|  | Als Kandidat zum     Elysee-Palast hatte Lionel Jospin 1995 erklärt, man müsse eine Inventur der Jahre     "Mitterrand" durchführen, als wären zu jener Zeit die Unregelmäßigkeiten in     der Führung des französischen Staates so bedeutsam und wichtig gewesen, daß die     Sozialisten sich von ihnen distanzieren sollten. In dem neuen Skandal, der die politische     Szene in Frankreich erschüttert und in welchem der ältere Sohn des ehemaligen     Präsidenten, Jean-Christophe Mitterrand, schwer verwickelt zu sein scheint, ist es um so     erstaunlicher, daß die französische Regierung und ihre Justizministerin Lebranchu keine     Stellung genommen haben, obwohl die diese Affäre behandelnden Richter vom Umfeld der     Familie Mitterrand stark angegriffen wurden, was die Empörung der Richtergewerkschaften     (von links und von rechts) auslöste. Jean-Christophe Mitterrand hat nämlich drei Wochen     in Untersuchungshaft verbracht, aus der er nur nach der Zahlung einer Kaution von fünf     Millionen Francs (umgerechnet anderthalb Millionen Mark) entlassen wurde. Es geht um     Waffenschmuggel nach Angola. 
 Jean-Christophe Mitterrand, der zur Amtszeit seines Vaters als Berater für die     afrikanische
   n Angelegenheiten im Elysee-Palast fungierte, soll von einem Waffenhändler,     Pierre Falcone, rund zwei Millionen Dollar auf seinem eigenen Schweizer Konto erhalten     haben, um den Verkauf einer Menge von schweren Waffen an die marxistische Regierung     Angolas zu begünstigen. Nach Enthüllungen von "Le Monde" hätte das Volumen     der Waffenverkäufe in den Jahren 1993 und 1994 insgesamt 633 Millionen US-Dollar     betragen. Die ganze Affäre wurde durch eine vom französischen Finanzamt durchgeführte     Prüfung entdeckt. Obschon die Waffen aus der Slowakei oder Bulgarien stammen sollten,     wurde ein Teil des Verkaufsertrags auf Bankkonten in Frankreich eingelöst. Pierre Falcone     sitzt seit mehreren Monaten in Untersuchungshaft, und sein mutmaßlicher hauptsächlicher     Mittäter, Arcadi Gaydamak, ist auf der Flucht in Tel Aviv. Beide waren für die     Abwicklung der Geschäfte der Firma Brenco-France verantwortlich. 
 Aus einer rein privaten Affäre ist ein staatlicher Skandal entstanden, denn Falcone     hätte die Gunst der Waffenexportfirma des Pariser Innenministeriums, der Sofremi,     genießen können. Die Sofremi wurde zur Zeit Francois Mitterrands und seines     Innenministers Pierre Joxe gegründet und vom Gaullisten Charles Pasqua zur Zeit der     Kohabitation unter Balladur gefördert. Pasqua, der inzwischen seine eigene Partei, die     "Rassemblement pour la France", gegründet hat und 2002 zum Elysee kandidieren     will, wird derzeit von der Presse wegen seiner Verbindungen nach Afrika ins Zwielicht     gebracht. Heikle Finanzierungen seiner Partei anläßlich der letzten Wahl zum     Europaparlament und dunkle Vernetzungen mit dem französischen Geheimdienst wurden     besonders von der linken Tageszeitung "Libération" erwähnt, und selbst der     konservative "Figaro" wurde Pasqua gegenüber besonders kritisch. Ob hinter     diesem Interesse der Medien auch die Hand von den Behörden steckt, wäre bedeutungsvoll     zu wissen.
 
 Außer den fundierten oder nicht fundierten Gerüchten ist es für die Beobachter     auffallend, daß in der Affäre Mitterrand-Falcone die Rede von Hintermännern ist, die in     anderen dubiösen Affären aufgetaucht sind. Die Tatsache, daß, nachdem er den     Elysee-Palast verlassen hatte, Jean-Christophe Mitterrand teilweise für Elf-Aquitaine in     der Schweiz gearbeitet hat, könnte freilich zu neuen Enthüllungen über die     tatsächliche Politik Frankreichs in Afrika führen. Ein ehemaliger Gefährte Pasquas, der     sich inzwischen von ihm getrennt hat, sprach polemisch von einer Affäre Mitterrand-Pasqua     mit interkontinentalen Anhaltspunkten.
 
 Auf jeden Fall scheint es klar, daß die französische Politik den damaligen Kolonien     des Mutterlands gegenüber zu zweideutig gewesen ist, um zweifelhafte Finanzpraktiken im     Mutterland wie im französischsprachigen Afrika tatsächlich zu hindern. Die Mißgeschicke     Jean-Christophe Mitterrands belegen offenkundig, daß die französische Afrika-Politik     noch in der alten guten Zeit lebt.
 
 
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