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Was man in Deutschland (nicht mehr) sagen darf

 
     
 
Schweigespirale - mit diesem Begriff hat Elisabeth Noelle-Neumann, die Altmeisterin der seriösen Meinungsforschung, schon Ende der 70er Jahre die Mechanismen der Meinungsmanipulation beschrieben. Wie sie wirken, können wir in diesen Tagen wieder einmal hautnah erleben. Noch weiß niemand, ob wir es an jenem frühen Ostersonntagmorgen in Potsdam mit einem Akt rassistischer Fremdenfeindlichkeit oder doch nur mit einer wilden Prügelei zwischen hochgradig Betrunkenen zu tun hatten. Doch allein schon diesen Gedanken, diese Warnung vor voreiligen Schlüssen und Vorverurteilungen, sollte man besser verschweigen. So etwas ist politisch unerwünscht, stört den "Kampf gegen rechts
", paßt nicht in die unverzüglich inszenierten Betroffenheitsrituale. "Wir als Deutsche" haben die ewige Pflicht, nicht besonnen und normal zu sein, sondern schuldbewußt und stets bedacht, "den Anfängen zu wehren".

Was sollen diese gebetsmühlenartig wiederholten Verlautbarungen, wir seien "empört", "betroffen", "erschüttert". Kein normal denkender und empfindender Mensch ist etwas anderes als empört und erschüttert, wenn ein Mensch von einem anderen Menschen krankenhausreif oder gar lebensbedrohlich zusammengeschlagen wird. Das Leid des Opfers wird nicht je nach Motivation des Täters größer oder kleiner; auch unser Mit-Leid darf nicht davon abhängen. Lichterketten für die - tatsächlichen oder vermeintlichen - Opfer "rechter" Gewalt, aber Teilnahmslosigkeit bis zur "klammheimlichen Schadenfreude" bei anderen - das ist unmenschlich.

Im aktuellen Falle haben zwei prominente Politiker es gewagt, sich der Schweigespirale entgegenzustellen: die Innenminister

Wolfgang Schäuble (Bund) und Jörg Schönbohm (Brandenburg). Schäuble, selbst Opfer einer Gewalttat, erinnerte daran, daß in diesem Lande auch Menschen ohne "Migrationshintergrund" und ohne auffällige äußere Merkmale (wozu auch die Hautfarbe zählt) Verbrechen zum Opfer fallen. Seine Wortwahl war vielleicht nicht ganz geschickt - aber wäre das, was er sagen wollte, sonst überhaupt wahrgenommen worden?

Schönbohm fiel gleich zweimal "unangenehm" auf. Erst legte er sich mit dem Generalbundesanwalt an, dem er zu Recht vorwarf, das Potsdamer Verfahren voreilig und unnötig an sich gerissen zu haben - nach dem Motto "Ich lasse mir doch durch Fakten nicht mein antifaschistisches Feindbild zerstören". Dann verstieß er in einer Rede im ehemaligen KZ Sachsenhausen erneut gegen die Regeln der Schweigespirale, indem er "ausdrücklich" auch der Opfer kommunistischer Gewalt an dieser von zwei Diktaturen genutzten Stätte des Grauens gedachte. Diese "ideologisch geprägte Gleichsetzung" sei eine "Unverschämtheit", ereiferten sich einige Überlebende der ersten, der nationalsozialistischen Gewalt.

Wie sagt man doch: Alle Opfer sind gleich! Einige, so scheint es, sind wohl doch etwas gleicher. Juliane Meier

Tatort Potsdam: Mit Blumen, Lichtern und Transparenten bringen Bürger der brandenburgischen Hauptstadt Betroffenheit und Empörung zum Ausdruck. Mitleid mit den Opfern von Gewalt - jeder Form von Gewalt! - ist für jeden normalen Menschen selbstverständlich. Wo aber Trauer ideologisch motiviert, manipuliert und instrumentalisiert wird, erstarrt sie zum bloßen Ritual. Und wo jede Mahnung zur Besonnenheit und jede Warnung vor Vorurteilen und Vorverurteilungen gleich als Verharmlosung und Relativierung verteufelt werden, droht dem Gemeinwesen Gefahr - von ganz anderer Seite, als wildgewordene Antifaschisten uns glauben machen wollen.
 
     
     
 
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