Deutsche Autoren standen dagegen in dem Ruf verquaste Gedanken in Schachtelsätzen zu bändigen und ihre Helden noch während de Beischlafs nach dem Sinn des Lebens forschen zu lassen. Die deutsche Literatur verlor s immer mehr an Breitenwirkung, während sich die Verlage gegenseitig die Auflag versprechenden ausländischen Autorenrechte abjagten. Der Berliner Verleger Arnulf Conrad hat bei den deutschen Schreibern jahrelang die Angst vor dem Alltäglichen und de Unterhaltung beklagt.

In der Tat ist in die deutschen Dichterstuben wieder eine völlig neue Lust a Erzählen eingezogen. Sie hat vornehmlich auch mit dem neuen Typus zu tun, der nun in die Literatur drängt und den Schriftstellerberuf eher als Nebentätigkei begreift.  Zum Beispiel  Karen Duve. Die Hamburgerin, die sei kurzem in einem Dorf bei Dannenberg lebt, weiß, wovon  si schreibt.  Nach dem  Abitur schlug sie sich mit Gelegenheitsarbeite durch, war Korrektorin und schließlich auch Taxifahrerin in der Hafenmetropole. Dabei ha sich, wie sie im nachhinein eingestand, angesichts pöbelnder, zahlungsunwillige Fahrgäste "ihre Liebe zu den Mitmenschen verschlissen". Sicher schärfte da ihren psychologischen Blick und ermöglichte so auch die mitleidlos gezeichnet Figurengalerie in ihrem "Regenroman", mit dem sie zu Beginn des Jahres de literarischen Durchbruch schaffte. Hier schickt sie ihre Protagonisten, die bulimiekrank Martina und ihren Ehemann Leon, tief hinein in eine unwirtliche, menschenvergessen mecklenburgische Moorlandschaft, wo sie verzweifelt versuchen, ein altes, bald schon a der Feuchtigkeit zugrundegehendes Haus zu renovieren. Erbarmungslos entlarvt Karen Duv dabei den zur Arroganz neigenden Möchtegern-Schriftsteller Leon, der ins Moor zog, u endlich die versprochene Biographie einer Hamburger Kiez-Größe zu schreiben, am End aber kaum eine vernünftige Zeile zustande bringt. An allem, auch der Ehe und dem Hau scheiternd, versinkt er schließlich selbst im Sumpf und verläßt seinen Körper "in dem er sich 38 Jahre lang nie richtig wohl gefühlt hatte".

Ein klobig-unförmiges Mädchen mit aufgedunsenem Gesicht steht mitten in der Nacht au der Straße, in der Hand einen leeren Eimer. Es weiß weder, wo es herkommt, noch, wie e heißt, lediglich, daß es 14 Jahre alt ist. – Mit dieser geheimnis- voll anmutende Szenerie  beginnt Jenny Erpenbeck ihre "Geschichte vom alten Kind" eine Geschichte letztlich von der ewigen Kindheit. Doch während si beschreibt,  wie das  seltsame Mädchen  im Heim  drangsaliert oder auch nur ignoriert wird und sich beharrlich weigert, zu sprechen scheinen dahinter unverkennbare Anklänge an Kaspar Hauser auf. Die Berline Opernregisseurin hat das Experiment, sich als Erwachsene unter Schüler zu mischen, selbs absolviert: Vor fünf Jahren gab sie sich um zehn Jahre jünger aus und ließ sich in die 11. Klasse eines Gymnasiums einschulen. Doch keineswegs geht es ihr bei ihrem Romandebü um die Schilderung des Erlebten; dazu trägt die Handlung zu viele märchenhaft anmutende romantisch-mystische Züge. Das wiederum verbindet Jenny Erpenbeck mit Karen Duve "Regenroman", der ursprünglich in diesem Sinn angelegt war. Doch de Eichborn-Verlag hatte dafür kein Verständnis: die Autorin mußte die der Romanti entlehnte Figur des kleinwüchsigen Waldschrats, der im Moor hausen sollte, streichen. Ei Drittel des Buches fiel so dem Lektorat zum Opfer. Der ganze Roman war zunächst vie märchenhafter gedacht gewesen.

Auch in diesem Punkt kündigt sich eine Zeitenwende in der deutschen Literatur an. Si richtet sich nicht zuletzt gegen die Garde der 68er, die zwar noch in den Medien un Verlagen den Ton angibt, aber immer mehr mit der sanften Rebellion der nachkommende Generationen rechnen muß. Der intellektuelle Roman war eine typische Kopfgeburt de sechziger Jahre. Fabulieren, Phantasieren, kurz: Geschichten erzählen wurde de absterbenden Bürgertum zugeordnet, als trivial gebrandmarkt. Dagegen erklärte Pete Handke, eine Geschichte könne künftig nur noch als  Verhöhnung ihrer selbs erzählt werden. Bei soviel Ironie und Gefühlskälte mußte die Romankunst zwangsläufi verkommen. Ohnehin belastete sich die damalige Literaturszene in Deutschland selbst, inde sie Adornos Diktum, nach Auschwitz könne kein deutsches Gedicht mehr geschrieben werden nachbetete.

Die Nachfahren sind da unbefangener. Benjamin von Stuckrad-Barre etwa ist der typisch Vertreter der jüngsten Dichtergeneration. Der 24jährige hat es früh schon in de Pop-Olymp der Literaturkritik geschafft. Dabei liebt er es, seine Bücher wie CD’s zu benennen: sie heißen etwa "Soloalbum", "Remix" oder wie das jüngst Werk "Livealbum". Der Viva-Generation scheint das zu gefallen, bei der Jugen jedenfalls hat er sich bereits einen guten Namen gemacht. Stuckrad-Barre schreib unverbraucht, selbstironisch und beherrscht das witzige Genre der humoristische Weltbeobachtung. Schon sein erstes Werk brachte ihm ein Engagement in der Berlin-Redaktio der FAZ ein.

Melancholisches, Zynisches, Heiteres – die neue deutsche Literatur deckt nahez jeden Bereich ab. Einen Überblick über dieses bunte Spektrum bietet vor allem die vo Christian Kracht herausgegebene Erzählanthologie "Mesopotamia". Daß es nebe hoffnungsfroh experimentierenden und manchmal auch nur verdächtig kitschige Erzählstücken auch seriöser zugehen kann, beweist Thomas Lehr mit seinem Bildungs- un Künstlerroman "Nabokovs Katze". In dem teilweise  autobiographische Werk erzählt der in Speyer geborene Autor nicht zuletzt die Geschichte  eine erotischen Obsession. Über Jahre hinweg erstreckt sich die Beziehung zwischen Georg un Camille – es gibt zahlreiche Briefe, dann und wann auch gelegentliche Treffen, und a Ende weiß niemand, nicht einmal der Held, so genau, ob das, worum es eigentlich geh zwischen ihnen, überhaupt jemals stattgefunden hat: "Mit keiner Frau war es s aufregend, nicht miteinander zu schlafen."

Kritiker wie der "Merkur"-Herausgeber Karl-Heinz Bohrer sehen den derzeitige literarischen Standard in Deutschland "auf dem tiefsten Niveau de Nachkriegszeit" angelangt. Doch dieses Urteil ist nicht nur zu pauschal angelegt, e trifft auch den Kern der Sache nicht. Natürlich kann bis auf wenige Ausnahmen noch lang kein Höchststand konstatiert werden; der aber ist auch noch gar nicht zu erwarten. E geht zunächst um die Ansätze, die schon verschüttet geglaubte Erzählkunst in Deutschland zu neuem Leben zu erwecken. Da sind gerade auch die komödiantischen erfolgreichen Bücher des Berliner Autors Thomas Brussig gefragt, der mit beißende Ironie vor allem die abgedankte DDR aufs Korn nimmt. Auch wenn die Verlage sich endlic wieder den eigenen Autoren zuwenden und bereits eine neue Renaissance wittern, – noc fehlt es an einigem, zum Beispiel an dem großen Roman der Deutschen Einheit. Auch is unter den deutschen Autoren bislang noch kein Houellebeque in Sicht, der in Frankreich mi seiner Mischung aus Diabolik und Komik besticht. Es fehlen die Schattenseiten des Daseins wie sie Novalis einst romantisch verherrlichte; noch bleibt alles etwas beliebig, es sin Tagträume unterm Nachtgewand, die da zumeist lustvoll gesponnen werden. Aber die Basi für den großen Wurf ist allmählich gelegt
 
     
     
 
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