A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Unmoralisch und ungerecht

 
     
 
Wer in Polen Boden erwerben will, muß nach wie vor sehr kreativ sein. Denn der Staat will grundsätzlich den Verkauf von Land an Ausländer nicht gestatten. Diese Regelung, die in der Bundesrepublik Deutschland zu heftigen Proteststürmen führen würde, ist in Polen eine unumstrittene Realität. Die Erklärung ist auch einfach: Während sich die Bundesdeutschen in nationaler Selbst- zerstörung ergehen, wird in Polen weithin nach dem Muster „Ein Staat, ein Volk, ein Boden“ gelebt. Polnischer Boden nur für Polen, so fordern es die Einwohner aller Städte, es ist eine gängige Parole in allen Landesteilen und geht nahezu unangefochten durch alle sozialen Schichten.

Dennoch versuchen viele Deutsche - darunter insbesondere auch viele Heimatvertriebene - auf legale
n, halblegalen und illegalen Wegen, sich ihre (oder eine) Scholle zu sichern. Es gibt leider bislang nur eine legale Variante: Der Weg führt über das polnische Innenministerium. Wenn in Polen gilt, daß es prinzipiell nicht geht, so heißt dies auch, daß es eine Ausnahme gibt. Zwar darf eigentlich keine Immobilie an Ausländer verkauft werden, aber über Ausnahmen entscheidet das Innenministerium. Im Jahr werden rund 4000 solcher Verträge genehmigt. Dies ist nicht viel. Und die polnische Regierung versucht mit dieser Zahl auch immer das eigene Volk zu beruhigen. Viele Polen haben nicht nur die Furcht vor einem „Ausverkauf“, sie sind sogar fest davon überzeugt, daß er bereits stattgefunden hat.

Bei der halblegalen Variante gründet ein interessierter Deutscher eine GmbH nach polnischem Recht. Dazu braucht er dann noch zwei, drei oder vier Polen als Mitgesellschafter. Diese neue Firma erwirbt dann die Immobilie. Der Vorteil: Da sie dann als polnische Firma gilt - also eine juristische Person in Polen darstellt -, braucht man bei einem Immobilienerwerb keine Genehmigung des Warschauer Innenministeriums. Der Nachteil ist offenkundig. Den Erwerb bezahlt der Deutsche alleine, seine Kompagnons sind Strohmänner, oft ohne Geld und mit fragwürdigem Hintergrund. Folglich bleibt der Neueigentümer darauf angewiesen, daß seine polnischen Freunde ihm in einigen Jahren treu und ehrlich ihre Firmenanteile übertragen. Genau dieses Problem will man in der illegalen Variante scheinbar umgehen: Hier ist der Ablauf fast so wie im vorigen Fall, nur läßt der deutsche Firmenchef schon gleich zu Beginn seine polnischen Freunde ein Blanko-Dokument unterschreiben, in dem sie in die Rückgabe ihrer Firmenanteile einwilligen. Bei dieser Konstruktion hat aber der Staatsanwalt, wenn die Sache auffliegen sollte, ein leichtes Spiel. Obwohl diese illegale Variante recht gefährlich klingt, kommt sie doch recht häufig vor. Und sie ist vor Ort oft auch kein strenges Geheimsnis, sondern in vielen Fällen sind die Kommunalpolitiker eingeweiht. Der Bürgermeister denkt: Es ist doch besser, wenn ein „verrückter Deutscher“ mit seiner Strohfirma die alte Kolchose kauft, statt daß das Land weiterhin brach liegt.

Und schließlich gibt es noch eine ganz „normale“ Variante: Die Polen ignorieren sie, die Deutschen kennen sie kaum: Polen, die heute im Ausland leben, kaufen das Land von außen. Eine Famile, etwa ein französischer Mann und eine polnische Frau, kaufen ein Grundstück in Pommern. Da die Frau noch ihren Paß besitzt, kann sie die Immobilie legal erwerben.

Eine weitere Besonderheit ist hier nun das Reprivatisierungsgesetz, danach soll die Rückübertragung von in kommunistischer Zeit enteignetem Privatvermögen möglich sein. Die Entschädigung von Personen, denen in kommunistischer Zeit Grundstücke, Firmen und anderer Besitz weggenommen wurde, gehört zu den Problemen, mit denen sich die nach 1990 gewählten Parlamente Polens jahrelang in besonderer Weise abmühten. Zum einen hatten die polnischen Okkupanten die Deutschen aus ihrem Staatsgebiet vertrieben. Hinzu kommt, daß es ähnlich wie in der DDR eine Bodenreform gab, bei der Grundbesitzer von mehr als 50 Hektar Land enteignet wurden. Während in den schon vor 1945 polnischen Gebieten dieses Land an Kleinbauern übertragen wurde, blieb in den deutschen Gebieten der Staat Eigentümer des Landes. Grundsätzlich sollen bei dieser Regelung die polnischen Eigentümer die Hälfte des Wertes ihres früheren Besitzes erhalten. Die Regierung schätzt, daß diese Regelung rund 21 Milliarden Mark kostet, wobei die Berechtigten in erster Linie Immobilien erhalten sollen. Wo dies nicht möglich ist, sollen Anteilsscheine (Bons) für die Privatisierung von staatlichen Betrieben ausgegeben werden.

Angaben polnischer Medien zufolge sind mehr als zwei Millionen Hektar land- und forstwirtschaftlicher Fläche für die Aktion vorgesehen, von denen große Teile, offensichtlich bewußt gewählt, in den deutschen Gebieten liegen, die Polen zur Verwaltung übertragen wurden. Nach polnischer Rechtsauffassung sind sämtliche Grundwerte in den deutschen Gebieten durch die angeblichen „Beschlüsse der Potsdamer Konferenz“ von 1945 in polnisches Eigentum übergegangen. Und hier wiederum greift auch im Jahr 2001 trotz aller von den Kanzlern Kohl und Schröder beschworenen Aussöhnung eine zutiefst chauvinistisch-nationalistische Regelung: Polen hat gesetzlich bestimmt, daß Deutsche in diesen Regelungen ausdrücklich ausgenommen sind. Insgesamt wird mit bis zu drei Millionen Betroffenen gerechnet. Wie die in Grünberg erscheinende „Gazeta Lubuska“ schreibt, haben im Lebuser Land über 6400 sogenannte „Ost“-Polen Anträge gestellt.

Eine Regelung, wonach nur solche Personen Ansprüche geltend machen können, die sowohl zum Zeitpunkt des Eigentumsverlustes wie auch am 31. Dezember 1999 im Besitz der polnischen Staatsbürgerschaft waren, sorgt für heftige Kritik an dem Gesetz. Insbesondere in den USA lebende Exilpolen, darunter viele Juden, die ihre Heimat während des Krieges oder auch danach verlassen haben und jetzt die amerikanische oder israelische Staatsbürgerschaft besitzen, drohten bereits mit Klagen vor US-amerikanischen Gerichten. Schon im Sommer 2000 hatte eine Gruppe in New York lebender Juden die polnische Regierung wegen des Raubs ihres Eigentums angezeigt. Die „Gazeta Wyborcza“ zitiert den in Connecticut lehrenden ehemals polnischen Geschichtsprofessor Stanislaw Blejwas: „Das Gesetz ist unmoralisch und ungerecht.“

Die derzeitige Mitte-Rechts-Regierung dürfte aber nicht ohne Grund daran interessiert sein, daß Privatisierungsgesetz noch vor dem EU-Beitritt Polens über die Bühne zu bringen. Polen könnte dann auf eine unter demokratischen Bedingungen gefaßte Eigentumsregelung verweisen. Ohne diese bestünde aus Sicht Warschaus immer noch die Möglichkeit, daß deutsche Vertriebenenorganisationen ihm Rahmen der EU-Erweiterung auf eine Regelung drängen könnten, bei der ihre Ansprüche berücksichtigt werden müßten. Der Druck macht sich auch in Stettin bemerkbar. Mehr als 12.000 Einwohner Stettins, die bisher als Pächter in den polnischen Grundbüchern geführt wurden, haben bis Ende 2000 einen Antrag auf kostenlose Eigentumsübertragung gestellt. Sie machten damit von einer Regelung Gebrauch, die Warschau im Vorfeld des EU-Beitritts beschlossen hatte.

Ziel war damals, die Rechtsansprüche der polnischen Bürger vor möglichen Forderungen deutscher Bodeneigentümer zu sichern. Hintergrund ist, daß in den Städten in den deutschen Ostgebieten bis zum Ende der 80er Jahre die Grundstücke durch den polnischen Staat nur verpachtet wurden, während in ländlichen Regionen auch Landverkäufe zu aus- gemacht niedrigen Preisen erlaubt wurden. A. Kessler

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Ohne Gespür

Deutscher Dichter gewürdigt

Zurück zur Großmacht

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv