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Wie die köstliche Wiener Torte verschwand

 
     
 
Es war im Kriegssommer 1941. Wie in jedem Sommer waren wir Geschwister fröhlich in Groß Wohnsdorf im Kreis Bartenstein eingefallen. Die liebe Tante Carola (Frfr. von Schrötter) machte Grita-Maria und mir (Ingrid) eines Tages den verlockenden Vorschlag, mit uns eine kleine Güterfahrt anzutreten. Sie schien ihre Pläne bereits gemacht und wohl schon alles telefonisch verabredet zu haben. Eine von uns Schwestern konnte jeweils neben der Tante auf dem Wagen sitzen, während die andere mit dem Fahrrad nebenher fahren sollte. Wir waren begeistert, und mit Gepäck nur für eine Nacht fuhren wir zwei Tage später Richtung Süden los.

Der Himmel war blau, die Sonne schien, und wir drei waren voller guter Laune. Ab und zu wechselten Grita-Maria und ich uns ab, und gegen Nachmittag langten wir auf dem großen, behäbig im Nachmittagssonnenschein daliegenden Hof von Mehleden im Kreis Gerdauen an. Frau von Böttinger empfing uns freundlich auf den Treppenstufen vor ihrem weißen, langgestreckten alten Haus, das so gemütlich unter seinem tief heruntergezogenen Dach mit blanken Fenstern
in die Sonne blinzelte. Die beiden frechen Spitze fuhren uns laut kläffend an die Beine. Wir tranken Tee im Sommergarten hinterm Haus. Später, als es dunkelte, gab es ein einfaches Abendbrot bei Kerzenschein, was etwas feierlich stimmte. Aber Frau von Böttinger, eine warmherzige, herzliche Frau, hatte nichts Feierliches an sich, Tante Carola auch nicht, und wir vier waren eine recht vergnügte Runde. Als es für uns zwei Schwestern Zeit zum Schlafengehen wurde, hatte der Diener uns schon zwei Leuchter angezündet, mit deren Licht wir unser Zimmer auffinden würden. Es gab nämlich im ganzen Haus kein elektrisches Licht.

Am Morgen nach dem Frühstück stand der Einspänner mit dem Pferd "Eisjungfer" schon vor dem Haus, und nach vielem Dank und fröhlichem "Auf Wiedersehn!" fuhren wir unter Winken vom Hof in den sonnigen Morgen.

Da wir zum Mittag in Willkamm erwartet wurden, konnten wir nur kurz in Laggarben bleiben, wo uns die alte Frau von Jungschulz und ihr Sohn begrüßten. Es ging nach einem Sherry und Himbeerlimonade für uns weiter nach Skandau, um Tante Sissy (Gräfin von Dönhoff) "Guten Tag" zu sagen. Die beiden Tanten schwatzten fröhlich und vergaßen fast die Zeit darüber. Wir mußten uns von der reizenden Tante Sissy bald trennen, um weiter nach Willkamm zu fahren.

Tante Carola hatte wirklich alles gut organisiert. Als wir in Willkamm ankamen, wurden wir vom Grafen Rautter und einer riesigen wolligen Bernhardinerhündin vor dem wie Sanssouci vor uns liegenden Gutshaus begrüßt. Als es zum Mittag-

essen in den hellen, langen Saal ging, konnten wir auch Gräfin Rautter "Guten Tag" sagen. Es wurde ein sehr heiteres Mittagessen. Schon während des Hauptganges wurde uns von Gräfin Rautter eine ganz wunderbare Wiener Torte, ein Kunstwerk ihres Wiener Kochs namens Kretschi - wer in Ostdeutschland hatte schon einen Wiener Koch? - versprochen, so daß uns allen schon jetzt das Wasser im Munde zusammenlief. Ich ließ mir vorsichtshalber ein Plätzchen im Magen frei.

Voll Spannung saßen wir am Tisch, nachdem die letzten Teller weggenommen waren und warteten auf die Torte. - Da kam der Diener wieder herein, aber ohne die Torte, und mit klagendem Augenaufschlag ging er mit schnellen Schritten zur Hausherrin und sagte entsetzt: "Frau Gräfin, der Hund hat die Torte aufgefressen. Nur ein Rest ist übrig geblieben!"

Die Gräfin stand auf, der Graf stand auf, und wir drei liefen hinterher in den Nachbarraum. Ein großer, sehr heller Raum, noch fast im Rohzustand nach dem Umbau. - Und da stand auf dem blanken Parkett der große Teller mit dem jämmerlichen Rest der angekündigten Wiener Köstlichkeit. Es war klar: Die hungrige Hündin, die gerade Junge gekriegt hatte, hatte einfach die hohe Terrassentür mit ihrem mächtigen Gewicht aufgedrückt und sich über unseren Nachtisch hergemacht. Unsere Gastgeber klagten laut über diese Enttäuschung. Aber zum Trost - nehme ich mal an - gab es Kekse und Kompott und ein besonderer Trost war der Besuch bei den Lippizaner Schimmeln im Kutschstall. Es war wirklich ein echter Trost; waren sie doch auch eine Wiener Herrlichkeit.

Nach Angaben von Ingrid Budde geb. Biese von Wulf D. Wagner

Gastfreundlich: Das Gutshaus Willkamm im Kreis Gerdauen und Graf und Gräfin Rautter mit ihren Bernhardinern Fotos (2): privat

 
     
     
 
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