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Von Lorbeeren und Leidensdruck

 
     
 
Österreich macht im deutschsprachigen Raum die beste Wirtschaftspolitik – das ergibt ein Vergleich für das gemeinsame „D–A–CH-Reformbarometer“ des IW Köln, der Wirtschaftskammer Österreich und Avenir Suisse, dem vergleichbarem Schweizer Instituts. Die Eidgenossen zehren von den ökonomischen Erfolgen der Vergangenheit, tun sich aber neuerdings mit der Modernisierung ihrer Volkswirtschaft schwer. Und Deutschland hat unter Kanzler Schröder
zwar viel versucht, doch so manches davon ging schief.

Man spricht deutsch und lebt in relativem Wohlstand – damit verbindet Deutschland, Österreich und die Schweiz schon einiges. Zu den Gemeinsamkeiten der drei Nachbarstaaten zählt aber auch, daß nicht nur hausgemachte Probleme an ihrer einst komfortablen Lage rütteln, sondern auch die Folgen der Globalisierung, der alternden Gesellschaft und des Strukturwandels. Mit diesen Herausforderungen gehen die drei Länder sehr unterschiedlich um.

Wie, das haben das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und die Stiftung Avenir Suisse, gemeinsam unter die Lupe genommen.

Dazu wurden sämtliche Wirtschaftsreformen seit September 2002 anhand der gleichen Kriterien analysiert und bewertet, die das IW bereits seit Jahren an die Reformpolitik der Bundesregierung anlegt: Das „D–A–CH-Reformbarometer“ untersucht, was die drei Staaten jeweils auf den Feldern Arbeitsmarkt, soziale Sicherung, Steuern und Finanzen sowie Wettbewerb, Bildung und Forschung binnen der vergangenen drei Jahre bewegt haben.

Im Ausgangsjahr der Untersuchung hatten die Eidgenossen noch am wenigsten zu klagen: Mit einem – um Kaufkraftunterschiede bereinigten – Bruttoinlandsprodukt von umgerechnet 30170 Dollar je Einwohner erwirtschafteten die Schweizer im Jahr 2002 fast 600 Dollar mehr als die Österreicher und 3000 Dollar mehr als die Deutschen.

Besonders klar spiegelt sich die unterschiedliche Wirtschaftskraft des Jahres 2002 in den Arbeitslosenquoten wider. In der Eidgenossenschaft waren nur drei Prozent der zivilen Erwerbspersonen auf Jobsuche, in Felix Austria mit vier Prozent kaum mehr. Hierzulande fanden dagegen 8,6 Prozent derer, die arbeiten wollten, keine Stelle. Neben der Arbeitslosigkeit war – und ist – der Staatshaushalt Deutschlands größte Baustelle. In Österreich und der Schweiz dagegen waren die staatlichen Einnahmen und Ausgaben vor drei Jahren nahezu ausgeglichen.

Vor allem wegen der gesunden Finanzen waren viele Rahmenbedingungen für Investitionen und Beschäftigung in der Schweiz besser als in Deutschland. So machten die Sozialabgaben nach der OECD-Definition dort 2002 nur 7,7 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus, während hier fast das Doppelte fällig war.

In der jüngsten Vergangenheit haben sich die Schweizer allerdings zu sehr auf ihren Lorbeeren ausgeruht und in Besitzstandswahrung geübt. In Österreich und in Deutschland war der Leidensdruck dagegen so groß, daß sich beide Länder ins Zeug gelegt haben – allerdings mit unterschiedlichem Erfolg:

Die Wiener Bundesregierung unter Wolfgang Schüssel verbesserte ihren Reformbarometerwert seit September 2002 um fast 14 Zähler; Gerhard Schröders Kabinett packte immerhin 11 Punkte drauf. Der Bundesrat in Bern schaffte zwar noch eine leichte Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, mit 5,5 Punkten fiel das Plus allerdings recht bescheiden aus.

Die Wirtschaftsreformen der drei Länder im Einzelnen:

Österreich: Anders als Berlin und Bern punktete Wien in allen vier Politikbereichen. Mehrere Reformen trugen dazu bei, den schon flexiblen Arbeitsmarkt noch geschmeidiger zu machen. So wurden der Zuzug von ausländischen Spitzenkräften erleichtert, der Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmer gelockert und die Sozialversicherungsbeiträge gesenkt. Positiv zu Buche schlug besonders das 2003 in Kraft getretene Sozialgesetz „Abfertigung neu“: Im Fall einer Kündigung wandelt es den Anspruch auf eine Abfindung in eine betriebliche Altersvorsorge um. Diese kapitalgedeckte Säule der Altersversorgung bleibt den Beschäftigten auch erhalten, wenn sie von sich aus den Arbeitgeber wechseln.

Die Investitionsbedingungen verbesserte der Finanzminister vor allem dadurch, daß er den Körperschaftssteuersatz von 34 auf 25 Prozent senkte. Internationale Konzerne können zudem Verluste ausländischer Töchter steuerlich geltend machen, was den Standort A für Holdings attraktiver macht.

Die Innovationsfähigkeit Österreichs dürfte insbesondere vom neuen „Universitätsgesetz“ profitieren. Es stärkt die Autonomie der Hochschulen und nimmt den Professoren eines ihrer überkommenen Privilegien – die Verbeamtung. Für mehr Schwung im internationalen Wettbewerb sorgen zudem die Liberalisierung des Gasmarktes und die Postreform.

Deutschland: Auf dem Arbeitsmarkt haben Schröder, Clement und Co. mit den Hartz-Gesetzen zwar viel angeschoben; dem stehen jedoch zum Teil gravierende handwerkliche Fehler und Umsetzungsprobleme – gerade beim Arbeitslosengeld II – gegenüber.

In Sachen Finanzpolitik ist die Bundesrepublik seit 2002 zurückgefallen. Schuld daran ist die desolate Lage der öffentlichen Haushalte, die inzwischen bereits zum vierten Mal in Folge das Maastrichter Defizitkriterium verletzen.

Besser sieht es in der Bildungspolitik aus: Ganztagsschulprogramm, Tagesbetreuungsausbaugesetz und die Exzellenzinitiative zur Förderung von Wissenschaft und Forschung schlugen sich positiv in der Bewertung nieder.

Schweiz: Bis zu Beginn dieses Jahres hielten die helvetischen Erneuerer noch mit dem deutschen Reformeifer mit. Doch dann stellte der Bundesrat vor allem in der Sozialpolitik die Weichen falsch. So setzte Bern in der so genannten Invalidenversicherung – einer staatlichen Erwerbsunfähigkeitsversicherung, wie sie hierzulande in die gesetzliche Rentenversicherung integriert ist – nicht auf nachhaltige Einsparungen, sondern auf konjunkturschädigende Beitragserhöhungen.

Ein paar Pluspunkte ernteten die Eidgenossen dagegen auf dem ohnehin bereits liberalen Arbeitsmarkt: Durch das Abkommen „Bilaterale II“ mit der EU ist die Personenfreizügigkeit auf Arbeitnehmer aus den neuen Mitgliedsstaaten ausgeweitet worden.

Auch in der Steuerpolitik sowie der Wettbewerbs- und Bildungspolitik bewiesen die Bundesräte ein recht glückliches Händchen:

– Eine Unternehmenssteuerreform ist geplant.

– Das verschärfte Kartellgesetz sowie eine Änderung des Binnenmarktgesetzes, das den innerschweizerischen Marktzugang vereinfacht, können den Wettbewerb beflügeln.

– Die Autonomie der Hochschulen wurde gestärkt und ein Forschungsgesetz soll die Zusammenarbeit von Firmen und Universitäten verbessern.

Trotz der zuletzt mäßigen Reformerfolge ist die Schweiz im deutschsprachigen Raum nach wie vor das Musterländle, von dem Deutsche und Österreicher einiges lernen können. Das gilt zum Beispiel für den Kündigungsschutz und die Prämienfinanzierung des Gesundheitswesens.

Allerdings müssen die Schweizer aufpassen, daß ihnen die Österreicher nicht den Rang als Niedrigsteuerland für Unternehmen ablaufen. Von Deutschland wiederum können sich die beiden anderen Länder abgucken, wie man die demographisch bedingten Probleme der Rentenversicherung angehen kann: Einen Nachhaltigkeitsfaktor kennt man weder östlich noch südlich des Bodensees. Iwd

Wer sind die Cleversten? Nicht nur das ZDF fragte nach, welches von den drei deutschsprachigen Ländern am pfiffigsten ist. Auch Wirtschaftsinstitute erforschen die Perspektiven der drei.
 
     
     
 
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