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Verglühender Stern

 
     
 
Das ist nicht Amerika." "Viele sind gegen diesen Krieg." "Ich hoffe, ich bin Euch trotzdem noch willkommen." Solche Zuschriften erhalten derzeit viele, die Freunde und Bekannte in den USA haben. Ein Land schämt sich für das, was in seinem Namen geschieht. Die Meldungen über das US-amerikanische Besatzungsregime, die derzeit die Welt erschüttern, rütteln an den Grundfesten der Nation. Die Mär vom Feldzug für Demokratie und Freiheit zwischen Euphrat und Tigris
als Bestandteil des weltweiten Kampfes gegen den Terrorismus ist damit endgültig zerstört. Und US-Präsident George W. Bush, der die politische Verantwortung für dieses Desaster trägt, verliert dramatisch an Ansehen.

Täglich kommen neue Details über die Mißhandlungen in den amerikanischen Gefängnissen im Irak ans Licht. Sie unterscheiden sich kaum von dem, was man über die Vorgänge in den Folterkammern Husseins erfahren hat. Es sind sogar dieselben Orte, und an den von den US-Soldaten verwendeten Folterinstrumenten klebt womöglich noch das Blut der Opfer Saddams.

Das klingt dramatisch. Ist es auch, denn es ist nicht übertrieben. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand handelt es sich nicht um einzelne Exzesse, sondern offensichtlich um systematische Folterungen, die auf höherer Ebene angeordnet, wenigstens aber geduldet wurden. So etwas ist ein Merkmal einer Diktatur, nicht aber einer Demokratie, die nach ihrem eigenen Selbstverständnis auszieht, um den Völkern der Welt das Glück zu bringen. Die Mehrheit der US-Amerikaner ist tief erschüttert.

Dieser Feldzug ruhte von Anfang an in mehrfacher Hinsicht auf tönernen Füßen. Wohl zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte stand die Nation schon vor Beginn einer militärischen Operation nicht rück-haltlos hinter ihrem Präsidenten. Der Grundsatz "Right or wrong - my country!" (Recht oder Unrecht - mein Vaterland), der es auch bei gegensätzlicher Meinung verbietet, dem Präsidenten in Zeiten der Not in den Rücken zu fallen, hat keine Gültigkeit mehr. Zu viele Amerikaner hielten diesen Krieg von vornherein für politisch falsch und völkerrechtswidrig.

Niemand zweifelt daran, daß der irakische Menschenschlächter genau das bekommen hat, was er verdient. Doch nicht alles, was einem richtig erscheint, ist auch Rechtens. George W. Bush hat das nicht erkennen wollen. Seine Entschlossenheit, diesen Krieg ungeachtet aller Warnungen und wohlbegründeten Vorbehalte zu führen, und seine kategorische und undiplomatische Unterteilung der westlichen Welt in die Staaten der "Koalition der Willigen" aus dem "neuen Europa" und die "Unwilligen" des "alten Europa", mit der er sonst treue Verbündete brüskierte, ließen die Kriegsgegner ein neues Wort kreieren: Bushism - Bushismus - die Diktatur des Präsidenten.

Die Fragwürdigkeit des ganzen Krieges, die instabile politische und militärische Lage im Irak und nun die Mißhandlungen gefangener Iraker - das alles setzt besonders diejenigen, die enge Kontakte ins Ausland und dort vor allem ins "alte" Europa unterhalten, unter Rechtfertigungsdruck. Das betrifft vor allem die sogenannten "bildungsnahen" Schichten. Da ist die Kauffrau, die einen Besuch bei der Verwandtschaft in Deutschland mit einer langen Entschuldigung für die Politik ihres Landes beginnt. Ein amerikanischer Offizier schreibt seinem deutschen Kameraden, wie schrecklich er diesen Einsatz finde und daß er nur mitmache, weil es seine Pflicht als Soldat sei. Bei einer Tagung deutscher und amerikanischer Wissenschaftler beginnt jeder amerikanische Referent seine Ausführungen mit einer Erklärung, Rechtfertigung, Distanzierung oder Entschuldigung für die US-amerikanische Kriegspolitik, je nach politischem Standpunkt. Keiner läßt den Irak unerwähnt, obwohl er mit dem Thema der Veranstaltung nichts zu tun hat. Da ist die Lehrerin, die nach dem 11. September noch bedingungslose Solidarität als Gegenleistung für den "jahrzehntelangen Schutz vor dem Kommunismus" von der deutschen Verwandtschaft gefordert, dann aber vor dem Irak-Krieg gewarnt hat. Jetzt ist sie verzweifelt. Sie hat Angst vor einem zweiten Vietnam. Sie weiß, wofür dieses Wort steht. Ihr Mann war da, ist nach Jahren an Leib und Seele gebrochen zurückgekehrt. Schließlich ist da noch der Unternehmer aus Washington, der seinem deutschen Geschäftspartner noch vor einem Jahr aus Verärgerung über die deutsche Haltung in der Irak-Frage die Verträge kündigen wollte. Jetzt entschuldigt er sich kleinlaut und gesteht, daß der Krieg ein Fehler war und Deutschland gut daran getan hat, sich aus dem Konflikt herauszuhalten.

Diese Reaktionen werfen ein Schlaglicht auf die Befindlichkeit weiter Teile der US-amerikanischen Bevölkerung. Auch vielen Deutschen, die Beziehungen in die USA haben, die dort studiert, gelebt und gearbeitet haben, fällt es schwer, Partei für das Land zu ergreifen, das sie eigentlich schätzen, dessen Bürger ihnen nahestehen. Da fällt es manchmal nicht leicht, die Empörung über die Politik der Bush-Administration nicht auf das ganze amerikanische Volk und damit auch auf diejenigen zu übertragen, die einem eigentlich etwas bedeuten.

Derweil verglüht George W. Bushs Stern mit astronomischer Geschwindigkeit. Hatte er nach dem 11. September als entschlossener Krisenmanager noch die volle Sympathie seiner Landsleute, werden ihm jetzt seine Sturheit, sein politischer Chauvinismus, seine Ignoranz und sein fahrlässiges Desinteresse an der rechtzeitigen Planung der politischen Neuordnung des Irak verübelt. Weltpolitik läßt sich eben nicht mit den Methoden des Wilden Westens gestalten. Welch Unterschied zu seinem Vater, der den ersten Golfkrieg noch mit staatsmännischer Weitsicht und Augenmaß geführt hatte.

Damit liefert der Präsident seinem Gegner John Kerry eigentlich eine Steilvorlage. Doch der übt seine Kritik recht verhalten. Wenn es der hochdekorierte Veteran des Vietnamkrieges darauf anlegen würde, könnte er den Präsidenten, der wegen seines vergleichsweise angenehmen Dienstes in der Nationalgarde als Drückeberger verachtet wird, systematisch demontieren. Doch selbst im Wahlkampf bleibt ein Oppositionspolitiker in erster Linie amerikanischer Patriot, der nie so weit gehen würde, tote US-Soldaten populistisch für seine Zwecke zu instrumentalisieren. So weit, daß er dem Präsidenten in einer Schicksalsstunde der Nation den Dolch in den Rücken stößt, geht sein Ehrgeiz nicht. Das Rennen um die nächste Präsidentschaft dürfte Bush auch so schon verloren haben.

Viele US-Amerikaner sind entsetzt, beschämt und verzweifelt. Ihr Land steckt in einer außen- und sicherheitspolitischen und jetzt auch noch in einer moralischen Sackgasse. In diesem Konflikt haben selbst die Sieger bereits verloren.

 

Voller Unverständnis: Ein Junge legt Blumen an eines der anläßlich des Memorial Days am Strand von Santa Monica aufgestellten 802 Kreuze. Ebenso viele Tote haben die US-Amerikaner im Irak bisher zu beklagen. Wofür die Soldaten letztendlich starben, verstehen immer weniger Amerikaner, da sich der Irak-Konflikt immer mehr als Fiasko für das amerikanische Selbstverständnis entpuppt.

 
     
     
 
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