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Thema Einwanderung gibt Ausschlag

 
     
 
Das vergangene Wochenende war das schlimmste. Und das ist Ende Juli immer so. Jedes Jahr wälzen sich dann kilometerlange Blechschlangen durch Frankreichs Städte. Doch allmählich leeren sich die Straßen wieder, die Franzosen sitzen am Strand oder in den Bars. So mancher denkt auch über die Zukunft nach. Es ist der letzte Sommer vor den Wahlen. Soll man zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine Frau zur Präsidentin wählen? Sollen die Linken wieder an die Macht, oder soll man den Bürgerlichen noch eine Chance geben? Immerhin wird im April der Staatspräsident und im Juni das Parlament gewählt.

Noch nie haben die Franzosen in den wenigen Wochen zwischen zwei wichtigen Wahlen mal der einen, mal der anderen Seite die Mehrheit gegeben. Das dürfte auch diesmal der Fall sein. Nach diesen Wahlen ist das Feld offen für fünf Jahre. Das ist eine lange Zeit für Reformen. Die Bürgerlichen haben sie kaum genutzt. Sie haben sich in interne
n Machtkämpfen nahezu erschöpft, Präsident Chirac wechselte Premier Raffarin gegen seinen Favoriten Dominique de Villepin, der aber gegen den starken Mann der Bürgerlichen, Nicolas Sarkozy, in den letzten zwei Jahren ebenfalls den Abnützungskrieg verlor und sich weder bei den sozialen Reformen bewährte noch während der Unruhen in den Banlieues. "Sarko", wie der Innenminister und Vorsitzende der größten bürgerlichen Partei, der UMP, von Freund und Feind gleichermaßen genannt wird, je nachdem mit ängstlichem Respekt und Verachtung oder mit liebevoller Hoffnung, "Sarko" dagegen konnte in den Krisen immer punkten. Seine direkte, unmittelbare Sprache, seine konkreten Maßnahmen polarisierten das Volk, aber auch die Gegner attestieren ihm Professionalität und Entscheidungsstärke. Das aber braucht Frankreich in den nächsten Jahren.

Bei den zahlreichen Kandidaten der Linken sticht Ségolène Royal, die frühere Ministerin und Lebensgefährtin von Francois Hollande, dem derzeitigen Generalsekretär der Sozialistischen Partei, besonders hervor: Immer ansehnlich und schick gekleidet, Mutter von vier Kindern, gewandt im Auftritt und im sprachlichen Duktus. Aber sie hat kein Programm, sie spricht nur Themen an, die den Franzosen in der Tat auf dem Herzen oder schwer im Magen liegen, etwa die Familienpolitik und die Erziehung oder auch die Unruhen in den Vorstädten. Hier fällt auf, daß sie Sarkozys Positionen weitgehend teilt. Auch sie verurteilt die Krawallmacher und tritt für harte Strafen ein. Aber in einer Frage bleibt sie blaß: die Immigration. Das hat seinen Grund. Die Linke würde gerne mehr Zuwanderer integrieren und zu ihren Wählern machen. Aber bei der Mehrheit der Franzosen steigt die Angst vor den Folgen einer ungesteuerten und unkontrollierbaren Immigration. Auch hier hat Sarkozy die Nase vorn. Der Innenminister weiß, daß diese Frage im europäischen Verbund gelöst werden muß, aber daß jeder Staat auch seine Hausaufgaben zu machen hat.

In der Tat beschäftigt diese Fragen derzeit fast alle europäischen Regierungen. Die Parallelen sind dabei überraschend: In Frankreich wie in Deutschland suchen die Regierungen zur Zeit intensiv nach geeigneten Kriterien für die Einwanderung, und zwar im Sinne einer Minderung des Zuzugs von Ausländern. Dabei sind Schein-Ehen, Polygamie, Sozialhilfemißbrauch und der Verbleib von Kindern besonders im Visier der Politiker. Während die Grünen und Sozialisten in Deutschland nach wie vor ihren Multikulti-Idealen nachhängen und ihre Gesinnungsgenossen in Frankreich ebenfalls so viele Ausländer wie möglich ins Land holen wollen, denken die Innenminister beider Länder über Beschränkungen nach. Sie wissen: Viele Immigranten wandern nur in die Sozialsysteme ein und wollen von Integration kaum etwas wissen. Das gilt vor allem für Einwanderer aus islamischen Ländern. Und sie wissen auch: Diese Frage ist entscheidend für die nächsten Wahlen und für die Zukunft beider Länder.

In Frankreichs Vorstädten geht der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen manchmal bis an die 90 Prozent. Die Parallelgesellschaften sind hier eine bittere Realität. Armut und Kriminalität werden von Hetzpredigern gnadenlos ausgenutzt. Sarkozy läßt hier die Möglichkeiten der Ausweisung in ihre Heimatländer prüfen. Dafür forciert er seit einiger Zeit auch schon die Zusammenarbeit mit den betroffenen Staaten. Beiden Innenministern ist klar, um welche Einwanderer es geht. Es sind die Integrationsunwilligen, in ihrer Mehrheit aus Nordafrika oder aus der Türkei. Ihre Bemühungen werden von der spanischen Regierung unter Zapatero unterlaufen, der die Tore für Zuwanderer öffnen will, weil sie langfristig Linkswähler sind und weil der Mangel an billigen Arbeitskräften vor allem in Südspanien spürbar ist. Daß er sich sozialen Sprengstoff ins Land holt, diese Warnung der bürgerlichen Opposition verdrängt er. Und er kann sogar auf Überlegungen der deutschen Christdemokraten verweisen, wonach die "gezielte Zuwanderung dringend benötigter Fachkräfte" im neuen Grundsatzprogramm festgeschrieben werden soll. Nur: Woher sollen diese Fachkräfte kommen?

Der Schatten des demographischen Defizits in Europa wird länger. Jetzt sind trotz der drängenden Probleme Menschlichkeit und Augenmaß gefragt, und zwar nicht nur mit Blick auf die Einwanderer, sondern auch mit Blick auf die gesundheits- und sozialpolitisch schwieriger werdenden Verhältnisse, sprich mit Blick auf die Integrationsfähigkeit und -willigkeit der Einheimischen. Sonst steht der soziale Friede plötzlich zur Disposition und das kann keiner wollen, weder in Deutschland noch in Frankreich und auch die Einwanderer nicht. Das ist auch die Schwachstelle von Sarkokzy. Er ist bisweilen so deutlich, daß die Wähler Angst vor dem Verlust des sozialen Friedens haben, sollte er als Präsident seine Ansichten umsetzen. Es ist die Frage, die die Wahlen im nächsten Jahr entscheiden wird. Die meisten Franzosen wollen einen starken Staat, der die Fragen der inneren Sicherheit und der Zuwanderung im Griff hat. Aber sie wollen keine Unruhen. Hier muß Sarkozy noch einen Weg zwischen medialer Selbstdarstellung und lautloser Problemlösung finden.

Sympathieträgerin: Ségolène Royal meidet das Thema Immigration.
 
     
     
 
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