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Wer schützt Mozart?

 
     
 
In der Pause der Premiere "Simone Boccanegra" von Giuseppe Verdi in der Deutschen Oper traf ich einen hochrangigen Politiker, der über die szenische Interpretation traurig den Kopf schüttelte und sich und mir resigniert die Frage stellte: "Was kann die Politik dagegen tun?"

Die Strukturfragen um den Erhalt der drei Berliner Opernhäuser werden heiß diskutiert, und wenn - wie wir es uns alle wünschen - die weitere Existenz gesichert würde, muß parallel dazu dringend eine inhaltliche Neukonzeption gefordert werden. Die Häuser müssen von operninteressierten und wirtschaftlich kundigen Persönlichkeiten geleitet werden, welche die Profilierung der einzelnen Häuser, die Abstimmung untereinander, die Weiterentwicklung des Genres Oper und die sinnlich-musikalisch-dramatischen Erlebnisse eines großen Opernabends immer im Auge haben und nicht nur unablässig darüber nachdenken, wie die nächste Inszenierung ein bewährtes Opernwerk aus dem Rahmen seiner Zeit reißt, den engen künstlerischen Zusammenhang zwischen Libretto und Partitur zerstört und das künstlerisch geschlossene Werk benutzt, um eine neue Sicht auf die zu einer bedeutungslosen Begleitmusik degradierten Opernpartitur zu demonstrieren - zum Ergötzen einiger Alte-Oper-Hasser und zum Verschrecken der noch übriggebliebenen gutwilligen Opernliebhaber. Hier ist die Politik gefordert. Die Intendant
en müssen gegenüber der bisherigen hohen deutschen Opernkultur und dem immer noch bereitwilligen Opernpublikum von den Politikern, die sie eingesetzt haben, eine Verantwortung übertragen bekommen, die nichts mit einem Reinreden in ihre künstlerischen Belange zu tun hat. Das feierliche Berufen auf die Freiheit der Kunst darf nicht zu einem chaotischen Zerstören der international geachteten und geschätzten deutschen Opernkultur beitragen. Die Opernhäuser sollen keine Museen werden, jedoch die künstlerische Geschlossenheit einer Oper in einer heutigen Ästhetik auf die Bühne zu bringen ist natürlich viel schwerer und benötigt eine viel größere kreative Phantasie, als triviales Figuren-Potpourri mit allem modischen Schnick-Schnack zu inszenieren oder eine intime und komplizierte Figurenkonstellation auf einem Flugplatz, in einer Garage oder auf einem Bahnhof spielen zu lassen. Jeder künstlerisch Verantwortliche weiß um diese Dinge, jedoch gibt es außer einem Buhkonzert keine Konsequenzen.

Ein ganz besonderer Opern-Höhepunkt im Namen der zu verteidigenden Freiheit der Kunst steht uns noch bevor: Die Wiederaufnahme der "Idomeneo"-Inszenierung mit den abgeschlagenen Köpfen der Religionsstifter an der Deutschen Oper Berlin. An dieser Stelle muß man mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß diese viel diskutierte Szene in Mozarts Oper überhaupt nicht vorkommt. Mozarts Oper endet im humanen Gestus seiner Zeit mit einer großen Versöhnungsfeier. Die abgeschlagenen Köpfe sind eine Regie-Zutat, die mit dem Stück nicht nur nichts zu tun hat, sondern die originale Aussage der Oper entstellt und verfälscht. Was vor einigen Jahren bei der Premiere noch mit Protest hingenommen wurde, hat in unseren Tagen, wo sich Konflikte mit den Religionen dramatisch zugespitzt haben, eine neue Dimension bekommen. Nun hätte die Leitung des Hauses aus künstlerischer und politischer Verantwortung den Regisseur um eine Überarbeitung bitten sollen - was in allen großen Opernhäusern der Welt nach einer langen Pause mit den Inszenierungen immer gemacht wird. Wenn dieser es ablehnt, dann kann die Inszenierung einfach nicht mehr gezeigt werden. Was aber jetzt geschehen ist und noch geschehen wird, artet zu einem großen Medienspektakel aus. Die Freiheit der Kunst wird mit allen zur Verfügung stehenden Machtmitteln hehr und edelmütig verteidigt. Hoch gestellte Persönlichkeiten haben sich demonstrativ zu der Vorstellung angesagt. Das Haus und die Aufführung werden mit einem großen Polizeiaufgebot gesichert und geschützt. Die Aufführung selbst wird vom Fernsehen übertragen und sicher werden auch Demonstrationen gegen diese Aufführung stattfinden. Und das alles wegen einer Opernfälschung.

In diesem chaotischen Rummel der Verteidiger und Beschützer taucht die bescheidene Frage auf: Wer schützt Mozart?

Der 1934 im ostdeutschen Mallenuppen, Kreis Darkehmen, geborene Siegfried Matthus ist bereits mehrfach für seine Leistungen als Komponist ausgezeichnet worden. Als Leiter der Kammeroper Schloß Rheinsberg fördert er vor allem den musikalischen Nachwuchs.
 
     
     
 
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