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Unterhaltung

 
     
 
Getroffe, Meisterke

Auch in unserer Heimat Ostdeutschland ist sie jetzt wieder da, die Zeit des wunderschönen Sommers. Wer erinnert sic nicht gerne an die kleinen Ostseebäder, entstanden aus Fischerdörfern, die sich vo Kahlberg am Frischen Haff über Pillau, Neuhäuser, Tenkitten, Nodems, Sorgenau Palmnicken weiter nach Warnicken, Groß Kuhren, Neukuhren, Rauschen, Cranz bis hinauf zu Kurischen Nehrung
über Sarkau und Nidden nach Memel zogen? Manche waren etwas feiner als andere, aber lebens- und liebenswert waren sie alle. Wenn ich da zum Beispiel an mei Sorgenau denke …, es war und blieb das größte Fischerdorf an der Westküste de Samlandes und trug trotzdem die Bezeichnung Ostseebad. Es war für Kinder und Erwachsen ein Paradies. Der Gedanke an fangfrische Fische, in der Morgenfrühe vom Boot gekauft läßt das Wasser im Mund zusammenlaufen. Am Nachmittag zog der herbe Duft des Räuchern durchs Dorf. Flunder, Dorsche, Brassen, auch Bierfisch genannt, und Strömlinge, die ma im Dutzend, Mandel, Halbschock oder sogar schockweise erwerben konnte. Dazu kam noch de an der Angel gefangene Aal. Das waren die Fische der Saison.

Fischerleben war kein leichtes Leben, dafür aber unabhängig und frei Dies war die Meinung der rauhen, stolz den Südwester tragenden Männer, deren kurz Pfeifen kaum ausgingen. Unterhalb des Seebergs, wie wir die Steilküste nannten, lage aneinandergereiht die Segel- und Motorboote in der von drei Seiten geschützte natürlichen Bucht. Die Segelkutter blieben draußen vor Anker liegen. Sorgenau könnt ein Geheimtip gewesen sein, wie man heute sagt. Dazu trug der schöne Strand bei, die ungezwungene Lebensform, die aber nie Augen und Ohren verletzte.

Nachdem in den zwanziger Jahren die "angezogene" Bademode samt Rüschen und Häubchen vorbei war, sogar die "Badebuden" zum Umkleiden verschwanden, machte sich der zweite Redakteur eine masurischen Kreiszeitung auf den Weg, um den Lesern einen Bericht vom Bernstein und de Fischfang im anderen Teil Ostdeutschlands zu bieten.

Fritz Korsch fuhr also von Lyck nach Königsberg und von dort übe Fischhausen zu seinem Ziel. Unauffällig im hellgelb karierten Anzug und beigebraune Schuhen mit Lochmuster und hellen Spitzen entstieg er in Sorgenau dem weiter nac Palmnicken fahrenden, wild fauchenden Personenzug. Sein Koffer war nicht groß. Man hatt ihm erzählt, die Sonne wäre hier so heiß und die Abende so mild, daß zu viel Kleidun nur unnötiger Ballast wäre.

Jetzt brauchte er nur noch eine Bleibe, was für ihn aber kein Proble sein dürfte, meinte er jedenfalls. Gleich am Dorfeingang hatte sich Frau Perschel mi runden nackten Armen über den Staketenzaun gelegt, ein buntes Kissen minderte die Härte Ja, so eine Zugankunft war immer ein Ereignis besonderer Art. Man mußte doch sehen, we ankam. Korsch fragte sogleich, ob sie ihm etwas empfehlen könnte. Dazu formulierte e vorsichtig, daß es nicht zu komfortabel sein müßte, denn er dachte an seine magere Spesen. Zum Glück kam Frau Wessel dazu, nun beratschlagten sei gemeinsam. "O herjemerkes, Herrke", meinten sie dann abschließend, "öm dise Tied öm Juli da ware Se hier nuscht nich war finde, nich emoal e Hundsbood." Korsch verstand zwa wenig, aber er begriff, daß es eine Ablehnung war.

Hübsch war ja das Dorf, saubere weiße Häuser mit farbig abgesetzte Fensterumrandungen. Auch die Gärten waren eine Pracht. Sie strotzten vor Dahlien, Gilken Astern, Nelken, Cosmea und Schleierkraut, ländlich, aber sehr anmutig. Jetzt brachte de Wind eine herbe Brise herüber. Den Geruch kannte Korsch, hier wurden Fische geräuchert Er bemerkte seinen Hunger. Schnuppernd ging er dem Duft nach und sah zwei Frauen an eine gemauerten Räucherofen stehen. Bei dieser Arbeit mußte man dabeibleiben, aufpassen, da die mit feuchten Säcken abgedeckte Glut nicht zum Feuer wurde. Mit ihren bunten Schürze und weißen Kopftüchern sahen sie dem Fremden neugierig entgegen. Ihre Meinung hatten si sich bereits gebildet. "Fatzke", sagte eine zur anderen. Unsere Fischerfraue waren stets freundlich, aber man sollte sie nicht unterschätzen. Ausgestattet mit große Mutterwitz und Menschenkenntnis, machten sie sich oft einen Spaß daraus, einen Unkundige aufs Glatteis zu führen. Der Besuch erschien ihnen als unterhaltsame Abwechslung.

"Ein Zimmerchen", taten sie ganz erstaunt. "Ja, w denken Sie hin – um diese Jahreszeit??? Ei, da werden Se wohl nuscht nich meh finden. Se werden es kaum glauben, aber wir missen sogar de Schweineställe auskalken. Da Pocherche wird denn bis so lang annem Äppelbaumche gebunden. Manche Mänschen wolle nachher auch bloß noch auf Stroh liegen, wegen der Gemietlichkeit."

Korsch ging verwirrt auf die Straße zurück. Im Schweinestall? Da konnte er doch nicht berichten? Die beiden Frauen aber hatten danach so viel zu lachen daß ihnen die Flundern beim Rausnehmen fast von den Spitten (Spieße) rutschten. Fü heute hatten sie ihren Spaß gehabt … Da kamen auch schon die ersten Sommergäste, u die goldbraunen Flundern zu kaufen. Oft reichten die Tagesfänge gar nicht aus. Es ware Delikatessen für wenig Geld.

Korsch ging weiter, fragte diesen und jenen, trank in jedem Lokal ei Bier, aber alle zuckten bedauernd die Achseln. Und dann stand er zum ersten Mal auf de Rand der Steilküste und sah die Ostsee. Ganz ruhig lag sie da, goldgelb und blaugrün vo der Sonne durchleuchtet. Wie sollte er wissen, welche tobende Macht sie im Herbs entwickeln konnte? So beschloß er erst mal zu baden. Aber wohin mit Kleidern und Koffer Zwei kleine Jungens lungerten um ihn herum, grinsten verlegen und bestaunten seine sonderbaren Anzug. Er fragte, ob sie auf seine Sachen aufpassen würden, aber si schwiegen. Korsch meinte zu verstehen und zeigte einen Dittchen vor. Aber sie lächelte ihn nur an. Sie waren ja höchstens sechs oder sieben Jahre alt. Korsch erhöhte sei Angebot, aber sie drehten sich kichernd weg. Erst als ihm sein Taschenmesser aus der Hos fiel, leuchteten ihre Augen auf. "Getroffe, Meisterke, getroffe", so schiene sie zu sagen. Er trennte sich ungern, aber eine Klinge war ja schon abgebrochen …

Martin nahm ihn dann anschließend als Dank mit zu seiner Mutter vielleicht wußte die was. Sie schickte ihn zu Karschaus, diese zu Sachtlebers, von dor zu Fernitzens und letztendlich zu Rähses am Ende des Dorfes. Korsch sah sich schon a Strand übernachten und erwog bereits den Schweinestall, falls überhaupt einer fre wäre! Auf Grund seiner Bitten bot ihm die gewiefte Alte ein Bett hinter einem Vorhang in Holzstall an. Hier ruhte sie sich mittags immer ein bißchen aus, denn ihre Wohnstube waren ja vermietet, und kochen tat sie in der Waschküche. Sie nahm nur ein paar Dittche dafür und wie sie richtig voraussah, würde sie sich hier mittags trotzdem ausruhe können. Beide waren zufrieden, auch Korsch, nachdem er Frau Rähses Tochter über den Ho stolzieren gesehen hatte.

Vier Tage wohnte er noch hinter dem Holzverschlag, versäumte abe keineswegs seine Pflichten. Bereits in der Frühe sah er sich das Dorf an, die Schule ging auf schattigen Wegen durch die Schlucht, um von dort zu den Fischerbooten zu gelangen, die eines nach dem anderen mit vollen Netzen von See kamen. Gegen eine Budde Rum durfte er sogar einmal mitfahren. Er machte seine Notizen so begeisternd un liebevoll, als ob es sich nicht um ein Dorf, sondern um eine schöne Frau handeln würde Tagsüber lag er am Strand, schwamm wie ein Fisch und erzählte den Mädchen toll Geschichten aus seinem so abwechslungsreichen Leben. Leider konnte er nicht bleiben. Abe tausend Schwüre, daß er im nächsten Jahr zur gleichen Zeit wieder hier sein würd …

 

Seefeuerwerk in Cranz
 
     
     
 
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