A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Unterhaltung

 
     
 
Eine großartig Mitgift

Der alte Joschka galt in Kruschinen seit Jahren als ein gern gesehener Gast. Das hör sich etwas seltsam an, weil – der alte Joschka war nichts weiter als ein Bettler. E hat auch eine schöne Zeit gedauert, bis er es so weit gebracht hatte. Zuerst war er nu einer der lästigen Almosenheischer, die ab und an in dem kleinen Städtchen auftauchte und mit einem Teller Suppe oder einem Dittchen abgespeist wurden. Allmählich abe gewöhnte man sich an ihn, und endlich mochte ihn niemand mehr missen.

Daß es so kam, verdankte Joschka nicht etwa dem knappen Dutzend Liedchen, die er au seiner verstimmten Fiedel herunterzukratzen verstand, sondern seinem schlagfertigen Wit und der schier unerschöpflichen Fülle von Schwänken, Geschichtchen und Anekdoten, die in seinem Kopf aufgestapelt waren. Von diesem Reichtum war er stets bereit, andere mitzuteilen. Und es gab von den damals zweitausenddreihundertundelf Seelen in Kruschine nur wenige, die es ablehnten, für solche Unterhaltung einen Tribut zu entrichten.

Wenn also in einem Hausflur der Ruf ertönte: "He Madamche, he Herrche, der alt Joschka ist da!" – und diese Anmeldung von ein paar aufmunternden Geigenstriche begleitet wurde, konnte jedermann sicher sein, einem vergnüglichen Viertelstündche entgegenzusehen. Und diese erfreuliche Aussicht öffnete dem alten Joschka fast all Wohnungstüren in Kruschinen.

Eines Tages jedoch, etwa zu der Zeit, da der alte Joschka wieder zu einer seiner Toure durch das Städtchen erwartet wurde, zog ein junger Mann in Kruschinen ein. Auf de Marktplatz blieb er stehen, sah sich neugierig um und steuerte dann auf die Schwanenapotheke zu. Deren Besitzer, der immer lustige Doktor Gonschor, zählte sozusage zu den besten "Kunden" des alten Joschka und wurde von diesem stets mit der Ehr des ersten Besuches bedacht. Mit dem Ruf: "Guten Tag, Gospodin, der Schwiegersohn
vo alten Joschka ist da", betrat der rotwangige Bursche die Apotheke und ließ sich ohn Scheu auf einem der hochlehnigen Holzstühle nieder, die für wartenden Kunden bestimm waren. Doktor Gonschor, der gerade einer umfänglichen Bäuerin Hustensaft abfüllte betrachtete ein wenig verwundert dieses Gehabe. "Nun ja, und was wollt Ihr vo mir?" fragte er mit gerunzelter Stirn.

"Was ich will? Aber … ich bin doch der Schwiegersohn vom alten Joschka" wiederholte der Besucher, und es klang so, als wollte er damit sagen: ,Jetzt ist alles in Butter.‘ Und dann – um jeden noch möglichen Zweifel auszuschließen – fügte er hinzu: "Ich hab’ zu Ostern geheiratet die Maruschka, die Tochter vo alten Joschka."

"So, so", lachte der Apotheker, "da gratulier ich auch schön. Hab’ gar nicht gewußt, daß unser Spaßvogel überhaupt eine Tochter hat." – "Eine?" schnaubte der Besucher verächtlich, "fünfe hat er. Und die letzte, die Maruschka, die ist jetzt meine Frau."

Doktor Gonschor begann es langsam zu dämmern. "Da hat sich der Joschka wohl zu Ruhe gesetzt, und Ihr seid an seiner Stelle gekommen?" wollte er wissen. "Nein nein, Gospodin", kam es zurück, "was mein Schwiegervater ist, der ist noc immer unterwegs. Wär direkt eine Sünde, wenn er aufhören möcht mit der Arbeit, wo e noch so rüstig ist. Nur nach Kruschinen, da kommt er nicht mehr."

"Warum denn nicht?", wunderte sich der Hausherr. "War er denn nich zufrieden mit uns?" – "Das nicht, Gospodin", lautete die Antwort "Er hat immer gesagt: In Kruschinen hab’ ich meine besten Kunden." – "Na, denn versteh’ ich aber nichts mehr", meinte der Schwanenapotheke achselzuckend.

"Das ist so, Gospodin. Ich will es erklären ganz genau." Der Bursch hatte offensichtlich Mitleid mit so viel Unverstand. "Der Joschka ist doch geworde mein Schwiegervater. Und da mußte er geben seiner Tochter und mir eine Mitgift bei de Hochzeit. Und gegeben hat er mir Kruschinen!"

"Mitgift? Kruschinen?" Doktor Gonschor kapierte immer noch nicht. Sei Besucher schaute ihn an: "Jawohl! Kruschinen hat er mir gegeben als Mitgift" trumpfte er auf. "Dort hab’ ich meine beste Kundschaft, hat mein Schwiegervate zu mir gesagt, da wirst du deine Arbeit leicht lernen. Aber nun glaub’ ich’ nicht", fügte er mit einem bösen Blick auf den lauthals herausprustenden Apotheke hinzu.

So war es also endlich heraus, welch großartige Mitgift der alte Joschka vergebe hatte. Das erwies sich natürlich als Hauptspaß für die Bewohnerschaft von Kruschinen Und Gottlieb, so nannte sich der also designierte Nachfolger, konnte mit diese Hochzeitsgeschenk wohl zufrieden sein. Ein jeder wollte die Geschichte von ihm persönlic hören, und dabei flossen die Gaben reichlicher, als sie selbst sein Schwiegervate erhalten hatte.

Natürlich wirkte in ein paar Wochen der Spaß nicht mehr so wie am Anfang. Aber e zeigte sich, daß der alte Joschka gut vorgesorgt hatte. Sein Schwiegersohn war nämlic in alle Schliche eingeweiht, die man für dies "Handwerk" benötigte. So wa Gottlieb bald überall gewissermaßen als der gesetzliche Nachfolger des alten Joschk anerkannt. Und er fühlte sich auch als rechtlicher Erbe seines Schwiegervaters. Sein Tour durch Kruschinen machte er in der gleichen Reihenfolge wie sein Vorgänger. Er kannt jeden Garten, in dem es einen bissigen Hund gab. Und er wußte genau, wo er nur eine Supp bekommen würde oder ein Stück Brot und wo er auf klingende Münze hoffen durfte.

Da war etwa der Tischlermeister Sawitzki. Bei dem hatte der alte Joschka stets zwe Dittchen erhalten. Als nun in Gottliebs ausgestreckte Hand nur einer gelegt wurde, brummt er unzufrieden: "Aber Gospodin. Ihr habt Euch vertan. Ich bekomme zwei Dittchen, ic bin doch dem Joschka sein Schwiegersohn." – "Sei froh, daß du eine kriegst", meinte der Meister. Gottlieb nahm das Geldstück. Aber dem Apotheke gegenüber klagte er: "Was nutzt es mir, daß mein Schwiegervater mir sein Wor gegeben hat, ich soll Kruschinen haben, wenn Kruschinen sein Wort nicht hält?"

Die Leute, die sich rasch ins Haus flüchteten und den Schlüssel zweimal umdrehten wenn sie ihn sahen, behandelte Gottlieb nach seiner eigenen Methode. Er lief vor bis zu Tür, rüttelte ein paarmal an der Klinke, zuckte verdrießlich mit den Achseln und gin schließlich mit schweren, weit hörbaren Schritten fort – aber nicht weit. Hinte dem Gartenzaun blieb er gebückt stehen und wartete, bis der Hausbesitzer herauskam un sich vorsichtig umschaute. Dann richtete sich Gottlieb schnell auf und rief: "Ic dachte schon, Ihr seid nicht daheim, Gospodin."

Manchmal hielt man ihm vor, ein kräftiger und gesunder Mann wie er könne doc arbeiten, statt zu betteln: "Arbeiten?" wandte Gottlieb ein, "arbeite ic vielleicht nicht? Versucht Ihr doch mal, in Kruschinen so viel Geld zusammenzubringen daß Ihr könnt leben davon! Dann werdet Ihr sehen, was das für eine schwere Arbei ist."

Als er in einem Haus einmal nur die Hälfte der sonst üblichen Gabe erhielt, fragte e sofort nach dem Grund für diese Maßnahme. Er bekam zur Antwort, man habe vor kurzem die einzige Tochter verheiratet und die Hochzeit habe große Kosten verursacht, so daß ma jetzt eisern sparen müsse. Gottlieb blieb ungerührt. "Soll sie doch der Herr" so murrte er, "verheiraten von seinem Geld und nicht von meinem!"

Dann kam die Zeit, da Gottlieb selbst eine Tochter unter die Haube zu bringen hatte un eifrig für deren Aussteuer sammelte. Damals war er schon viele Jahre lang regelmäßi nach Kruschinen gekommen und gehörte zu dem Städtchen, wie es einst mit seine Schwiegervater Joschka der Fall gewesen war. Jetzt nannte man ihn bereits den "alte Gottlieb". Natürlich konnte es sich Doktor Gonschor, der Apotheker, der da Pillendrehen inzwischen auch schon seinem Sohn überlassen hatte, nicht verkneifen, dies Frage an seinen "Freund" zu richten: "Was wirst du geben deine Schwiegersohn als Mitgift? Etwa Kruschinen?"

Gottlieb schüttelte nachdrücklich den grau gewordenen Kopf. "Nein", sagt er. "Kruschinen kriegt er nicht, solange ich hier noch mein Brot verdienen kann. Abe erben – erben wird er es vielleicht einmal …"

Natürlich machte dieses Wort die Runde durch Kruschinen. Und als dann eines Tages de alte Gottlieb ausblieb für immer, da schaute man sich jeden jungen Burschen genau an, de mit der Bitte um eine kleine Gabe ein Haus oder einen Laden betrat. Es hätte ja de Schwiegersohn vom alten Gottlieb sein können.

Es kam jedoch keiner, der Kruschinen für sich beanspruchte. Warum? Niemand weiß es zu sagen. Doch mancher Bettler, der in den nächsten Jahren in den Ort mitten in Masuren kam wunderte sich noch über die für ihn unverständliche Frage: "Ihr, habt Ihr nich Kruschinen geerbt?"

 

Ein Nebelstreif über der Schonung

Daß es in dem Nachbardorf einen jungen Mann gab, der sich um sie bemühte und vo dessen blauen Augen sie ab und zu nachts träumte, bedeutete ihr viel. Aber auch von de Liebe zu ihrem Zuhause war sie durchdrungen. Gegen Abend, wenn das Schummerstundche begann und sie auf der Bank unter der großen Kastanie am Hauseingang saß, spielend Kätzchen zu ihren Füßen und das Vogelgezwitscher über ihr, dann mußte sie tie aufseufzen vor lauter Zufriedenheit.

Jedes Tier auf dem Hof hatte seinen eigenen Namen, und der Nachwuchs – egal o Küken, Ferkel oder Kälbchen – wurde gestreichelt und, wenn niemand hinsah, in Überschwang auch mal geküßt. Klebrige Fliegenfänger kamen ihr nicht ins Haus. Dafü hängte sie abends Beifußsträuße in die Küche, und sobald sich alle Fliegen dari versammelt hatten, wurden sie vorsichtig nach draußen getragen. Pfingsten, wenn an beide Seiten der Haustür ein großer Birkenast stand, legte sie im Vorbeigehen jedesmal die Hand an die weiße Rinde, wie zu einem Gruß. Bei der Gartenarbeit nahm sie ab und zu ein Hand voll Erde auf, sog den Geruch ein und war davon überzeugt, daß nichts so anheimeln riechen konnte wie dieses geliebte ostdeutsche Land.

Sie wollte Pilze holen, legte ein kleines Messer in den Korb und ging in den Wald. Ei mühsames Suchen nach Pfifferlingen erübrigte sich. Schon Großmutter und Mutter kannte die ergiebigen Plätze, und so war sie auch ohne Umweg bald an ihr Ziel gelangt Vorsichtig schnitt sie jedes Pilzchen am Boden ab und achtete darauf, daß sie da Wurzelgeflecht nicht aus dem Erdreich zog, damit es im nächsten Jahr wieder wachse konnte.

Käfer in allen Größen und Farben liefen herum. Auf einem großen Pfifferling saße gleich zwei Schnecken, und sie überließ ihn auch den beiden. Eine Eidechse richtete de Kopf auf und sah sich um. Kurz vor dem fast zugewachsenen Waldweg schlängelte sich ein Blindschleiche zum Gras hin.

Der Korb war fast voll, und es war Zeit für den Rückweg. Beim Blick hinüber zu Schonung sah sie einen schmalen Nebelstreif. Bei dieser Tageszeit war das verwunderlich Langsam ging sie darauf zu, aber als sie näher kam, wehte der Nebel tiefer in die Schonung hinein, und sie folgte ihm. Da lag vor ihr ein Reh. Die Schlinge, die ei Wilddieb gelegt hatte, war tief um den Hals gezogen. Mit nach hinten gebogenem Kopf offenem Maul und heraushängender Zunge rang das Tier röchelnd nach Luft. Die Bein hatten bei dem Versuch, der Qual zu entfliehen, den Waldboden aufgerissen. Jetzt lagen si still, ohne jede Kraft.

Sie läßt sich auf die Knie fallen und versucht, die Schlinge zu lösen. Vergebens Auch das Messer kann den Draht nicht zerschneiden. Ein Ende ist fest um den restliche Draht gewickelt. Mit größter Anstrengung versucht sie es loszudrehen. Tief dringt die Spitze in ihre Finger und wirklich, das fast Unmögliche geschieht, und die Schlinge lös sich endlich.

Leicht streichen ihre Hände über die Einkerbung am Hals des Tieres. Desse aufgerissene Augen sehen sie immer noch starr und zu Tode erschrocken an, aber die Atemzüge werden ruhiger.

Am liebsten hätte sie tröstende Worte gesagt, aber diese wurden dann nur gedacht Ganz vorsichtig steht sie auf und verbirgt sich hinter dem Baum. Allmählich erholt sic das Tief, die Ohren bewegen sich etwas, und es versucht, sich zu erheben. Immer wiede knicken die Beine ein, schließlich steht es schwankend aufrecht. Der von ihr fas vergessene Nebel wabert um die Tiergestalt, hüllt kurz seine Retterin ein und löst sic dann auf. Als wieder klare Sicht ist, sieht sie das Reh mit staksigen Schritten langsam in der Schonung verschwinden.

Ihr scheint, als habe die ganze Zeit über der Wald den Atem angehalten. Kein Vogellau war zu hören gewesen; nun piepst, klopft und singt es wie ein einziger Freudenruf Aufatmend lehnt sie sich an die Douglasfichte und öffnet mit ihren blutenden Fingern ein Blase in der Baumrinde, so daß der konzentrierte Harzduft austritt. Sie sieht zu de Wolken auf. Wenn der Herrgott ein wenig Zeit hat, lächelt er sicher jetzt zu ih hinunter.

 
     
     
 
Diese Seite als Bookmark speichern:
 
     
     
     

     
 

Weitere empfehlenswerte Seiten:

Aufstand der Wasserträger

Die Kunst bewegt

Die kleine Hafenstadt am Frischen Haff

 
 
Erhalten:
 

 

   
 
 
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
WISSEN48 | ÜBERBLICK | THEMEN | DAS PROJEKT | SUCHE | RECHTLICHE HINWEISE | IMPRESSUM
Copyright © 2010 All rights reserved. Wissensarchiv