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Verdrängte Vergangenheit

 
     
 
Der Balkan und die ihn im Norden begrenzenden mitteleuropäisch geprägten Siedlungsgebiete der Südslawen bestimmen wieder einmal den Gang der Europa- und Weltpolitik. Aus deutscher Sicht ist es nicht leicht, sich über Sinn und Unsinn der Militärintervention der NATO im Kosovo ein Urteil zu bilden. In jedem Fall sind die gegenwärtigen Turbulenzen
ein Anlaß, sich mit der Geschichte der Donauschwaben in diesem Raum zu beschäftigen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges einen besonders hohen Blutzoll zahlen mußten.

Die erst vor kurzem von einigen wenigen Serben zögerlich begonnene Aufarbeitung dieser Vergangenheit dürfte infolge der aktuellen Kämpfe abrupt beendet sein. Bis auf weiteres verschoben wurde unter Verweis auf die Kriegsereignisse die für Ostermontag geplante Einweihung einer donauschwäbischen Toten-Gedenkstätte in Kerndia in Kroatien. Die symbolische Erinnerung an die Opfer des in dem ehemaligen deutschen Dorf bei Esseg (Osijek) von den jugoslawischen Kommunisten eingerichteten Vernichtungslagers sollte eine Vorläuferfunktion haben für weitere angestrebte Gedenkstätten in ehemaligen Todeslagern wie Rudolfsgnad oder Gakovo.

 

 

Hinsichtlich jener Serben und Montenegriner, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in den Dörfern der geflohenen oder von den Partisanen internierten und getöteten Donauschwaben im jugoslawischen Teil des Banats, in der Batschka oder in Syrmien ansiedelten, sind so manche Anekdoten überliefert, wie man sie auch von den sowjetischen Soldaten in Deutschland in Erinnerung hat. So berichten Zeitzeugen, daß die aus armen Karstgebieten stammenden Bauern die Glühbirnen in den stattlichen Häusern der "Schwaben" mit Wasser zu löschen versuchten.

Abgesehen von solchen zum Schmunzeln anregenden Begebenheiten gehört all das, was mit dem gewaltsamen Ende der Kultur der rund 500 000 Donauschwaben in Jugoslawien zwischen 1944 und 1955 zusammenhängt, zu den schlimmsten Ereignissen der Geschichte dieses Jahrhunderts. Insgesamt mehr als 85 000 Männer, Frauen und Kinder – also etwa ein Sechstel der Volksgruppe – kamen ums Leben, davon allein zwischen Oktober 1944 und März 1948 über 48 000 in den jugoslawischen Internierungs- und Vernichtungslagern.

Doch obwohl der nach dem Ersten Weltkrieg gebildete, von den Serben dominierte Kunststaat aller Südslawen angesichts seines Zerfalls in den 90er Jahren zu den meistbeachteten außenpolitischen Themen in Deutschland gehört und gegenwärtig mit dem Kosovo-Problem die Gemüter bewegt, spielt die Erinnerung an die in diesem Raum einst beheimatete große deutsche Volksgruppe in der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle.

Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß bei den Kämpfen der Jahre 1991/92 in Kroatien von den verbliebenen winzigen Resten der deutschen Volksgruppe 429 Zivilisten durch serbische Freischärler ums Leben kamen. Weitere 142 Deutsche fielen als Soldaten der kroatischen Armee, Hunderte saßen über Monate und Jahre in serbischen Lagern ein.

Immerhin gibt es bis in die jüngste Zeit hinein bemerkenswerte Versuche, den Mantel des Schweigens über dieses traurige Kapitel gesamtdeutscher Geschichte zu lüften. Der wahrscheinlich wichtigste ist die vierbändige Dokumentation "Leidensweg der Deutschen im kommunistischen Jugoslawien", die bisher in zwei Auflagen in den Jahren 1991/92 von der 1978 gegründeten Donauschwäbischen Kulturstiftung herausgegeben wurde. Dieses in einer Restauflage noch erhältliche opulente Werk ist seit Mitte letzten Jahres auch in einer stark gestrafften und aktualisierten Taschenbuchausgabe unter dem Titel "Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948. Die Stationen eines Völkermords" zu haben.

 

 

Eine angesichts der Häufung von Grausamkeiten manchmal schwer erträgliche Leseerfahrung bieten darin die eingeflochtenen Schilderungen von Zeitzeugen aus den Orten des Grauens im Banat, der Batschka, der Branau (Baranja), aus Syrmien, der Wojwodina, Slawonien usw. Vor allem die Kleinkinder, deren Schicksalen ein eigenes Kapitel gewidmet ist, und die Greise unter den ca. 200 000 dem Tito-Regime nach Kriegsende schutzlos ausgelieferten Jugoslawiendeutschen hatten in den Lagern kaum eine Überlebenschance. Auch die Namen und Lebensdaten der 36 nachweislich ermordeten Geistlichen werden in dem Band dokumentiert. Traurige Bekanntheit erlangten die Orte Rudolfsgnad im südlichen und Groß-Betschkerek im mittleren Banat sowie Gakowa in der Wojwodina.

Als Hintergründe des Verbrechens an den im 18. Jahrhundert in drei sogenannten "Schwabenzügen" friedlich ins Land gekommenen deutschen Siedlern werden folgende Motive genannt: "(...) erstens der großserbische Nationalismus, der bestrebt war, den Boden, auf dem Serben leben, ethnisch zu ‚säubern’; zweitens die von der kommunistischen Ideologie geforderte Kollektivwirtschaft, zu deren Realisierung der Bodenbesitz der Donauschwaben besonders geeignet erschien; drittens die Notwendigkeit der Stabilisierung der Macht der Kommunisten, wobei sich der Terror an den Volksdeutschen als öffentlich wirksam erwies (...); viertens die Belohnung der aktiven Partisanenkämpfer aus den kargen Gebieten hauptsächlich der Krajina und Lika mit fruchtbarem Boden und guten Häusern; (...) schließlich die Haß- und Rachegefühle gegen die Deutschen, weil diese auf deutscher Seite (nach titoistischer Sprachregelung: ‚auf seiten der Okkupanten’) gegen die ‚Volksbefreiungsarmee’ gekämpft hatten."

Noch bis vor wenigen Jahren waren insbesondere in Serbien die eigenen Untaten an Deutschen ein absolutes Tabuthema. Bei den jüngsten Ansätzen einer um Objektivität bemühten Aufarbeitung hat sich besonders der antikommunistische Belgrader Germanist Prof. Zoran Ziletic hervorgetan, der auch Präsident der Serbisch-Deutschen Gesellschaft ist. Beiträge von Ziletic finden sich beispielsweise in dem Sammelband "Jedan svet na Dunavu" (Ein Volk an der Donau), der 1996 von Nenad Stefanovic herausgegeben wurde.

In diesem mit Hilfe von in Baden-Württemberg lebenden Serben finanzierten Taschenbuch finden sich in einem Aufsatz von Ziletic folgende Zeilen: "Die kollektive Strafe mit den Folgen, wie sie die Deutschen in der Wojwodina erleiden mußten, haben auch die Serben und Montenegriner im Kosovo in den Jahren 1941 bis 1943 ertragen. Auch ihnen haben Titos Machthaber 1945 das Recht auf die Rückkehr in die Heimat verweigert mit der Ausrede, sie hätten sich den Tschetniks angeschlossen. In beiden Fällen handelt es sich in Wirklichkeit um den Raub bereits jahrhundertealter Besitztümer. In der Wojwodina wurden vorwiegend titoistische Serben aus Pavelics Kroatien und in den Kosovo Albaner aus anderen jugoslawischen Gebieten angesiedelt. (...)

Die Deutschen in der Wojwodina sind unsere ehemaligen und jetzigen Mitbürger deutscher Nationalität (...). Sie kamen zusammen mit Angehörigen von noch zwölf weiteren Volksgruppen in das damalige Königreich Ungarn, das die Habsburger zwischen 1686 und 1718 von den Türken befreit hatten. (...)

Das nationalsozialistische Deutschland bemühte sich, die Deutschen aus dem Ausland für ihre großdeutschen Ziele mit den Reichsdeutschen gleichzusetzen. Auf der anderen Seite bemühte sich die kommunistische Geschichtsschreibung unter Tito, aber auch unter Milosevic, unsere Mitbürger deutscher Nationalität mit der reichsdeutschen Besatzungsmacht zu identifizieren. Sie sollten zum Opferlamm für die gesamte jugoslawische Tragödie (...), zum kollektiven Schuldner gestempelt werden."

Neben Hinweisen auf neueste serbische Veröffentlichungen beinhaltet das Taschenbuch der Donauschwäbischen Kulturstiftung in einem umfangreichen Literaturverzeichnis auch zeitgeschichtliche Titel in kroatischer, slowenischer und ungarischer Sprache. Somit kommen Kenner der Materie ebenso auf ihre Kosten wie "Einsteiger", denen mit einem Überblick zur Siedlungsgeschichte der Donauschwaben, Untersteirer und Gottscheer sowie mit Karten, Statistiken und einer Chronik in aller Kürze die notwendigen Grundkenntnisse vermittelt werden.

Dem von mehreren Zeitzeugen mit Akribie zusammengestellten höchst informativen Werk ist folgende Widmung vorangestellt: "Ein Versuch, allen, denen das Leben genommen wurde, eine Stimme zu geben." – Und in der Tat: das Buch spricht den Leser an und läßt mit seinem erschütternden Inhalt die Gedanken für längere Zeit nicht mehr los.

Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944-1948. Die Stationen eines Völkermords, 360 S., 18,- DM, München 1998; Bezugsadresse: Verlag der Donauschwäbischen Kulturstiftung, Schädlerweg 2, 81929 München, Tel./Fax: 089/937793

 
     
     
 
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